ZVI 2019, 329

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2019 EditorialThomas Reck

Wenn der Urlaub zur Pleite wird…

Ich bin Insolvenzgläubiger in einem schwedischen Insolvenzverfahren: Im Januar 2018 habe ich bei der Fluggesellschaft Nextjet einen Flug von Tromsø nach Luleå im Oktober 2018 gebucht und mit meiner Kreditkarte bezahlt. Im Mai 2018 musste ich die Reise wegen der Insolvenz von Nextjet leider umplanen. Eine Reklamation für die Kreditkartenbelastung aus dem Januar 2018 – der sog. Chargeback, dazu später mehr – wurde abgelehnt, da seit der Buchung über 120 Tage vergangen waren.
Im Juni 2018 habe ich die Forderungsanmeldung per E-Mail an den schwedischen Insolvenzverwalter geschickt: „… please find attached my bankruptcy claim …“ und eine angehängte pdf-Datei. Seite 1 ein Anschreiben, optimistisch mit meiner Bankverbindung, Seite 2 bis 3 die Buchungsbestätigung. Gehört habe ich davon bis heute nichts mehr. Ich vertraue darauf, dass das schwedische Insolvenzrecht eine § 179 Abs. 3 Satz 3 InsO entsprechende Regelung enthält.
Nach diesem Absatz wird sich der eine oder andere Leser fragen: Per E-Mail? Ja, per einfacher, unsignierter E-Mail von thomas@… Hierzulande undenkbar. Daran ist zu erkennen, wie sich bei uns Digitalisierung und Verfahrensrecht gegenwärtig noch im Wege stehen: Die forderungsbegründenden Unterlagen müssen nicht zwingend im Original vorgelegt werden, aber die Anmeldung als solche hat schriftlich zu erfolgen, sofern nicht der Insolvenzverwalter die elektronische Übermittlung nach § 174 Abs. 4 InsO eröffnet. Wenn man elektronisch anmelden kann, müssen die Unterlagen trotzdem noch konventionell nachgereicht werden, obwohl eigentlich kein Original erforderlich ist. Von der Versendung beglaubigter Tabellenauszüge für bestrittene Forderungen einmal ganz zu schweigen. Das muss man nicht verstehen. Der VID hat die Problematik bereits im Eckpunktepapier Insolvenzverfahren 4.0 verarbeitet.
Am Rande, was ist denn dann mit der elektronischen Rechnung, die der InsO derzeit noch völlig fremd ist? Das Original stellt dann die Datei mit den Rechnungsdaten dar. Eine lesbare und sichtbare „Kopie“ gibt es nicht, allenfalls eine Visualisierung des Dateiinhalts. Nicht nur hieran ist zu sehen, dass die InsO mit der Entwicklung nicht Schritt hält. Nachdem es erste Erfahrungen mit Großverfahren schon im Bereich der Stromanbieter gab, ist mit Air Berlin, topbonus und Germania noch eine andere Branche hinzugekommen.
Beim Strom zahlt man, was man bekommt, spätestens mit der Jahresabrechnung. Der Anbieter kann auch gewechselt werden. Anders liegt es dagegen bei der Pleite einer Fluggesellschaft: Wer nicht durch eine das Problem auf den Veranstalter verlagernde Pauschalreise auf der sicheren Seite ist, sondern Flug und Unterkunft separat gebucht hat, droht in die Röhre zu schauen.
Erstmals mit der Insolvenz von Air Berlin und nachfolgend auch im Verfahren von Germania machte ein Begriff die Runde, den bis dahin wohl nur die wenigsten Kreditkartenbesitzer kannten: der Chargeback (allgemein näher dazu Schur/Schur, JA 2017, 739). Vereinfacht gesagt: Die per Kreditkarte bezahlte Flugbuchung wurde zunächst bei der ZVI 2019, 330kartenausgebenden Bank als nicht erbracht reklamiert, was im Idealfall in einer Gutschrift der zuvor belasteten Zahlung resultierte. Das alles macht fraglos Sinn und hat seine Berechtigung in Situationen wie Kartenmissbrauch und formal fehlerhaften Abrechnungen.
Durch die Airline-Insolvenzen erlangte der Chargeback jedoch schlagartig eine andere Wahrnehmung und wurde im Internet mitunter sogar als eine Art in der Kreditkarte inkludierte Insolvenzversicherung gepriesen, wenn nur eine Flugleistung und keine Pauschalreise gebucht worden war. In vielen Fällen vorgenommene Erstattungen scheinen diesen Eindruck noch verstärkt zu haben, da somit ein Verlust aus der Insolvenz vermieden schien.
Hieran zeigt sich aber auch, welche Eigendynamik sich entwickeln kann, wenn Darstellungen auf eine einseitige Sichtweise fokussiert sind. Die Theorie von der „Insolvenzversicherung“ krankt schon daran, dass es danach einen Beteiligten geben müsste, der – für welche Gegenleistung? – das Ausfallrisiko aus Chargebacks auf sich nimmt. Bei Schuldnern wie einer Fluggesellschaft undenkbar, da durch die Geschäftstätigkeit bedingt in der Krise des Unternehmens innerhalb eher überschaubarer Zeit ein immenses Forderungsvolumen aus noch nicht abgeflogenen Tickets aufgebaut wird.
Noch wesentlich gravierender erscheint aber der Umstand, dass bei solchen Sachverhalten schnell Einzelheiten auf der Strecke bleiben können, die rechtlich bedeutsam sind. Das betrifft bei diesem Szenario den Umstand, dass der Grundsatz „Leistung nicht erbracht gleich Geld zurück“ in der Insolvenz nun einmal nicht gilt, siehe §§ 103, 105 InsO. Daran ändern auch gegenteilige Regelungen in Kreditkarten-AGB nichts. Der Chargeback stellt eine ausnahmsweise Lösungsmöglichkeit von dem im Rahmen des Zahlungsprozesses unter Verwendung der Kreditkarte abgegebenen abstrakten Schuldversprechens gegenüber der Zahlungsempfängerin dar, hat aber keine Auswirkungen auf einen Zahlungsanspruch aus der vertraglichen Beziehung zwischen dieser und dem Kunden. Nach Berichten auf einschlägigen Reiseseiten im Internet wurde jedenfalls bei Air Berlin bereits mit der Abarbeitung der Liste offener Posten begonnen. Die Urlaubspleite wird im Insolvenzrecht also noch länger präsent bleiben.
Assessor Thomas Reck, Bremen

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