ZVI 2021, 325

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2021 EditorialProf. Dr. Andreas Rein, Ludwigshafen am Rhein

Hätte ich zwei Wünsche frei….

Am 26. September 2021 wird der neue Bundestag gewählt. Da liegt es nahe, über mögliche Änderungen im Bereich des Insolvenzrechts nachzudenken und diese vielleicht gleich als Wünsche an die neue Bundesregierung zu formulieren. So hat im Editorial des Junihefts dieser Zeitschrift (ZVI 2021, 169) Kai Henning bereits einige wichtige Problemstellungen angesprochen. Auch dem Verfasser besonders am Herzen liegt die dort angeführte mögliche Abschaffung des verpflichtenden außergerichtlichen Einigungsversuchs. Eher nicht im Fokus stehen hingegen Fragestellungen an der Schnittstelle von Insolvenz-/Vollstreckungsrecht und Sozialrecht. Hier harren einige Konstellationen der Entdeckung durch den Gesetzgeber, so dass sich deren systematische Untersuchung durchaus anbietet. Nachfolgend sollen zwei Fragestellungen besonders angesprochen werden, die gerade im Beratungsalltag von Schuldnerberaterinnen und -beratern auftreten.
Um gleich mit etwas als unantastbar Erscheinendem zu beginnen, wird zunächst auf die Aufrechnung durch Sozialleistungsträger im Verbraucherinsolvenzverfahren (gem. § 51 SGB oder z. B. auch gem. §§ 42a, 43 SGB II) eingegangen. Diese wird nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte während des Insolvenzverfahrens und der Wohlverhaltensphase mit dem unpfändbaren Teil (§ 54 Abs. 4 SGB I i. V. m. §§ 850 ff. ZPO) einer Sozialleistung oder einer insgesamt unpfändbaren Sozialleistung (z. B. Alg II, Sozialhilfe) für zulässig erachtet. Teilweise wird sogar eine Aufrechnung mit einer von der Restschuldbefreiung erfassten Forderung als zulässig angesehen (so LSG München, Urt. v. 21. 3. 2018 – L 13 R 25/17, ZVI 2018, 352; dagegen LSG Essen, Urt. v. 15. 3. 2018 – L 19 AS 1286/17, ZVI 2018, 395). Die darin unbestreitbar liegende Privilegierung gegenüber anderen Gläubigern wird von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung regelmäßig als „vom Gesetzgeber aus sozialpolitischen und verwaltungstechnischen Gründen gewollt“ gerechtfertigt (vgl. LSG München, Urt. v. 23. 4. 2013 – L 20 R 819/09, BeckRS 2013, 69696). Privilegien einer Gläubigergruppe sollten aber im Insolvenzverfahren – auch wenn dadurch wie hier die Gläubigergesamtheit nicht benachteiligt wird – immer misstrauisch beäugt werden, denn der Gesetzgeber der InsO hatte sich ja gerade die Abschaffung der Vorrechte bestimmter Gläubigergruppen auf die Fahne geschrieben. Die Frage, ob Aufrechnungsmöglichkeiten eines Sozialleistungsträgers in einem beabsichtigten Verbraucherinsolvenzverfahren bestehen, hat unbestreitbar Auswirkungen darauf, ob dann letztlich ein Antrag gestellt wird. Denn spätestens mit der Antragstellung werden zögernde Leistungsträger neben der Anmeldung der Forderung auch die Aufrechnung erklären. Aus dem „kann“ in § 51 SGB I oder § 43 SGB II wird damit ein „wird“. Das kann man so hinnehmen, aber die Rechtfertigung dieser Sonderstellung gehört aus Sicht des Verfassers auf den Prüfstand gestellt. Will man die Entschuldung überschuldeter Personen weiter fördern (und dafür spricht ja unter anderem die Verkürzung der Restschuldbefreiungsdauer auf drei Jahre), sollte man diesen nicht im Verfahren und der Wohlverhaltensperiode ein längerfristiges Wirtschaften unterhalb des Existenzminimums oder jedenfalls der Pfändungsgrenze zumuten. Man könnte auch über eine zeitliche Befristung der Aufrechnungsmöglichkeit nach § 51 SGB I oder nach § 43 ZVI 2021, 326SGB II nachdenken. In jedem Fall empfiehlt sich auf Grund der Entscheidung des LSG München und der dadurch aufgekommenen Rechtsunsicherheit eine gesetzliche Regelung zum Verbot der Aufrechnung nach erteilter Restschuldbefreiung.
Eine Harmonisierung von Zwangsvollstreckungs- und Sozialrecht ist bei der Pfändung des Einkommens eines Schuldners, der Stiefkindern oder nichtehelichen Partnern gegenüber einstandspflichtig (z. B. gem. § 9 Abs. 2 SGB II) ist, unbedingt erforderlich. Hier haben verschiedene Fallkonstellationen gezeigt, dass ohne die Ermöglichung einer Anhebung des Pfändungsfreibetrags der Schuldner entweder erstmals hilfebedürftig oder eine bereits bestehende Hilfebedürftigkeit vertieft werden kann. Eine entsprechende Harmonisierung hatte der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum PKoFoG auch eingefordert und eine Änderung des § 850f Abs. 1 Buchst. a ZPO a. F. angemahnt, durch die in derartigen Konstellationen einer „faktischen Unterhaltspflicht“ eine Erhöhung des Pfändungsfreibetrags ermöglicht worden wäre (BT-Drucks. 19/19850 v. 10. 6. 2020, S. 54). Bekanntlich ist es anders gekommen: Durch eine zum 8. 5. 2021 in Kraft getretene Änderung ist eine Erhöhung des unpfändbaren Betrags gem. § 850f Abs. 1 Nr. 1 ZPO nunmehr ausdrücklich nur bei einer gesetzlichen Unterhaltspflicht des Schuldners möglich. Um in den genannten Fällen einer sozialrechtlichen Einstandspflicht aber die Zwangsvollstreckung nicht zu Lasten des Staates durchzuführen (vgl. dazu Rein/Zimmermann, ZVI 2020, 330, 332), muss dringend eine Korrektur erfolgen, die hier für eine Unpfändbarkeit sorgt.
Würden diese Wünsche doch erfüllt….

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