ZVI 2020, 285

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2020 EditorialHans-Ulrich Heyer

Regierungsentwurf zur Neuregelung des Restschuldbefreiungsverfahrens und die Reaktionen

Am 1. 7. 2020 ist der Entwurf für ein „Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens“ vorgelegt worden. Die ersten Reaktionen aus einer breiten Fachöffentlichkeit sind deutlich.
Wann hat es das zuletzt gegeben? Die Bundesregierung legt den Regierungsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vor und die breite Fachöffentlichkeit steht dagegen auf.1 Die Kritik wird von einer übergroßen Zahl von Fachleuten getragen: Richterinnen und Richter aus allen Instanzen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Insolvenzverwalterinnen und Insolvenzverwalter, Schuldnerberaterinnen und Schuldnerberater, aber auch Gläubigervertreter und Verbände haben sich dem Aufruf angeschlossen. Kritik kommt auch von Seiten der Politik.2
Das musste so kommen. Der Entwurf reklamiert als Notwendigkeit für die Neuregelungen den Umsetzungsauftrag aus der Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 6. 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) (ABl L 172 vom 26. 6. 2019, S. 18; „Restrukturierungsrichtlinie“). Das stimmt aber nur bedingt. Tatsächlich schiebt er an vielen Stellen Regelungen unter, die sich daraus nicht ableiten lassen und die im nicht nachvollziehbaren Widerspruch zum Referentenentwurf vom 13. 2. 2020 stehen. An einigen Stellen bricht der Entwurf auch mit bewährten Grundsätzen des Insolvenzrechts ohne überzeugend zu erläutern, warum.
Die mediale Begleitung der Regierungsentwurfsvorlage war auf den ersten Blick verbraucherfreundlich. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz stellt in der Presse dar, dass mit dem Entwurf die Richtlinienvorgabe umgesetzt wird, nach der das Restschuldbefreiungsverfahren nur noch drei statt bisher im Regelfall sechs Jahre dauern soll und dass die Regelungen nicht nur, wie von der Richtlinie vorgeschrieben, für unternehmerisch tätige Schuldner gelten sollen, sondern, wie von der Richtlinie empfohlen, auch für Verbraucherinnen und Verbraucher.3 Erst im Weiteren erweist sich dieser Ansatz als ein solcher mit einem Verfallsdatum, den der Gesetzgeber nur noch durch aktives Eingreifen stoppen kann. Das dreijährige Entschuldungsverfahren soll gesetzlich festgelegt nur erst einmal bis Ende Juni 2025 gelten. Danach verlängert sich das Verfahren vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gesetzgebers für Verbraucher wieder auf sechs Jahre.
Das ist nicht nur eine ungewöhnliche Regelungstechnik, sondern auch eine ungewöhnliche Entscheidung. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie diesen, in denen wahrscheinlich auch mehr und mehr Verbraucherinnen und Verbraucher tatsächlich unverschuldet in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und auf eine Restschuldbe-ZVI 2020, 286freiung angewiesen sein werden, weil etwa die Schutzmechanismen aus dem Gesetz zur Abmilderung der COVID-19-Pandemie vom 27. 3. 2020 nicht mehr greifen,4 muss sich das Entschuldungsrecht bewähren. Jetzt an mehreren Stellen Beschränkungen in dieses System einzubauen, ist politisch kein glaubwürdiges Zeichen dafür, dass auch diesen Betroffenen bei der Bewältigung der Folgen der COVID-19-Pandemie wirklich geholfen werden soll. Es ist eher ein Zeichen des Misstrauens in die nachhaltige Regenerationsfähigkeit der ganz großen Gruppe der Verbraucherinnen und Verbraucher. Mit einem ganz anderen Duktus war noch der Referentenentwurf vom 13. 2. 2020 aufgetreten.
