RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln
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1619-3741
Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz
ZVI
2025
EditorialHans-Ulrich Heyer
Verzicht auf elektronische Gläubigerinformationssysteme in Verbraucherinsolvenzverfahren?
Mit Wirkung ab dem 17. Juli 2024 wurde die Vorhaltung eines elektronischen Gläubigerinformationssystems (eGIS) durch die Insolvenzverwalter1 mit einer Änderung des § 5 Abs. 4 InsO auch für die Verbraucherinsolvenzverfahren verpflichtend.
Die Kosten für solche Systeme sind nicht unerheblich. Dem Unterzeichner wurde von Angeboten eines Softwareanbieters von über 400 € netto pro Monat für die Zurverfügungstellung entsprechender Systeme im Mietverfahren berichtet. Die reinen Systemkosten sind dabei nur das eine. Die Systeme müssen auch gepflegt und überwacht werden. Es müssen fortlaufend die gesetzlich vorgeschriebenen Dokumente eingepflegt und später auch wieder gelöscht werden. Die Zugangsberechtigungen müssen geprüft und die Zugangsvoraussetzungen geschaffen werden. Das erfordert einen Zeit- und Personalaufwand, der nochmals zusätzlich zu Buche schlägt.
Bitter ist dabei, dass der Bundesgerichtshof bislang der Auffassung ist, dass solche Kosten normale Bürounkosten sind, die nicht gesondert erstattungsfähig sind.
Der Gesetzgeber sah sich durch Art. 28 der Restrukturierungsrichtlinie EU – RRL („Richtlinie (EU) 2019/1023 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren“) zur umfassenden Einführung des eGIS verpflichtet. Dort heißt es unter u. a.: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren die Verfahrensparteien, die Verwalter und die Justiz- oder Verwaltungsbehörde auch in grenzüberschreitenden Situationen mindestens folgende Handlungen elektronisch vornehmen können: […] c) Mitteilungen an die Gläubiger.“ Der Gesetzgeber versteht das eGIS in diesem Sinn als Instrument für Mitteilungen an die Gläubiger.
Zu Recht wird die Frage gestellt, ob dem Aufwand für die Verwalter in der Praxis in Verbraucherinsolvenzverfahren ein entsprechender Nutzen gegenübersteht. Der Deutsche Privatinsolvenztag e. V. (DPIT) bezweifelt das. Er hat auf seiner Tagung vom 18. Oktober 2024 den Beschluss gefasst: „Die obligatorische Vorhaltepflicht eines Gläubigerinformationssystems in Verbraucherinsolvenzverfahren ist unverhältnismäßig. Die Interessen der Gläubiger werden durch die neuen Möglichkeiten einer elektronischen Akteneinsicht umfassender gewahrt. Der Deutsche Privatinsolvenztag 2024 spricht sich für die Abschaffung des obligatorischen Gläubigerinformationssystems in Verbraucherinsolvenzverfahren aus.“
Noch fehlen Erfahrungen zur Nutzungsintensität der Gläubigerinformationssysteme in Verbraucherinsolvenzverfahren. Mitunter wird berichtet, dass das Gläubigerinteresse am Verfahrensablauf in Verbraucherinsolvenzverfahren insgesamt gering sei. Das mag an den häufig geringen oder gar nicht vorhandenen Ausschüttungsquoten liegen. Wenn dem so ist, werden möglicherweise auch die Zugriffe auf Verfahrensinformationen durch die Gläubigerinformationssysteme hier nicht sonderlich hoch sein. Der Ansatz des DPIT erscheint deshalb erst einmal nachvollziehbar.
Gläubigerinformationssysteme sind auch lediglich partielle Informationssysteme. § 5 Abs. 5 InsO beschränkt den Informationsgehalt auf die dort genannten Dokumente. Das eGIS bildet nicht vollumfänglich die Insolvenzakte ab. Die Akte kann ZVI 2025, 126weitergehende Informationen enthalten als das eGIS, beispielsweise auch, soweit es um Versagungsgründe zur Restschuldbefreiung geht. Wer als Gläubiger solche Informationen benötigt, wird aktuell um eine Akteneinsicht nicht umhinkommen und rechtsverbindlich bleiben ohnehin immer die Insolvenzakte und die amtlichen Bekanntmachungen im Insolvenzportal.
Bislang war die Einsichtnahme in eine Insolvenzakte aufwendig, weil sie nur präsent im Gericht erfolgen konnte. Die Gerichte versenden keine Insolvenzakten. Mit der Einführung der elektronischen Akte und der Freischaltung des bundesweiten elektronischen Akteneinsichtsportal (https://www.akteneinsichtsportal.de) kann sich das ändern. Über entsprechend gesicherte Zugänge wird eine Einsichtnahme auch online erfolgen können. Für die Interessierten und Berechtigten wird es damit einfacher sein, sich einen umfassenden und vollständigen Überblick über den Verfahrensablauf und -stand zu verschaffen.
