ZVI 2024, 321

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2024 EditorialDaniel Blankenburg

Blick in die Glaskugel – Der Einsatz von KI in den Insolvenzgerichten

Die Möglichkeiten der Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) sind insbesondere seit der Präsentation von ChatGPT in aller Munde. Auch in der Justiz werden die Möglichkeiten des Einsatzes von KI mittlerweile erprobt. Im niedersächsischen Justizministerium ist ein Referat neben der elektronischen Akte explizit auch für KI zuständig. Es ist daher keine Frage, ob KI in Zukunft den Justizalltag prägen wird. Vielmehr stellt sich die Frage, wie der Einsatz dieser Technologie die Arbeit der Gerichte verändern wird.
Auch für die Insolvenzgerichte stellt sich die Frage, wohin die Reise in die digitale Zukunft gehen wird. Das Insolvenzrecht ist gerade im Bereich der Verbraucherinsolvenzverfahren von einer Vielzahl von gleichförmigen Verfahren geprägt, so dass sich dieser Bereich auch für den Einsatz von KI anbieten könnte. Insoweit ist aber zunächst festzustellen, dass gegenwärtig noch keine KI bei den Insolvenzgerichten eingesetzt wird.
Eine Anfrage bei ChatGPT, derzeit der Inbegriff von Künstlicher Intelligenz, zu den Einsatzmöglichkeiten von KI bei den Insolvenzgerichten bringt folgendes Fazit hervor: „Der Einsatz von KI in Insolvenzgerichten bietet großes Potenzial, die Effizienz und Genauigkeit von Verfahren zu verbessern. Allerdings erfordert dies sorgfältige Planung, rechtliche Rahmenbedingungen und den Aufbau von Vertrauen in die neuen Technologien. Es ist entscheidend, dass die Vorteile der KI mit den ethischen und rechtlichen Anforderungen in Einklang gebracht werden.“ Die Antwort zeigt schon eines der Probleme des Einsatzes von KI auf. Derzeit ist die Technologie noch so allgemein gehalten, dass sich die Ergebnisse zwar gut anhören können, allerdings für die Praxis noch nicht zu einsatzfähigen Ergebnissen führen. So bleibt die Antwort einer genauen Erläuterung schuldig, worin das große Potenzial liegen soll.
Ein großes Potenzial kann eine KI entfalten, wenn massenhaft Daten ausgewertet werden sollen. Daher muss man kein Prophet mit großem Weitblick sein, um vorauszusagen, dass KI bei den Insolvenzverwaltern tatsächlich erhebliche Auswirkungen auf die Tätigkeit haben kann. Dort müssen in kurzer Zeit große Mengen an unbekannten Daten ausgewertet werden, um einen Überblick über die Verfahren zu erlangen. In diesem Bereich kann KI ihre Stärke ausspielen. Der gerichtliche Teil des Verfahrens ist hingegen nicht mehr von einer schier unüberschaubaren Fülle an Informationen geprägt. Vielmehr müssen diese entweder von den Antragstellern oder dem Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht strukturiert aufbereitet übergeben werden. Dies mindert naturgemäß das Potential, das KI für die tägliche Arbeit haben kann.
Als möglichen Einsatzbereich für KI beim Insolvenzgericht kommen derzeit folgende Aspekte des Verfahrens in Betracht:
  • Auswertung von Anträgen in Verbraucherinsolvenzverfahren
  • Durchführung der Abstimmung in Schuldenbereinigungsplanverfahren und Insolvenzplanverfahren
  • Durchführung der Forderungsprüfung (Prüfung der Vollständigkeit der Anlage, Abgleich von Unterlagen)
  • ZVI 2024, 322
  • Überprüfung der Schlussrechnung
  • Festsetzung der Vergütung
  • Überprüfung der Stundung, Berechnung der Ratenhöhe
  • Automatisierte Benennung der eingehenden Schriftsätze nach vorgegebenen Namenskonventionen
Gerade die Prüfung von Anträgen im Verbraucherinsolvenzverfahren könnte sich für den Einsatz von KI anbieten, weil dort die Daten aufgrund des standardisierten Antragsformulars immer in gleicher Form vorliegen. Es könnte die Gerichte massiv entlasten, wenn die Anträge bereits dahin ausgewertet werden würden, an welchen Stellen Angaben fehlen oder diese widersprüchlich sind. Dies ist eine repetitive Tätigkeit, die nicht zwingend einer fundierten juristischen Ausbildung bedarf. Ggf. könnten die Antragsteller über Fehler noch vor dem Zeitpunkt informiert wird, zu dem sich erstmals ein Richter mit den Angaben beschäftigt. Die Verfahren könnten damit erheblich beschleunigt werden, wenn die üblichen Standardschreiben unterbleiben können, dass z. B. noch Angaben zur Ehefrau des Schuldners fehlen.
Auch wenn es im Insolvenzverfahren damit an Anwendungsbereichen für eine KI nicht mangelt, bedeutet dies jedoch nicht, dass diese Technologie auch zeitnah bei den Insolvenzgerichten zum Einsatz kommen wird. So verlockend die neuen Möglichkeiten auch klingen, stehen dem Einsatz derzeit noch zwei entscheidende Hürden entgegen.
Zum einen sind die Kosten für die individuelle Anpassung von KI massiv. Ein KI-Modell muss mit Daten trainiert werden. Es entstehen Aufwendungen für die Programmierung des Modells und dem anschließenden Einlesen der Daten. Insoweit erscheint es fraglich, ob die Justizverwaltung gewillt ist, die knappen Gesamtressourcen für den Insolvenzbereich als einen eher kleinen Teil der Justiz einzusetzen. Es ist daher eher zu erwarten, dass die KI bei den Insolvenzgerichten erst dann Einzug erhalten wird, wenn die Entwicklung allgemein so weit fortgeschritten ist, dass nur noch kleinere Anpassungen erforderlich sind. Ob und wann dies der Fall sein wird, kann derzeit noch nicht vorhergesehen werden.
Zum anderen ergeben sich beim Einsatz von KI massive datenschutzrechtliche Probleme. Die Justiz hat nicht selbst die Kapazitäten und Potentiale, um die erforderliche Software zu entwickeln. Dies müssen Drittanbieter übernehmen, die dann auf die Übermittlung der Justizdaten angewiesen sind. Gerade im Verbraucherinsolvenzverfahren müssten sämtliche Angaben zu den persönlichen und finanziellen Verhältnissen der Schuldner übermittelt werden. Die Justiz muss die Daten aus dem eigenen geschützten Bereich herausgeben, ohne im weiteren Verlauf tatsächlichen Einfluss darauf zu haben. Erforderlich wird es daher möglicherweise sein, die Daten erst zu anonymisieren, was den Arbeitsaufwand im Rahmen der Entwicklung der KI massiv erhöhen würde.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Blick in die Glaskugel derzeit noch getrübt ist. Kurzfristig wird der Einsatz von KI bei den Insolvenzgerichten nicht erfolgen. In welcher Form mittel- und langfristig ein Einsatz möglich sein wird, hängt neben der allgemeinen technischen Entwicklung in diesem Bereich auch von den fiskalischen Möglichkeiten der Justizverwaltung ab.
RiAG Dr. Daniel Blankenburg, Hannover, derzeit abgeordnet an den Bundesgerichtshof, Karlsruhe

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