Verstörend ist auch die beabsichtigte Differenzierung zwischen reinen Verbrauchern und solchen Personen, die früher einmal selbstständig waren. Wer irgendwann einmal eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt hat, mag diese auch noch so lange her sein, noch so klein, so kurzfristig und so erfolglos gewesen sein, kann sich allein dadurch im Gegensatz zu den reinen Verbraucherinnen und Verbrauchern in Sicherheit wiegen, auch in Zukunft bei einer dreijährigen Restschuldbefreiungszeit zu bleiben. Was für ein Schub für alle Entrepreneure mit von vornherein zum Scheitern verurteilten Wohnzimmerunternehmungen! Wer „gut beraten“ ist, sichert sich durch Aufnahme einer kurzfristigen selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit das dreijährige Entschuldungsverfahren. Und die zusätzlichen Schulden aus dieser Tätigkeit werden später ebenso in die Restschuldbefreiung fallen wie auch die sonstigen privaten Schulden des ehemaligen Unternehmers. Der Regierungsentwurf folgt damit der Differenzierungslösung, die der Referentenentwurf noch ausführlich als nicht nachvollziehbar und ungerecht gegeißelt hatte: „Eine unterschiedliche Behandlung von unternehmerisch tätigen und sonstigen Personen würde nicht nur mit Abgrenzungsschwierigkeiten einhergehen, sondern unweigerlich auch Umgehungsstrategien provozieren, welche für Rechtsunsicherheit sorgen würden. Überdies muss es ein Desiderat überzeugender und praktisch handhabbarer Rechtsetzung sein, nicht nur unnötig komplexe Regelungen, sondern auch Differenzierungen zu vermeiden, die in der Anschauung der betroffenen Kreise nicht nachvollziehbar erscheinen. Nicht nachvollziehbar wäre es aber, wenn man unternehmerisch tätigen Personen eine Befreiung von ihren (auch) privaten Verbindlichkeiten unter erheblich leichteren Voraussetzungen angedeihen ließe als Verbraucherinnen und Verbrauchern.“5 Nun die vollkommene Kehrtwendung im Regierungsentwurf ohne nachvollziehbare Erklärung dafür, weshalb diese Überzeugungen auf der Strecke geblieben sind oder nicht mehr vertreten werden.
Überraschendes weist der Entwurf auch an anderen Stellen auf. So zieht er die bestehende Hürde für die Erlangung einer Restschuldbefreiung für diejenigen, die bis zu drei Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens „unangemessene Verbindlichkeiten“ begründet haben (§ 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO), nunmehr in die Wohlverhaltensperiode hinüber. Auch wer in der Wohlverhaltensperiode unangemessene Verbindlichkeiten begründet, soll keine Restschuldbefreiung mehr bekommen. Natürlich ist der Gedanke richtig, dass diejenigen, die ihre Gläubiger vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschädigt haben, indem sie – vielleicht sogar im Hinblick auf eine mögliche Restschuldbefreiung – übermäßige Verbindlichkeiten begründet haben, keine Restschuldbefreiung verdienen (so schon die Begründung zum seinerzeitigen Regierungsentwurf für die Insolvenzordnung). Wer etwa ein Entschuldungsverfahren anvisiert und „damit es sich auch lohnt“ vorher noch erhebliche Verbindlichkeiten begründet, damit diese dann in die Restschuldbefreiung fallen, ist nicht redlich. In Letzterem liegt aber ein entscheidender Unterschied zur Begründung von neuen Verbindlichkeiten während der Wohlverhaltensperiode: letztere unterfallen gerade nicht der Restschuldbefreiung. Die Restschuldbefreiung greift nach § 301 Abs. 1 InsO bekanntermaßen nur für Insolvenzforderungen nach § 38 InsO und gerade nicht für Neuverbindlichkeiten. Neuverbindlichkeiten verbleiben dem Schuldner und er muss sie nach Erteilung der Restschuldbefreiung befriedigen oder er setzt sich neuen Vollstreckungen ohne eine kurzfristige neue Entschuldungsmöglichkeit aus. Der Unredlichkeitsgedanke ist in § 290 InsO deshalb ein anderer als in § 295 Abs. 1 Nr. 5 InsO RegE. Eine unredliche vorverfahrensmäßige Schuldenbegründung belastet die Insolvenzmasse mit zusätzlichen Gläubigeransprüchen und schmälert so die Befriedigungschancen aller Gläubiger. Bei der Begründung von Neuverbindlichkeiten in der Wohlverhaltensperiode ändert sich die verteilbare Masse an die Insolvenzgläubiger nicht und da auch Neugläubiger aufgrund der abgetretenen Massezuflüsse aus dem Arbeitseinkommen faktisch kaum Vollstreckungsmöglichkeiten bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung haben, ist es nur sehr bedingt vorstellbar, wie sich die Neuverbindlichkeiten überhaupt zu Lasten der Gläubiger auswirken sollen.
