ZVI 2025, 337

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2025 EditorialStefan Saager

Ist der Einfluss des Europäischen Rechts auf das deutsche Insolvenzverfahren gut?

Das Europäische Recht nimmt zunehmend Einfluss auf das deutsche Insolvenzverfahren. Hier soll es aber nicht um die anhaltenden Bemühungen der Europäischen Kommission gehen, das Insolvenzrecht zu harmonisieren. Diese Bestrebungen bringen nichts Gutes für das deutsche Insolvenzrecht und Insolvenzverfahren. Mag sich mancher am Verbraucherinsolvenzrecht Interessierte gefreut haben, dass durch einen Impuls des Europäischen Rechts die Dauer für die Erteilung der Restschuldbefreiung in Deutschland auf drei Jahre reduziert worden ist, so zeigen Insolvenzverfahren des Fahrzeugzulieferers Leoni oder des Batterieherstellers Varta, dass auch aus Sicht von Verbrauchern und Kleinanlegern die Harmonisierung des Insolvenzrechts nicht nur positive Aspekte hat.
So verhält es sich auch mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes von Anfang Juli (Urt. v. 3. 7. 2025 Rs C-582/23, ZVI 2025, 351 (in diesem Heft)) zu einer Vorlagefrage aus Polen. Ausgangspunkt der Entscheidung war ein aus Sicht des vorlegenden Gerichts bestehender Konflikt zwischen dem polnischen Insolvenzrecht und der effektiven Umsetzung der EU-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (RL 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993, geändert durch die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 und die RL (EU) 2019/2161 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019).
Das vorlegende polnische Gericht wollte wissen, ob Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie („Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind (…).“) und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie („Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“) dahin auszulegen sind, „dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die vorsieht, dass das Insolvenzgericht an die vom Insolvenzrichter im Insolvenzverfahren genehmigte Forderungstabelle gebunden ist, und dadurch das Insolvenzgericht, das mit seinem Urteil das Verfahren beendet, daran hindert, Vertragsklauseln auf Missbräuchlichkeit zu prüfen“.
Ähnlich wie das deutsche Recht sieht das polnische Recht vor, dass Gläubiger ihre Forderungen anmelden. Der Insolvenzverwalter prüft die beim Insolvenzgericht angemeldeten Forderungen und fordert den Insolvenzschuldner auf, innerhalb einer festgesetzten Frist eine Erklärung abzugeben, ob er die Forderungen anerkennt. Der Insolvenzverwalter erstellt daraufhin eine Forderungstabelle, die der Insolvenzrichter nach widerspruchslosem Ablauf der Widerspruchsfrist genehmigt. Das Insolvenzgericht erstellt nach Genehmigung der Forderungstabelle und nach Anhörung des Insolvenzschuldners einen Plan zur Befriedigung der Gläubiger auf, aus dem sich ergibt, in welchem Umfang und innerhalb welcher Frist, die 36 Monate nicht überschreiten darf, der Insolvenzschuldner verpflichtet ist, die in der Forderungstabelle anerkannten Schulden zurückzuzahlen, und welcher Teil der Schulden nach dem Vollzug des Planes erlassen wird. So viel zum polnischen Recht.
ZVI 2025, 338
In dem Ausgangsverfahren ging es um ein Verbraucherinsolvenzverfahren, in dem hauptsächlich Forderungen einer Bank aus einem an den Schweizer Franken gebundenen Hypothekendarlehensvertrag mit einer Laufzeit von 30 Jahren angemeldet worden waren. Das für die Erstellung des Planes zur Befriedigung der Gläubiger zuständige polnische Insolvenzgericht war der Auffassung, dass der Hypothekendarlehensvertrag missbräuchliche Klauseln enthalte, die zu seiner Nichtigkeit führen könnten. Das Gericht war zu dieser Einsicht gelangt, weil der Insolvenzschuldner, der im Verfahren alle angemeldeten Forderungen anerkannt hatte und auch deren mögliche Unwirksamkeit nicht geltend gemacht hatte, nun in diesem späten Stadium des Verfahrens von einem Bevollmächtigten vertreten wurde, der sich entsprechend gegenüber dem Gericht geäußert hatte.
Der EuGH hat in seinem Urteil festgestellt, dass die Wahrung des – aus Art. 4 Abs. 3 EUV abgeleiteten – Effektivitätsgrundsatzes zwar nicht so weit gehe, eine völlige Untätigkeit des betroffenen Verbrauchers auszugleichen, aber eine nationale Regelung die Anwendung des Unionsrechts nicht unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfe. Da in dem späten Stadium, in dem die Unwirksamkeit des Darlehensvertrages geltend gemacht worden war, die Forderungstabelle nur unter Inkaufnahme einer Verlängerung des Insolvenzverfahrens zum Nachteil des Insolvenzschuldners erreicht werden könnte, widerspreche die Regelung des polnischen Insolvenzrechts, die das Insolvenzgericht an eine vom Insolvenzrichter genehmigte Forderungstabelle binde, einer effektiven Durchsetzung der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, wenn der Insolvenzrichter die mögliche Missbräuchlichkeit der der Forderung zugrunde liegenden Vertragsklauseln nicht geprüft hat.
