ZVI 2022, 325

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2022 EditorialDaniel Blankenburg

Wandel des Prüfungsumfangs durch das Insolvenzgericht in Verbraucherinsolvenzverfahren

Mit Ausnahmen der Reform der (vorzeitigen) Restschuldbefreiung bietet die Insolvenzordnung seit Jahren den gleichen gesetzlichen Rahmen für das Verbraucherinsolvenzverfahren. Insoweit haben sich geübte Routinen für den Prüfungsumfang und die Erledigung der Aufgaben der Insolvenzgerichte herausgebildet. Während Regelinsolvenzverfahren mit Eigenverwaltung und Planverfahren einen gewissen Gestaltungswillen des Insolvenzgerichts voraussetzen, sind die Verbraucherinsolvenzverfahren von gleichbleibenden Routinen geprägt. Allerdings bedingten Änderungen der Rechtsprechung des BGH, Gesetzesanpassungen in eigentlich anderen Bereichen sowie die Digitalisierung Anpassungen dieser Routinen. Nachfolgend wird ein kurzer Überblick gegeben, wo sich zukünftig Problemfelder für die Insolvenzgerichte ergeben können.

I. Bescheinigung gem. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO

Mit Beschluss vom 24. 2. 2022 (IX ZB 5/21, ZVI 2022, 189) hat der BGH einen seit Jahren in der Praxis schwelenden Meinungsstreit entschieden. In der Instanzrechtsprechung war umstritten, ob und in welchem Umfang das Insolvenzgericht berechtigt sei, die Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuchs gem. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu prüfen (dazu nur LG Köln ZInsO 2016, 289; LG Düsseldorf, ZVI 2017, 145). Der Streit entzündete sich insbesondere an Fallkonstellationen, bei denen aus der Bescheinigung offensichtlich wurde, dass eine persönliche Beratung vor Ort aufgrund der Distanz zwischen dem Bescheiniger und dem Schuldner nicht erfolgt sein konnte. Der BGH hat nunmehr entschieden, dass dem Insolvenzgericht insoweit keine Prüfungskompetenz zukommt. Das Insolvenzgericht ist nicht befugt, eine inhaltliche Prüfung der Bescheinigung vorzunehmen (BGH ZVI 2022, 189, Rz. 13 ff.). Da nur eine geeignete Stelle zum Erstellen der Bescheinigung berechtigt ist, ist eine Kontrolle bereits über das jeweilige Berufsrecht gewährleistet.
Auch wenn sich die Entscheidung des BGH nur auf die Prüfung des Umfangs der persönlichen Beratung bezog, wird die Entscheidung Auswirkung auf die übrige Prüfungskompetenz der Insolvenzgerichte haben. Sie werden auch nicht befugt sein zu prüfen, ob der 6-Monats-Zeitraum wirklich eingehalten wurde. In der Praxis sind immer wieder Fälle aufgetreten, bei denen die Bescheinigung des 6-Monats-Zeitraums offensichtlich nicht zutreffend war (dazu nur AG Hannover ZVI 2018, 97). Zukünftig wird sich die Prüfung des Insolvenzgerichts darauf zu beschränken haben, ob eine Bescheinigung vorliegt und ob mit dem dort angegebenen Datum die Frist von 6 Monaten noch eingehalten wurde. Bei offensichtlichen Fehlbescheinigungen sowohl hinsichtlich der persönlichen Beratung als auch der Einhaltung des Zeitraums bleibt den Insolvenzgerichten nichts mehr anderes übrig, als diese Verstöße den zuständigen Aufsichtsbehörden oder Kammern zu melden.