Die Neuregelung bedient eher symbolhaft eine auch dem Verfasser in vielen Veranstaltungen immer wieder begegnende landläufigen Meinung, „dass es doch nicht sein kann, dass jemand, der entschuldet werden will, schon wieder neue Schulden macht“. Dass die Insolvenzordnung entgegen diesem unbedarft vielleicht gar nicht so fernlie-ZVI 2020, 287genden Gedanken aber auf die Eigenverantwortung der Schuldnerinnen und Schuldner setzt und ihnen die Restschuldbefreiung für diese Neuverbindlichkeiten für eine lange Zeit verwehrt, so dass sie im eigenen Interesse Neuverbindlichkeiten vermeiden sollten, muss dann erklärt werden und wird dort zumeist auch verstanden. Verstanden wird zumeist auch die Erläuterung der wirtschaftlichen Wirkung einer Versagung der Restschuldbefreiung. Sie wirkt sich für die Neugläubiger eher negativ aus: Die Schuldner sind nach einer Versagung wieder uneingeschränkt dem (Einzel-)Vollstreckungsrecht nach dem Prioritäts- oder Windhundprinzip ausgesetzt, aber nicht wie nach einer Erteilung der Restschuldbefreiung nur durch die Neugläubiger, sondern zusätzlich auch noch wieder durch alle Insolvenzgläubiger. Wer das ausblendet, will das Entschuldungsrecht eher im sanktionsrechtlichen Sinn als allgemeines Bewährungsrecht verstehen und nicht als Wirtschaftsrecht und Befriedigungsrecht für die Gläubiger.
Eine ähnliche Friktion, für die die Restrukturierungsrichtlinie keinen Anlass liefert ist, dass die Gerichte die Einhaltung dieser Obliegenheit nun auch noch von Amts wegen überwachen sollen. Abgesehen davon, dass den Gerichten die dafür notwendigen Erkenntnisse kaum zur Verfügung stehen, bricht diese Neuregelung des § 296 Abs. 1a InsO-RegE punktuell für diese Obliegenheit mit dem Grundsatz der Gläubigerautonomie, der aus gutem Grund auch im Versagungsrecht für die Restschuldbefreiung gilt.
Die Liste der Ungereimtheiten lässt sich fortsetzen. Dies muss während des Gesetzgebungsverfahrens weiter herausgearbeitet werden. Was sich aber schon jetzt zeigt, ist, dass der neue Regierungsentwurf gerade auch im Vergleich zum Referentenentwurf das Entschuldungsrecht nicht nur im Lichte der Restrukturierungsrichtlinie und im Rahmen der bewährten Strukturen des Insolvenzrechts fortentwickeln will, sondern er will es partiell auch strukturell verändern. Das lässt einen den Gedanken nicht loswerden, dass hier zugunsten bestimmter Interessengruppen, die dem Entschuldungsrecht schon immer kritisch gegenüberstanden, symbolhaft Regelungen geschaffen werden, die vor allem diesen Interessen und Einflüssen nachgeben.
