ZVI 2023, 349

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2023 EditorialKai Henning

Der aktuelle Stand in Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung

Als anwaltlicher Schuldnerberater möchte ich mit Blick auf die 2024 gem. Art 107a EGInsO anstehende Evaluierung der Verbraucherentschuldung den aktuellen Stand in diesen Verfahren zusammenfassen. Das Jahr 2023 begann ruhig, nachdem die Zahl der Verbraucherinsolvenzen mit 65.487 im Jahr 2022 nach dem Peak des Jahres 2021 wieder das Durchschnittsmaß der letzten Jahre erreicht hatte. Die gesetzlichen Änderungen des Jahres 2020/2021 und insbesondere die Verkürzung der Laufzeit auf drei Jahre wurden problemlos umgesetzt, was schon daraus ersichtlich ist, dass sie in der aktuellen Rechtsprechung kaum vorkommen. Die Praxis hat die Änderungen also ohne viel Aufregung umgesetzt, und die Schuldner/innen erleben die Verkürzung als echte Erleichterung.
Die Antragszahlen sind angesichts der tatsächlichen Überschuldung der Bevölkerung vielleicht etwas zu niedrig, aber wirklicher Negativpunkt war und ist die Verstrickungsproblematik, die der Praxis viel Arbeit bereitet. Aus Beratersicht sei hier der fast unlösbare Fall eines von 15 Gläubigern verschiedener Couleur gepfändeten Kontos eines Schuldners, der partout kein neues Konto findet, genannt. Eine erfolgreiche Bearbeitung eines solchen Falles erfordert einen Aufwand, der viel zu viel wertvolle Arbeitszeit verschlingt. Erfreulicherweise kommen jetzt aber erste Signale aus Berlin, nach denen das BMJ mit den Verbänden eine Lösung zu diesem Problem finden möchte. Erste Vorschläge hierzu liegen bereits vor. Grote möchte § 114 InsO wiederbeleben (ZInsO 2023, 589), Ahrens schlägt Änderungen der §§ 89, 294 und 301 InsO vor (ZVI 2022, 205). Aus Praktikersicht halte ich es ergänzend für ratsam, die Rechtsfolgen der neuen Änderung, welche es auch sein wird, zur Arbeitserleichterung für die Drittschuldner in den Eröffnungsbeschluss, den Aufhebungsbeschluss und den Erteilungsbeschluss aufzunehmen.
Ein großer Paukenschlag war dann im März die Entscheidung der Schufa, das Datum „Restschuldbefreiung erteilt“ bei den betroffenen Schuldnern einschließlich sämtlicher Gläubiger bereits nach 6 Monaten zu löschen. Wir sind mittlerweile auf dem Stand, dass die Schufa tatsächlich wohl alle Eintragungen gelöscht hat, wie Mandantinnen bestätigen. Allerdings wird bislang nur bei einer Restschuldbefreiung nach durchlaufenem Insolvenzverfahren gelöscht. Andere Entschuldungen über eine außergerichtliche Einigung oder einen gerichtlichen Schuldenbereinigungsplan bleiben außen vor. Dies führt zu der zunehmenden Ansicht unter Schuldnerberater/innen, dass der Weg einer außergerichtlichen Einigung eigentlich nicht mehr gegangen werden kann, da die „Schufalöschung“ dann nicht zu erreichen ist. Wenn sich diese Ansicht durchsetzt, würde das zarte Pflänzlein „außergerichtliche Lösungen“ endgültig eingehen. Hier sollte deshalb bei der Evaluierung im nächsten Jahr an eine gesetzliche Lösung gedacht werden, die eine „Schufalöschung“ auch bei außergerichtlichen Entschuldungen einbezieht.
Der EU-Richtlinienentwurf mit seinen Ausführungen zu dem Verfahren für Kleinstunternehmen hat die Szene der Verbraucherinsolvenz mangels Betroffenheit zunächst weniger interessiert, aber es tauchen doch einige Fragen und Bedenken auf. Sollte es bspw. demnächst ein einfaches Verfahren ohne Insolvenzverwalter für Selbstständige mit bis zu neun Angestellten und einem Umsatz von bis 2 Mio. € geben, während in der Verbraucherinsolvenz alles beim Alten bleibt? Das erscheint unwahrscheinlich. Der Richtlinienentwurf wurde so in der Verbraucherinsolvenz ZVI 2023, 350zum Anstoß, das Thema der Vereinfachung auch dieses Verfahrens noch einmal intensiver aufzunehmen. Grote hat hier einen ersten großen Denkanstoß geliefert (ZInsO 2023, 870). Eine vom DAV moderierte Arbeitsgruppe wird in Kürze ebenfalls Vorschläge vorlegen.
In diesen Zusammenhang passt auch die aktuelle Anhörung des BMJ zu dem Vorschlag, die Verbraucherverfahren vollständig auf die Rechtspfleger/innen zu übertragen. Das Bayerische Staatsministerium hat diesen Vorschlag bereits im Oktober 2021 unterbreitet, der in der Vergangenheit allerdings stets von den Verbänden abgelehnt wurde. Aus Beratersicht gehört die gerichtliche Zuständigkeit nicht zu den Kernfragen. Rechtspfleger/innen werden die Verfahren ebenfalls beanstandungsfrei abwickeln können. Die mitunter juristisch komplexen Fragen bei einer Versagung der Restschuldbefreiung und im Insolvenzplanverfahren sollten allerdings in Richterhand bleiben.
Nach dem ruhigen Start ins Jahr sind wir also an einem Punkt angekommen, an dem im nächsten Jahr einige sinnvolle Änderungen durchaus möglich erscheinen. Zu dieser „Aufbruchstimmung“ passt, dass Ahrens aktuell vorschlägt, zahlungsunfähige Eigentümer von Wohnimmobilien besser zu schützen (NZI 2023, Heft 16/17 V). Das mutet auf den ersten Blick etwas überzogen an, ist aber bspw. in Italien bereits Realität. Auch die Frage der Haftung des Schuldners für Masseverbindlichkeiten (vgl. BFH ZVI 2018, 227) und eine grundsätzliche Neuorientierung hinsichtlich der Ausnahme der vorsatzdeliktischen Forderungen von der Restschuldbefreiung sind mögliche weitere Diskussionspunkte. Bornemann weist in anderem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass auch tiefgreifende Änderungen bedeuten können, den eigenen Vorgaben treu zu bleiben (NZI 2023, Sonderbeilage 1/23). In diesem Sinne freue ich mich, in den nächsten Monaten gemeinsam mit Ihnen – zwar etwas unerwartet aber umso motivierter – die Verbraucherentschuldung und die mit ihr zusammenhängenden Verfahrensfragen weiter voranzubringen.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht Kai Henning, Dortmund

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