II. Kontoauskünfte

Ein neuer Tätigkeitsbereich, der sich für die Insolvenzgerichte eröffnen wird, sind die Auskünfte nach § 98 Abs. 1a InsO. Ab dem 1. 11. 2022 werden die Insolvenzgerichte befugt sein, Auskünfte über Konten, die Kfz oder die Ar-ZVI 2022, 326beitgeber des Schuldners einzuholen. Die Regelung, die primär eine Wiederholung der bereits in § 802l ZPO normierten Voraussetzungen für die Einzelzwangsvollstreckung darstellt, ist sehr weit geraten (dazu Blankenburg, ZInsO 2022, 1321). Bei einer extensiven Interpretation durch die Insolvenzgerichte besteht die Möglichkeit, dass Insolvenzverwalter standardmäßig die Informationen einfordern werden. Es wird sich erst in Zukunft zeigen, ob damit eine erhebliche Mehrbelastung der Insolvenzgerichte einhergeht. Dies wird auch davon abhängen, ob ein möglicher Informationsgewinn wirklich zu einer Steigerung der Insolvenzmassen führen oder ob dadurch lediglich Mehrarbeit für Verwalter und Gericht produziert wird.

III. GIS

An § 5 InsO wurde mit dem SanInsFoG ein neuer Abs. 5 angefügt. Dieser sieht vor, dass in Insolvenzverfahren durch die Insolvenzverwalter ein Gläubigerinformationssystem (GIS) vorgehalten werden soll. Aufgrund der Struktur der Norm, die nur bei bestimmten größeren Verfahren die Einrichtung eines GIS zwingend vorschreibt, im Übrigen aber als Soll-Bestimmung ausgestaltet ist, ist umstritten, ob ein entsprechendes System auch im Verbraucherinsolvenzverfahren vorzuhalten ist (Lüdtke, ZVI 2021, 91; Blankenburg/Heyer, ZInsO 2022, 501, 503; Kollbach, ZIP 2022, 199, 203; a. A. wohl BeckOK InsO/Madaus, Stand: 4/2022, § 5 Rz. 28). Wird die Pflicht des Insolvenzverwalters zur Führung eines GIS bejaht, ist das Insolvenzgericht verpflichtet, im Rahmen der Aufsicht zu prüfen, ob in den jeweiligen Verfahren ein solches System für die Gläubiger eingerichtet wurde. Dies bedingt, dass der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht die Einrichtung mitteilt und die erforderlichen Zugangsdaten zur Verfügung stellt. Wird auf die Einrichtung verzichtet, muss dies im Angesicht dessen, dass es sich nicht um eine Kann- sondern um eine Soll-Bestimmung handelt, gegenüber dem Insolvenzgericht begründet werden.

IV. Akteneinsicht

Das Recht zur Akteneinsicht ist in § 299 ZPO geregelt. Zwar wurde diese Norm inhaltlich nicht geändert. Jedoch können sich durch die Digitalisierung neue Aufgabenfelder und Probleme für die Insolvenzgerichte ergeben. Bisher wurde die Akteneinsicht denkbar restriktiv gehandhabt. In laufenden Verfahren wurde eine solche nur durch Einsicht in die Akten vor Ort gewährt. Ein Versand der Akten erfolgte grundsätzlich nicht. Dieses Prozedere hat es meist unwirtschaftlich gemacht, Akteneinsicht zu nehmen und ggf. aktiv am Verfahren teilzunehmen (z. B. durch Stellung eines Antrags auf Versagung der Restschuldbefreiung). Zunehmend werden aber die Gerichte digitalisiert. Auch in den Insolvenzverfahren findet die elektronische Akte Einzug. Im Rahmen einer elektronischen Akte ist es allerdings deutlich einfacher Akteneinsicht zu gewähren, da die Daten kopiert und auf einfachem Weg zur Verfügung gestellt werden können. Spätestens wenn das Akteneinsichtsportal vollständig zur Verfügung steht, stellt die Akteneinsicht für die Gläubiger und ihre Vertreter keine große Hürde mehr da. Nehmen nur 10 % der Gläubiger ihr Recht auf Akteneinsicht wahr, bedeutet dies einen erheblichen Arbeitszuwachs für die Insolvenzgerichte. Es ist jeweils immer individuell zu prüfen, ob Akteneinsicht gewährt werden kann. Es kann kein allgemeines Placet erteilt werden, so dass das Insolvenzgericht in jedem Einzelfall entscheiden muss.
Richter am AG Daniel Blankenburg, Hannover, derzeit abgeordnet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den IX. Zivilsenat des BGH

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