ZVI 2020, 325

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2020 EditorialHildegard Allemand / Kai Henning

Rückfall in alte Zeiten – Das falsche Schuldnerbild des Regierungsentwurfs

Wir werden in der Coronakrise konfrontiert mit existenziellen und unabsehbaren wirtschaftlichen Problemen. Das Vorziehen der 3-Jahres-Regelung zur Restschuldbefreiung nach dem aktuellen Regierungsentwurf ist daher uneingeschränkt zu begrüßen. Weitere Regelungen des Entwurfs sind aber schwer nachzuvollziehen und werden zu Recht stark kritisiert. Schmidt und Heyer haben in dieser Zeitschrift bereits fundiert ihre gegensätzlichen Standpunkte hierzu dargelegt.
Wir fragen uns, welches Schuldnerbild hinter diesem Entwurf steht. Gut, Schuldner haben es in Deutschland generell schwer. Wir sind noch meilenweit von einer Kultur der zweiten Chance entfernt, und auch aufgeklärten Zeitgenossen rutscht schon mal ein „eigentlich sollten Schulden doch gezahlt werden“ heraus, anstatt dass sie Verständnis für die Betroffenen zeigen. Dass nun aber offensichtlich auf Druck der Inkassolobby ein Schuldnerbild Grundlage eines Regierungsentwurfes wird, das von Misstrauen, vorwerfbarer Verschwendung und Wiederholungsgefahr geprägt ist, entspricht in keiner Weise der gebotenen Besonnenheit von Exekutive und Gesetzgebung. Wir wähnten uns auf einem guten Weg, als die Schufa in ihrem Kreditkompass 2019 hervorhob, wie rückzahlungstreu deutsche Schuldner mit fast 98 % sind, und dass Hauptgründe einer Verbraucherkrise Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Krankheit sind. Wenn dies so ist, warum rühmt sich die Inkassobranche jetzt, „mit Macht“ Regelungen durchgesetzt zu haben, die auf längere Sperrfristen, weitere Versagungsgründe und lange Speicherfristen auch für das Merkmal „Restschuldbefreiung erteilt“ setzen? Und warum, darf wohl auch gefragt werden, geht die Regierung in ihrem Entwurf sogar noch über diese Forderungen hinaus und möchte eine systemfremde Versagung der Restschuldbefreiung von Amts wegen einführen?
Kurzum: Wir sind offensichtlich wieder in den Urzeiten der Restschuldbefreiung angekommen. Der Schuldner allein ist der böse Bube, der für „seine“ Schulden büßen muss, der streng zu kontrollieren ist und der auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung ein weit überdurchschnittliches Risiko einer erneuten Zahlungsunfähigkeit in sich trägt, und von daher das Schufa-Brandmal „Restschuldbefreiung erteilt“ noch drei Jahre zu tragen hat. Die Gläubiger, die darlehensgebenden Geldinstitute oder der auf Raten verkaufende Versandhandel (Handwerkerforderungen kommen in der Verbraucherinsolvenz fast nie vor), bleiben außen vor. Nach dem Regierungsentwurf ist zu evaluieren, wie sich die neue 3-Jahres-Frist auf das „Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten der Verbraucher“ auswirkt. Die Verantwortung für eine Verbraucherinsolvenz wird so auf plumpe Weise nur dem Verbraucher zugewiesen, als ob er allein es ist, der eine Hausfinanzierung beginnt, einen Kredit aufnimmt oder beim Versandhandel auf Raten bestellt.
Restschuldbefreiung ist die notwendige und gewollte Kehrseite einer auch auf kreditfinanziertes Wachstum setzenden Volkswirtschaft. Es ist tatsächlich eine interessante Frage, wie sich die 3-Jahres-Regelung auf die Kreditvergabe auswirken wird (wir glauben gar nicht, wie schon die Einführung der Restschuldbefreiung und die Abschaffung des Abtretungsprivilegs nicht), aber es wird bei ihrer Beantwortung auf Schuldner und Gläubiger ankommen. Denn auch Banken und Handel wollen Kredite nicht nur gegen ausreichende Sicherheiten vergeben und sitzen so im Boot „Verbraucherinsolvenz“ mit am Steuer. Oder mit dem BVerfG gefragt: Warum sorgen Gläubiger nicht bereits bei Vertragsabschluss für eine Absicherung ihrer Forderung und gehen so durch eigenes Verhalten das Risiko der mangelnden Durchsetzbarkeit ihrer Forderung ein (Beschl. v. 22. 12. 2005 – 1 BvL 9/05, ZVI 2006, 125, Rz. 19)?
Die Coronakrise ist eine große Bewährungsprobe für die Restschuldbefreiung. Schaffen wir es, Menschen, die nicht nur alles verloren haben, sondern auch noch ins Minus gerutscht sind, die Hand zu reichen und sie in einem fairen Verfahren aus dem Schuldensumpf zu ziehen, ohne die Ansprüche an ihre „Redlichkeit“ zu überspannen? Mit den Regelungen des Regierungsentwurfes und dem ihm zugrunde liegenden Schuldnerbild wird dies nicht gelingen.
Rechtsanwältin Hildegard Allemand, Köln
Rechtsanwalt Kai Henning, Dortmund

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