ZVI 2020, 409

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2020 EditorialKlaus Hofmeister

Regierungsentwurf zum Restschuldbefreiungsverfahren – Das Parlament ist dringend gefordert

Zu Beginn des Jahres wurde der Referentenentwurf (RefE) für ein Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vorgelegt. Am 1. 7. 2020 folgte der diesbezügliche Regierungsentwurf.1 In einer Reihe maßgeblicher Punkte weicht dieser entscheidend und zum Teil diametral von den Vorschlägen des RefE ab. Der Entwurf ist nach weit vorherrschender Meinung der Fachwelt alles andere als gelungen,2 er ist in einigen wesentlichen Punkten eine Zumutung für die betroffenen Menschen, für die das Gesetz eine Hilfestellung zu einem effektiveren wirtschaftlichen Neubeginn sein soll. So z. B. bei der Befristung der Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf drei Jahre für Verbraucher und Verbraucherinnen bis zum 30. 6. 2025 oder dem Verzicht auf eine Regelung, die Löschungspflicht von Einträgen zu Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren für Auskunfteien von drei auf ein Jahr zu begrenzen. Die eventuelle Verkürzung der Löschungspflichten soll nach dem Willen der Bundesregierung von den Ergebnissen einer Evaluation abhängig gemacht werden, womit die Problembehebung auf Jahre vertagt wird.
Der auf den RefE folgende Jubel von Heyer „Endlich: Regelung gegen die übermäßig lange Datenspeicherung durch Auskunfteien“3 war womöglich zu optimistisch. Dies wäre umso bedauerlicher, da sich mittlerweile auf breiter Linie die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die mehrjährige Speicherung der Erteilung der Restschuldbefreiung als Negativmerkmal gewertet wird und für viele Betroffene ein oft unüberbrückbares Hindernis bei der Wohnungssuche und bei alltäglichen Vertragsabschlüssen, etwa bei der Telekommunikation oder der Stromversorgung, darstellt. Insbesondere in den Ballungsräumen mit dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum wird die Wohnungssuche für ehemals überschuldete Menschen durch diesen Stolperstein häufig zum frustrierenden oder gar unüberwindbaren Hürdenlauf.
Sein Missfallen über den Rückzieher bei diesem Punkt hat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom September 2020 zum Gesetzentwurf zum Ausdruck gebracht (BR-Drucks. 439/1/20): „Es ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen der Gesetzentwurf nunmehr auf die Begrenzung der Speicherung auf ein Jahr verzichtet, obwohl sich die Feststellungen nicht geändert haben. Dieses Hindernis ist nicht länger hinnehmbar … Eine Evaluation zu den Auswirkungen eines Eintrags ‚Erteilung der Restschuldbefreiung‘ ist unnötig …“
Ähnlich eindeutig klingt die Schelte zur im RegE normierten Befristung der Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens für Verbraucher und Verbraucherinnen bis zum 30. 6. 2025. Auch in diesem Punkt weicht der RegE grundlegend vom RefE ab. Klartext des Bundesrates zu diesem Punkt: „Für eine solche Befristung und das von der ZVI 2020, 410Bundesregierung vorgesehene Rückgängigmachen der Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens gibt es indes keinen tragfähigen Grund. … Die Rücknahme der Verkürzung … soll … nur für Verbraucher gelten. Selbständig Tätige würden weiterhin in den Genuss der Verkürzung kommen, was eine verfassungsrechtlich fragwürdige Ungleichbehandlung bedeutet.“
Im Zusammenhang mit der Befristung sieht der RegE zudem eine Evaluation dazu vor, wie sich die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf das Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten von Verbrauchern und Verbraucherinnen ausgewirkt hat. Über das Ergebnis soll die Bundesregierung dem Bundestag bis zum 30. 6. 2024 berichten. Auf dieser Basis soll sodann darüber entschieden werden, ob die Verkürzung auch für Verbraucher und Verbraucherinnen auf Dauer beibehalten wird oder zum bisherigen Recht mit seiner langen Entschuldungsfrist zurückgekehrt wird.