Anzeichen dafür liefert auch die im Entwurf enthaltene Regelung, dass nunmehr in der Wohlverhaltensperiode Gewinne aus einer Lotterie, Ausspielung oder einem anderen Spiel mit Gewinnmöglichkeit von den Schuldnerinnen und Schuldnern in voller Höhe herauszugeben sein sollen. Um nicht missverstanden zu werden: der Gedanke, dass ein Schuldner in der Wohlverhaltensperiode durch einen Glücksfall zu beträchtlichem Vermögen kommt, während die Befriedigung seiner Gläubiger daran nicht partizipiert und diese ihre Forderungen durch die Restschuldbefreiung möglicherweise zur Gänze verlieren, ist schwer erträglich und das wäre sicher auch ein auflagenerhöhendes Ereignis für die Regenbogenpresse. Indes ist weithin bekannt, welche Anteile einerseits die Hoffnungen und andererseits die Realisierungschancen für Gewinnerwartungen aus Glückspielen haben. Jedenfalls sind in all den Jahren der Geltung der Insolvenzordnung in nennenswerter Zahl keine solche Fälle von Gewinnen zugunsten der Schuldnerinnen und Schuldner bekannt geworden, die die seinerzeitige Annahme der Politik im Gesetzgebungsverfahren zur Insolvenzordnung widerlegt hätten, dass hier kein Regelungsbedarf besteht. Auch diese Regelung hat deshalb vor allem Symbolcharakter.
An anderer Stelle verschiebt der Entwurf seine Regelungsverantwortung, die gegenüber bestimmten Wirtschaftsinteressen offenbar schwer durchsetzbar zu sein scheint, wiederum erst einmal in die Zukunft und in die Verantwortung einer Evaluation. Der Referentenentwurf hatte noch die Erkenntnis herausgestellt, dass zu lange Speicherfristen von Insolvenzdaten in Wirtschaftsauskunfteien einen wirtschaftlichen Neustart, wie er mit der Restschuldbefreiung ermöglicht werden soll, behindern kann. Aus Art. 17 Abs. 1 lit. a DSGVO („Recht auf Vergessenwerden“) folge mit der Erteilung der Restschuldbefreiung rechtlich sogar ein Anspruch auf sofortige Löschung der Informationen über Insolvenzverfahren und Restschuldbefreiungsverfahren durch Auskunfteien.6 Der Entwurf hatte deshalb eine Regelung zur Verkürzung der Speicherfristen vorgeschlagen. Auch diese Überzeugung scheint nunmehr der Amnesie anheimgefallen zu sein. Der Regierungsentwurf duckt sich vor der Normierungsverantwortung wieder weg ohne konkret zu erklären, weshalb das, was zuvor noch als datenschutzrechtlicher Anspruch festgestellt worden war, nunmehr aktuell keiner Normierung mehr bedürfen soll.
Vor dem Hintergrund aller dieser Auffälligkeiten und Fragen ist der Aufruf der insolvenzrechtlichen Fachöffentlichkeit sehr wichtig und notwendig. Er wird auch das weitere Gesetzgebungsverfahren kritisch begleiten.
Richter am AG Prof. Dr. Hans-Ulrich Heyer, Oldenburg (Oldbg.)
1
1)
S. Aufruf zum Regierungsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens v. 1. 7. 2020, ZVI Beilage zu Heft 7/2020.
2
2)
Dr. Manuela Rottmann, MdB: „Der dümmste aller denkbaren Kompromisse“, https://manuela-rottmann.de/Aktuelles.
3
3)
Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz v. 1. 7. 2020.
4
4)
Vgl. dazu Pape, ZInsO 2020, 1347.
5
5)
Referentenentwurf für ein Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, S. 12.
6
6)
Referentenentwurf für ein Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, S. 23.

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