Damit überträgt der Europäische Gerichtshof dem (polnischen) Insolvenzrichter faktisch die Prüfung der Wirksamkeit des Bestandes der Verträge am Maßstab des europäischen Verbraucherschutzrechtes, namentlich der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – und zwar unabhängig davon, ob der Schuldner die angemeldeten Forderungen bestritten hat oder die Unwirksamkeit des zugrunde liegenden Vertrages geltend gemacht hat. Denn diese Möglichkeit hätte der Insolvenzschuldner im zu entscheidenden polnischen Fall gehabt, aber nicht genutzt. Der Schuldner darf nur im späteren Verfahren „nicht völlig untätig“ sein.
Auch das deutsche Recht sieht eine Prüfung der angemeldeten Forderungen durch das Insolvenzgericht (§ 176 InsO) und eine Eintragung der Feststellung der Forderungen sowie etwaig erhobener Widersprüche (§ 178 Abs. 2 InsO) vor. Sinn und Zweck dieses Verfahrens ist, die Beteiligung der Insolvenzgläubiger an der Insolvenzmasse zu bestimmen. Daher obliegt es den anderen Gläubigern und dem Insolvenzverwalter Widerspruch einzulegen, wenn sie einer Beteiligung eines Gläubigers wegen einer von diesem angemeldeten Forderung etwas entgegenzusetzen haben (arg. e § 178 Abs. 1 Satz 2 InsO). Der Widerspruch des Schuldners steht der Feststellung der Forderung zwar nicht entgegen (§ 178 Abs. 1 Satz 2 InsO), hat aber vor allem Bedeutung für den Fall der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ohne Restschuldbefreiung, weil der Gläubiger aus einer Eintragung in die Tabelle, gegen die der Schuldner Widerspruch erhoben hat, nicht wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben kann (vgl. § 201 Abs. 2 Satz 1 InsO). Jedenfalls ist Gegenstand der Prüfung durch das Insolvenzgericht nicht der Bestand der Forderung und schon gar nicht die Prüfung, ob der der Forderung zugrunde liegende Vertrag eine missbräuchliche Klausel enthält.
Dem Verbraucherinsolvenzverfahren nach §§ 304 ff. InsO geht der Versuch einer außergerichtlichen und einer gerichtlichen Schuldenbereinigung voraus. Dies geschieht nicht auf der Grundlage einer Forderungsanmeldung durch die Gläubiger. Der Schuldner reicht mit dem Eröffnungsantrag ein Verzeichnis der Gläubiger und ein Verzeichnis der gegen ihn gerichteten Forderungen ein (§ 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Im Falle des Scheiterns der außergerichtlichen Schuldenbereinigung übernimmt das Gericht ohne inhaltliche Prüfung das vom Schuldner eingereichte Forderungsverzeichnis und macht es zur Grundlage für den gerichtlichen Schuldenbereinigungsplan (§ 307 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Unterschied zum Insolvenzverfahren und zum Verfahren nach polnischem Recht, das Gegenstand der Entscheidung des EuGH war, besteht darin, dass das Forderungsverzeichnis vom Schuldner erstellt wird und nicht auf einer Anmeldung der Forderungen durch die Gläubiger beruht. Allerdings ist auch hier der Fall denkbar, dass der Schuldner in einem späten Stadium des Verfahrens – etwa nach der Zustellung im gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren – Einwände gegen eine von ihm in das Verzeichnis aufgenommene Forderung erhebt, weil der zugrunde liegende Vertrag eine missbräuchliche Klausel enthalte.
Sind – um die Vorlagefrage des polnischen Gerichts auf die deutsche Rechtslage anzupassen – Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen dahin auszulegen, dass sie einer natio-ZVI 2025, 339nalen Regelung entgegenstehen, die vorsieht, dass das Insolvenzgericht bei der Eintragung einer Forderung in die Tabelle die der Forderung zugrunde liegenden Vertragsklauseln nicht auf Missbräuchlichkeit prüft, wenn der Schuldner seinen Widerspruch mit der Missbräuchlichkeit einer Klausel in einem Vertrag, den er als Verbraucher geschlossen hat, begründet? Steht den genannten Vorschriften eine nationale Regelung entgegen, wonach das Insolvenzgericht im (gerichtlichen) Schuldenbereinigungsverfahren die vom Schuldner angegebenen Forderungen auf einen späteren Einwand des Schuldners nicht auf etwaige Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln prüft?
Sie merken, woraus das hinausläuft? Vielleicht bekommt der EuGH ja noch die Kurve. Bleibt er bei seiner Einschätzung, bekämen Insolvenzgerichte ziemlich viel zu tun, wenn sie quasi von Amts wegen prüfen müssten, ob missbräuchliche Klauseln in einem einer Insolvenzforderung zugrunde liegenden Verbrauchervertrag verwendet worden sind. Ist der Einfluss des Europäischen Rechts auf das deutsche Insolvenzrecht gut?
Rechtsanwalt Dr. Stefan Saager, Berlin

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