Ist das eGIS damit vor allem im Verbraucherinsolvenzverfahren tatsächlich nur teuer und überflüssig?
Die Frage ist obsolet, wenn die Verpflichtung zur Vorhaltung eines eGIS aufgrund des europäischen Rechts für alle Verfahren obligatorisch ist. Dann besteht kein nationaler Handlungsspielraum. Der Gesetzgeber hat das so gesehen und ganz von der Hand zu weisen ist diese Auffassung nicht. Der Wortlaut des Art. 28 Buchst. c) der RRL differenziert nicht nach Verfahrensarten. Er spricht von „Insolvenz- und Entschuldungsverfahren“. Das spricht für eine Geltung auch für Verbraucherinsolvenzverfahren einschließlich der Wohlverhaltensperiode.
Ganz klar konturiert erscheinen mir die Verpflichtungen aus der Regelung trotzdem nicht. Die Regelung schafft eine Verpflichtung zur Schaffung entsprechender elektronischer Kommunikationen für „Mitteilungen an die Gläubiger“. Was aber sind Mitteilungen in diesem Sinn? Dazu verhält sich auch der ErwG 90 der RRL nicht konkreter. Er unterscheidet nur zwischen „Verfahrenshandlungen wie die Geltendmachung von Gläubigerforderungen“ und „Mitteilungen an Gläubiger“ oder die „Einlegung von Beschwerden und Rechtsbehelfen“, die erleichtert werden sollen. Man kann die Beispiele als Beschreibung der Aktionsrichtungen sehen: einerseits die Gläubigerhandlungen gegenüber den Verwaltern wie die Anmeldung der Forderungen, andererseits die Informationen der Gerichte und Verwalter gegenüber den Gläubigern.
Umfang und Inhalt der Informationen können aber unterschiedlich weit gehen. Man kann differenzieren zwischen einem Mitteilungsbegriff im formalen Sinn, den die Regelung des § 5 Abs. 5 InsO zur Umsetzung der Richtlinie gewählt hat, und einem Mitteilungsbegriff im weiten Sinn.
Der Mitteilungsbegriff im formalen Sinn umfasst die Mitteilung von Entscheidungen, Beschlüssen, Verfügungen oder an das Gericht übersandten Berichten, also Akten, die entsprechend formgebunden ergehen.
Der Mitteilungsbegriff im weiten Sinn würde weitergehend auch allgemeine Informationen erfassen, die nicht in entsprechender Form ergehen, also z. B. formlose Informationen des Verwalters an die Gläubiger über den Verfahrensstand oder die noch zu erwartende Laufzeit. Die Erwartungshaltung hinter dem Begriff des „Gläubigerinformationssystems“ dürfte eher dem weiten Mitteilungsbegriff zuneigen.
Wenn man mit dem deutschen Gesetzgeber in Art. 28 RRL eine Umsetzungsverpflichtung für alle Verfahren sieht und so der Diskussion um eine Einschränkung der Anwendungsverpflichtung der Boden entzogen wird, dann sollte man überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, das eGIS im Sinne des weiten Mitteilungsbegriffs zu einem echten und umfassenden Informationssystem auszubauen. Das käme dem allgemeinen Informationsbedürfnis der Verfahrensbeteiligten weiter entgegen. Darauf wird der Verfasser dieses Editorials in einem Beitrag in einer der nächsten Ausgaben der ZVI noch vertiefend eingehen.
Die derzeitige Kosten-Nutzen-Analyse für die elektronischen Gläubigerinformationssysteme ist zu Recht stark von Frage der Erstattungsfähigkeit der zusätzlichen Auf- und Ausgaben für die Verwalter beeinflusst. Der bisherige höchstrichterliche Ansatz dürfte sich auf die Anfänge der Gläubigerinformationssysteme bezogen haben, in denen die Systeme nur für große Unternehmensinsolvenzen verpflichtend waren, in denen wahrscheinlich auch entsprechende Vergütungen zu erwarten waren. Wenn man dort die Kosten für ein eGIS den allgemeinen Bürounkosten zurechnet, mag das vertretbar erscheinen. In den massearmen Verbraucherinsolvenzverfahren muss die Kosten-Nutzen-Analyse anders ausfallen. Deshalb wird in der Literatur mittlerweile zu Recht die Schaffung eines neuen klaren gesetzlichen Auslagentatbestandes postuliert.
Auf jeden Fall ist es nicht unbedingt zielführend, die eigentliche Frage des Sinns und des möglichen Nutzens elektronischer Informationssysteme zu stark auf die Kostenlastfrage zu verengen. Alle sollten ein Interesse an einem möglichst effektiven und transparenten Ablauf eines Insolvenzverfahrens haben. Und wenn das eGIS dazu einen Beitrag leisten kann, kann es seine Berechtigung haben.
Hon. Prof. Dr. iur., RiAG a. D., Hans-Ulrich Heyer, Oldenburg (Oldb)
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- 1)Im Interesse der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.