Diese und weitere Regelungen im RegE sind in der Fachöffentlichkeit zu Recht auf breiter Front auf vehemente Kritik gestoßen, die sich im Aufruf zum Regierungsentwurf öffentlich manifestiert hat (Beilage zu ZVI 7/2020). Am 30. 9. 2020 hat der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages eine öffentliche Sachverständigenanhörung zum Gesetzentwurf durchgeführt. Diese wurde auch in diesem Rahmen sehr kritisch gewürdigt und wesentlicher Änderungsbedarf reklamiert.4 Die Sachverständigen haben sich demnach klar für ein dreijähriges Restschuldbefreiungsverfahren für alle natürlichen Personen ausgesprochen. Für eine Befristung einer reduzierten 3-jährigen Wohlverhaltensphase für Verbraucher und Verbraucherinnen bis zum 30. 6. 2025 „lassen sich dagegen keine überzeugenden Argumente anführen“.5
Angesichts der zu erwartenden massiven negativen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die wirtschaftliche und soziale Situation von Selbstständigen und Verbrauchern erscheint es aus Sicht des Verfassers völlig unangemessen, die im RegE vorgesehene Evaluierung zum Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten der Verbraucher und Verbraucherinnen ins Auge zu fassen. Dies verkennt die reale Lebenssituation der breiteren Masse der Bevölkerung. Die Süddeutsche Zeitung titelte kürzlich zur wirtschaftlichen Entwicklung: „Massive Jobverluste befürchtet“.6 Und die Auskunftei CRIF Bürgel vermeldete beispielsweise, dass sie einen starken Anstieg der Privatinsolvenzen im Jahr 2021 erwartet (Meldung vom 3. 9. 2020).7 Im Ergebnis wird zu befürchten sein, dass zahlreiche Menschen infolge pandemiebedingten Arbeitsplatzverlustes, Einkommensminderungen, gesundheitlicher Beeinträchtigungen etc. nicht mehr in der Lage sein werden, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen.
Bereits vor der Pandemie ist in den letzten Jahren das Armutsrisiko deutschlandweit gestiegen, 15,9 % der Bevölkerung waren 2019 von Armut bedroht, 2018 waren es noch 15,5 % und 2010 14,5 %.8 Selbst in einer wohlhabenden Stadt wie München verteilt die Tafel wöchentlich rd. 22.000 Essenspakete an Bedürftige; bundesweit sind rd. 1,65 Mio. Menschen auf solche Lebensmittelspenden angewiesen.9 Die Zahl der Bezieher von Leistungen nach dem SGB II ist beispielsweise in München in den letzten Monaten rasant nach oben geschnellt von 32.000 Bedarfsgemeinschaften im März auf über 40.000 im September. Auch die Nachfrage nach Schuldner- und Insolvenzberatung hat sich innerhalb eines halben Jahres verdoppelt. Bundesweit herrscht bei vielen Menschen schon länger Not, die auch in steigender Überschuldung zum Ausdruck kommt. Corona hat dies noch verschärft und diese Dynamik setzt sich gemäß der aktuellen Prognosen leider weiter fort.
Die im RegE implementierte Evaluation zum Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten von Verbrauchern suggeriert allerdings etwas anderes, nämlich die vermeintliche Gefahr, dass Menschen eine reduzierte 3-jährige Wohlverhaltensphase in signifikantem Umfang bewusst ausnutzen könnten, um ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachzukommen. Solchem Denken liegt eine Missbrauchsvermutung zugrunde, der potentiell alle überschuldeten Verbraucher und Verbraucherinnen unterworfen werden. Dies ist der überwiegende Anteil der rd. 6,9 Mio. ZVI 2020, 411überschuldeten Personen in Deutschland,10 denn beim Großteil handelt es sich hier um Verbraucher. Dabei wird außen vor gelassen, dass das Restschuldbefreiungsverfahren bereits ein differenziertes gesetzliches Instrumentarium an Versagungsgründen, Sperrfristen etc. zur Sanktionierung und Missbrauchsabwehr bereithält, um in entsprechenden Einzelfällen adäquat handeln zu können. Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland die Rückzahlungsquote z. B. bei Krediten bei 98 % liegt,11 erscheint es nahezu absurd, wenn der Gesetzgeber im vorliegenden Entwurf meint, überschuldeten Verbrauchern eine Art Bewährungszeit auferlegen zu müssen, bevor sie – wie Selbstständige – dauerhaft zu einem kürzeren Verfahren kommen. Allemand/Henning haben diesen Griff in die moralische Mottenkiste treffend als „Rückfall in alte Zeiten“ bezeichnet, dem ein antiquiertes Schuldnerbild zugrunde liegt.12
Die einschlägige Forschung auf diesem Gebiet hat aufgezeigt, dass es sich bei der Überschuldungsproblematik natürlicher Personen weitgehend um ein strukturelles Problem im Kontext unserer Wirtschafts- und Sozialordnung handelt. Oder um es kurz zu sagen: „Eine frivole Schuldenmacherei im Hinblick auf die Möglichkeit der Restschuldbefreiung hat es nie gegeben.“13
Vor dem Hintergrund des in der Fachwelt sehr bemängelten Gesetzentwurfs der Bundesregierung ist nun in besonderer Weise der Bundestag gefordert, entsprechende Korrekturen zu erörtern und ggf. vorzunehmen. Dies gilt besonders für die Abgeordneten der Regierungsfraktionen. Vertreter aus der Schuldnerberatung und der Anwaltschaft könnten die örtlichen Sprechzeiten ihrer Abgeordneten nutzen, um in diesem Sinne vorstellig zu werden. Im Zuge der Diskussionen um die Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie hat das Parlament jüngst eine stärkere Einbindung vor der Entscheidungsfindung gefordert. Im vorliegenden Fall haben die Abgeordneten im Gesetzgebungsverfahren jetzt die Chance, entsprechende Aktivitäten tatkräftig zu entfalten und wichtige Korrekturen vorzunehmen. Die Sachverständigen haben in der jüngsten Anhörung hierzu die relevanten Meilensteine geliefert. Zudem sollte die Reform zügig beschlossen werden, denn in vielen Schuldnerberatungsstellen und Kanzleien stapeln sich bereits die Anträge in Erwartung der Neuregelung.
Klaus Hofmeister, Abteilungsleiter im Amt für Soziale Sicherung des Sozialreferates der Landeshauptstadt München
1
1)
Mit dem Entwurf sollen bekanntlich die Vorgaben der Richlinie (EU)2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20. 6. 2019 über präventive Restrukturierungsmaßnahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 umgesetzt werden.
2
2)
Jäger, Unbedingt nachbessern, ZVI 2020, 326.
3
3)
Heyer, ZVI 2020, 77.
4
4)
S. hierzu den Bericht über die Anhörung unter der Überschrift „Experten kritisieren Entwurf Restschuldbefreiung“ unter www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw40-pa-re.
5
5)
So z. B. Ahrens in seiner Stellungnahme, Ziff. IV 6., S. 13.
6
6)
SZ v. 30. 10. 2020, S. 1.
7
7)
www.crifbuergel.de/de/aktuelles/press-releases/schuldenbarometer-halbjahr-2020.
8
8)
Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 308 v. 13. 8. 2020.
9
9)
https://www.zdf.de/nachrichten/heute/tafeln-vermelden-deutlichen-nutzeranstieg-100.html.
10
10)
Creditreform, SchuldnerAtlas 2019.
11
11)
Schufa Kredit-Kompass 2019, S. 5.
12
12)
Allemand/Henning, ZVI 2020, 325.
13
13)
Pape, ZInsO 2020, 1347.

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell