ZVI 2025, 329

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2025 Report 

Stellungnahme des VID zum RefE des SchuBerDG

I. Einleitung

Am 18. Oktober 2023 hat die Europäische Union die Richtlinie (EU) 2023/2225 (nachfolgend auch: Verbraucherkredit-RL-neu oder Richtlinie) über Verbraucherkreditverträge verabschiedet. Die Richtlinie hat die Aufhebung der bisherigen Richtlinie 2008/48/EG zur Folge und führt zugleich eine Ergänzung bestimmter Regelungsbereiche der Richtlinie 2002/65/EG herbei. Hintergrund für die Neufassung war die Erkenntnis, dass die Vorgängerrichtlinie nur eingeschränkt wirksam war: Unklare Formulierungen führten zu einer fragmentierten und uneinheitlichen Umsetzung in den Mitgliedstaaten. Zudem wies sie in wesentlichen Bereichen, insbesondere im Hinblick auf die fortschreitende Digitalisierung, Lücken auf.
Digitale Plattformen, automatisierte Entscheidungsverfahren und neue Formen der Kreditvergabe – etwa per App oder durch sogenannte Online-Sofortkredite – prägen heute maßgeblich den Alltag von VerbraucherInnen in Europa. Die neue Richtlinie verfolgt das Ziel, dem veränderten Marktgeschehen Rechnung zu tragen und den Verbraucherschutz in einem zunehmend digitalisierten Umfeld zu stärken.
In Artikel 36 Absatz 1 der Verbraucherkredit-RL-neu werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, sicherzustellen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher, die Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen haben oder haben könnten, unabhängige Schuldnerberatungsdienste in Anspruch nehmen können. Diese Dienste dürfen nur begrenzt Entgelte verlangen.
Zur Umsetzung dieser Vorgaben hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) einen Referentenentwurf für ein „Gesetz über den Zugang zu Schuldnerberatungsdiensten für Verbraucher“ (Schuldnerberatungsdienstegesetz – SchuBerDG)1 vorgelegt. Das Gesetz soll zum 20. November 2026 in Kraft treten und gewährleisten, dass überschuldeten Personen ein qualifizierter, unabhängiger und rechtlich abgesicherter Zugang zu Schuldnerberatungsangeboten offensteht.
Der VID begrüßt das Ziel des Entwurfs, den Zugang zur Schuldenberatung für VerbraucherInnen gesetzlich zu regeln und somit als Bestandteil der sozialen Daseinsvorsorge anzuerkennen. Gleichwohl bedarf der Entwurf an mehreren Stellen der Nachbesserung, um seinem eigenen Anspruch an Wirksamkeit und Rechtsverbindlichkeit tatsächlich gerecht zu werden und die Vorgaben der Richtlinie ins nationale Recht umzusetzen. Dies gilt insbesondere für den verpflichtenden Einsatz bereits bestehender Digitalisierungswege.
Im Folgenden wird unter II. zunächst auf das dringende Erfordernis der Digitalisierung eingegangen. Im Anschluss daran erfolgt unter III. eine detaillierte Erörterung der einzelnen Regelungsvorschläge des Referentenentwurfs.

II. Zur Digitalisierung

In einer Vielzahl von Erwägungsgründen der Richtlinie wird die Relevanz technologischer Entwicklungen betont und eine angemessene digitale Anpassung der Strukturen gefordert (s. etwa Erwägungsgründe 3, 4, 6, 33, 93, 94). Bereits in Art. 28 der Richtlinie (EU) 2019/102 (Restrukturierungsrichtlinie) forderte der europäische Gesetzgeber den Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel für Verfahrensbeteiligte (also auch der Schuldner und Schuldnerberater) in Entschuldungsverfahren.
Die Übertragung der Pflichten zur Schaffung von unabhängigen Schuldnerberatungsdiensten auf die Länder allein entspricht nicht der Zielsetzung der Richtlinie. Die Intention des euro-ZVI 2025, 330päischen Gesetzgebers würde dann erfüllt, wenn die nationale Umsetzung Raum schafft für digitale Schnittstellen und vernetzte Systeme, welche die bestehenden Beratungskapazitäten effektiv koordinieren und nicht den Bundesländern mehr Last auferlegt.
Der VID plädiert mit seiner Initiative Insolvenzverfahren 4.0 seit Jahren dafür, die Digitalisierung in allen relevanten Bereichen voranzutreiben. Die Umstellung von analoger auf digitale Datenübermittlung und -speicherung sowie von PDF auf strukturierte Daten sowie die Einrichtung einer einheitlichen technischen Schnittstelle wurde in zahlreichen Erfahrungsberichten als ein wesentlicher Faktor zur signifikanten Entlastung zentraler Anlaufstellen und Verwaltungen identifiziert. Um Medienbrüche bei Verbraucherinsolvenzen zu vermeiden, sollte die Digitalisierung somit bereits bei den Schuldnerberatungsstellen beginnen, indem entsprechende Daten dort digital und nicht analog eingereicht und verarbeitet werden. Die dort gewonnen Daten könnten sodann im Fall des Scheiterns der außergerichtlichen Schuldenbereinigung im Rahmen der Antragsstellung nach § 305 InsO an die Gerichte übermittelt werden. Die Gerichte könnten die Daten effektiv weiterverarbeiten und im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Insolvenzverwalter übermitteln.
Die Implementierung einheitlicher technischer Schnittstellen, elektronischer Akten und digitaler Antragsformulare bei den Schuldnerberatungsdienststellen, Gerichten und Insolvenzverwaltern würde eine Reduktion des Verwaltungsaufwands, eine Verbesserung der Kommunikationsprozesse zwischen den Verfahrensbeteiligten sowie eine signifikante Steigerung der Effizienz und Erreichbarkeit der Angebote bewirken.
Eine weitere Möglichkeit wäre die Implementierung einer digitalen Plattform, die bundesweit Kapazitäten der öffentlichen und freien Beratungsstellen gemäß § 5 SchuBerDG-E (s. u.) transparent darstellte, Zugänge für Ratsuchende – auch in ländlichen Räumen – erleichtert sowie anwaltliche, gerichtliche und soziale Akteure auf sicherem Weg vernetzte.
Ein solches System würde nicht nur dem Anspruch einer nutzerfreundlichen Digitalisierung gerecht, sondern auch den Anforderungen an ein effektives und zugängliches Schuldnerhilfesystem, wie sie die EU-Richtlinie in Art. 36 ausdrücklich fordert.
Die Digitalisierung der Abläufe sollte aber nicht erst bei den personell stark beanspruchten Schuldnerberatungsstellen, sondern bei den betroffenen Verbrauchern beginnen. Diese sollten von Beginn an verpflichtet werden, die relevanten Daten in digitaler Form vorzulegen. Eine Verpflichtung, die die Bürgerinnen und Bürger auch in anderen Bereichen, wie etwa bei der Jahressteuererklärung oder bei dem Antrag auf Arbeitslosengeld trifft. Eine digital geführte Dateneingabe entlastet nicht nur die Schuldnerberatungsstellen, sondern ermöglicht auch eine deutlich verbesserte Menüführung, die in mehreren Sprachen angeboten werden kann.
Für die Implementierung der Technik sind die Schuldnerberatungsstellen mit den erforderlichen Mitteln auszustatten und bundeseinheitliche Antragsvorgaben zu machen.

III. Zum Referentenentwurf

1. Rechtsgrundlage

Richtlinie (EU) 2023/2225
Artikel 36
Schuldnerberatungsdienste
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Verbrauchern, die Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen haben oder haben könnten, unabhängige Schuldnerberatungsdienste, für die nur begrenzte Entgelte zu entrichten sind, zur Verfügung gestellt werden.
(2) Zur Erfüllung der Verpflichtungen gemäß Absatz 1 verfügen die Kreditgeber über Verfahren und Strategien zur frühzeitigen Erkennung von Verbrauchern, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind.
(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Kreditgeber Verbraucher, die Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen haben, an Schuldnerberatungsdienste verweisen, die für den Verbraucher leicht zugänglich sind.
(4) Die Kommission legt bis zum 20. November 2028 einen Bericht mit einem Überblick über die Verfügbarkeit von Schuldnerberatungsdiensten in allen Mitgliedstaaten vor, in dem bewährte Verfahren für die weitere Entwicklung dieser Dienste benannt werden. Die Mitgliedstaaten erstatten der Kommission bis zum 20. November 2026 und danach jährlich Bericht über die verfügbaren Schuldnerberatungsdienste.

2. Im Einzelnen

a) § 1: Zugang zu Schuldnerberatungsdiensten

Die Länder stellen sicher, dass Verbrauchern, die Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen haben oder haben könnten, unabhängige Schuldnerberatungsdienste zur Verfügung stehen.

aa) Anzahl der Schuldnerberatungsstellen

In Deutschland existieren derzeit rund 1.350 Schuldnerberatungsstellen2. Dies steht in deutlichem Missverhältnis zur geschätzten Zahl von über 5,5 Millionen überschuldeten Menschen (Stand 2024)3, was den Bedarf an entsprechenden Angeboten verdeutlicht. Die bundesweite Überschuldungsquote beträgt 8,09 %, wobei die höchsten Quoten in Bremen (11,81 %), Sachsen-Anhalt (10,68 %) und Berlin (10,16 %) verzeichnet werden. Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass in diesen Bundesländern das Beratungsangebot häufig unter dem Durchschnitt liegt.
In diesem Kontext erlangt Art. 36 Abs. 1 der EU-Verbraucherkreditrichtlinie Relevanz, welcher die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, die Zugänglichkeit zu unabhängigen Schuldnerberatungsdiensten für VerbraucherInnen sicherzustellen. Der Begriff „sicherstellen“ ist dabei wörtlich zu verstehen und impliziert die Verpflichtung, die Verfügbarkeit tatsächlich zu ge-ZVI 2025, 331währleisten oder zu garantieren. Dies stellt somit eine rechtlich verbindliche Verpflichtung dar, die über eine reine politische Willensbekundung hinausgeht.
Dieses Verständnis wird zudem durch die Termini der anderen Sprachfassungen gestützt:
Englisch: „ensure“– to make secure or guarantee
Französisch: „veiller à“ bzw. „assurer“ – darauf achten, sicherstellen
Der Zugang gilt demnach nur als „sichergestellt“, wenn Schuldnerberatungsdienste praktisch erreichbar und nutzbar sind, insbesondere bei akutem Beratungsbedarf innerhalb weniger Tage.
Gemäß § 1 des deutschen Umsetzungsvorschlags („Zugang zu Schuldnerberatungsdiensten“) obliegt den Ländern die Gewährleistung des Zugangs zu entsprechenden Beratungsangeboten für VerbraucherInnen, die von aktuellen oder drohenden Zahlungsschwierigkeiten betroffen sind.
In vielen Regionen ist jedoch die tatsächliche Umsetzung unzureichend, wie das Beispiel Bremen verdeutlicht. Trotz der bundesweit höchsten Überschuldungsquote ist das dortige Beratungsnetz dünn, während Flächenländer wie Nordrhein-Westfalen besser aufgestellt sind. (s. Abb. 2)
Der Referentenentwurf stellt auf Seite 2 fest, dass nicht alle VerbraucherInnen, die unter die Definition von Art. 36 Abs. 1 fallen, tatsächlich Zugang zu entsprechenden Beratungsdiensten haben werden – insbesondere nicht „in überschaubarer Zeit“.4 In Deutschland ist die Wartezeit auf einen Beratungstermin bei der Schuldnerberatung für Ratsuchende derzeit oft sehr lang.5 In einigen Fällen beträgt sie mehrere Monate, in Einzelfällen sogar bis zu zwei Jahre. Gleichzeitig räumt der Entwurf ein, dass belastbare Daten zur regionalen Verteilung, zur Ausstattung und zu den Wartezeiten der etwa 1.350 Beratungsstellen fehlen.6 Eine Prognose über den tatsächlichen Ausbau- oder Ergänzungsbedarf sei nicht möglich. Damit fehlt bereits die empirische Grundlage, um der Gewährleistungspflicht in § 1 nachkommen zu können.
 
Abb. 1. Quelle:  Schuldnerberatungsatlas | Kartenanwendung
 
ZVI 2025, 332
Abb. 2. Quelle:  Schuldnerberatungsatlas | Kartenanwendung
 
Die Verbraucherkredit-RL-neu überlässt den Mitgliedstaaten grundsätzlich die Wahl, wie sie das „hinreichende Vorhandensein“ von Schuldnerberatungsdiensten sicherstellen. Gemäß Art. 36 Abs. 1 werden die näheren Umstände hinsichtlich der organisatorischen Form sowie der Trägerstruktur nicht explizit dargelegt. Insofern besteht ein gewisser mitgliedstaatlicher Umsetzungsspielraum, der es erlaubt, auf bestehende nationale Beratungslandschaften zurückzugreifen und diese – etwa durch Wohlfahrtsverbände, Kommunen oder private Anbieter – weiterzuentwickeln.
Allerdings findet dieser Gestaltungsspielraum klare Grenzen. Gemäß dem Gutachten Rixen7 findet das Gebot der praktischen Wirksamkeit (effet utile) des Unionsrechts uneingeschränkt Anwendung. Die wirksame Umsetzung des Art. 36 Abs. 1 ist jedoch gefährdet, wenn die Möglichkeit des kurzfristigen und flächendeckenden Zugangs zur Beratung nicht sichergestellt ist. Der Richtliniengeber fordert nicht lediglich eine Absichtsbekundung, sondern eine konkrete Umsetzung. Es reicht demnach nicht aus, eine Garantie „ins Gesetz zu schreiben“, ohne deren Erfüllbarkeit strukturell abzusichern.
Vor diesem Hintergrund bleibt festzuhalten: Die formale Übernahme des unionsrechtlichen Anspruchs auf Schuldnerberatung in § 1 SchuBerDG-E genügt nicht. Der Entwurf lässt offen, wie der Zugang zu einem funktionierenden und flächendeckend erreichbaren Beratungsangebot konkret sichergestellt werden soll. Es fehlt an klaren qualitativen Mindestvorgaben ebenso wie an belastbaren Datengrundlagen für eine strukturierte Umsetzung. Der Anspruch droht damit ins Leere zu laufen – und verfehlt den intendierten präventiven Schutz der VerbraucherInnen vor finanzieller Verelendung.
Um dem signifikanten Bedarf zu entsprechen, ist eine gesetzliche Festlegung eines Mindestpersonalschlüssels erforderlich. Als beispielgebende Landesregelung können die bayerischen Bestimmungen für die Insolvenzberatung in Artikel 112 im Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG)8 und Artikel 104 der Verordnung zur Ausführung der Sozialgesetze (AVSG)9 dienen. Dort ist geregelt, dass kreisfreie Gemeinden und Landkreise die Sicherstellung der Beratungsangebote und die Vorhaltung der erforderlichen Personalstellen übertragen bekommen. Dieses Modell zeigt, wie verbindliche Vorgaben auf Landesebene zu einer gesicherten und verantwortlichen Personalplanung beitragen können. Ein solch bewährtes Modell sieht mindestens zwei Vollzeitäquivalente (VZÄ) je 50.000 Einwohner vor. Dieser Personalschlüssel ermöglicht eine flächendeckende, wohnortnahe und qualitativ hochwertige Beratung, die den Anforderungen der Verbraucherkredit-RL-neu entspricht. Die Einführung eines verbindlichen VZÄ-Systems schafft zudem Transparenz und Planungssicherheit für die Träger der Schuldnerberatung und hilft, regionale Versorgungslücken zu schließen.

bb) Anwendungsbereich: tatsächliche oder potentielle Schwierigkeiten bei der Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen

Die Vorschrift des § 1 SchulBerDG-E begründet einen Anspruch auf Zugang zu unabhängigen Schuldnerberatungsdiensten für VerbraucherInnen, die Schwierigkeiten „haben oder haben könnten“, ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen. Der Begriff der „Schwierigkeiten“ ist bei richtlinienkonformer Auslegung weit zu verstehen:
„Verbraucher, die Schwierigkeiten haben, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, können spezialisierte Hilfe beim Schuldenma-ZVI 2025, 333nagement in Anspruch nehmen. Finanzielle Schwierigkeiten umfassen eine Vielzahl von Situationen, z. B. den Verzug mit der Rückzahlung von Schulden um mehr als 90 Tage. Das Ziel der Schuldnerberatungsdienste besteht darin, Verbrauchern in finanziellen Schwierigkeiten zu helfen und sie anzuleiten, ihre ausstehenden Schulden so weit wie möglich zurückzuzahlen und dabei einen angemessenen Lebensstandard beizubehalten und ihre Würde zu bewahren. Diese individuelle und unabhängige Unterstützung kann Rechtsberatung, Geld- und Schuldenmanagement sowie soziale und psychologische Unterstützung umfassen. […]“10
Gemeint sind sämtliche Umstände, die die Fähigkeit zur Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen beeinträchtigen – von klassischen wirtschaftlichen Indikatoren (wie Mahnschreiben, Zahlungsrückständen oder Pfändungen) bis hin zu psychosozialen Faktoren, etwa fehlende Finanzkompetenz, Überforderung oder handlungshemmende Ängste im Umgang mit Schulden.
Finanzielle Schwierigkeiten manifestieren sich in einer Vielzahl von Situationen, wobei der Verzug mit Rückzahlungen um mehr als 90 Tage als signifikantes Beispiel angeführt wird. Die Formulierungen „z. B.“ und „for example, among many others“ verdeutlicht jedoch, dass es sich um eine nicht abschließende Aufzählung handelt. Je nach individueller Lebenslage – auch unter Berücksichtigung von Alter, familiärer Situation oder mentaler Belastung – können deutlich frühere Belastungsanzeichen als „Schwierigkeiten“ im Sinne der Richtlinie gelten. Entscheidend ist dabei die subjektive Lebenserfahrung des betroffenen Verbrauchers. Die englische Fassung („experience difficulties“) verweist klar auf einen erfahrungsbasierten, also subjektiven Ansatz. Die Schwierigkeiten müssen also nicht objektivierbar sein, sondern es reicht eine persönlich erlebte Belastung. Diese Sichtweise deckt sich mit langjähriger Beratungspraxis, wonach sich Schuldenkrisen oftmals durch subjektive Überforderung, Ratlosigkeit oder Entkoppelung vom Alltag manifestieren.
Es sei zudem darauf hingewiesen, dass selbst potentielle Schwierigkeiten den Anspruch auslösen. Die Verwendung des Konjunktivs („haben könnten“), der französischen Conditionnel („pourraient“) sowie der englischen Formulierung „might experience difficulties“ zeigt deutlich, dass die Richtlinie keine gegenwärtig bestehende Krise verlangt. Eine nicht fernliegende Möglichkeit künftiger Überforderung reicht aus, um Beratung zu beanspruchen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem Beratungsbedarf entsteht oder signalisiert wird – eine ex post Prüfung ist nicht erforderlich.
Damit wird nochmals der präventive Ansatz der Richtlinie unterstrichen. In Zusammenschau mit Art. 36 Abs. 2 der Richtlinie, der Kreditgeber zur frühzeitigen Erkennung verpflichtet, ergibt sich ein kohärentes Regelungsziel: Schuldnerberatung soll möglichst frühzeitig, niedrigschwellig und lebenslagenbezogen greifen.11 Die in § 497a Abs. 1 BGB (neu) des Entwurfs zur Umsetzung der Verbraucherkredit-RL neu geschaffene Pflicht unterstreicht ebenso dieses Ziel. Danach ist ein Kreditnehmer, der Schwierigkeiten bei der Erfüllung seiner finanziellen Verpflichtungen hat, an Schuldnerberatungsdienste zu verweisen, die für den Darlehensnehmer leicht zugänglich sind.

cc) Zugang für alle natürlichen Personen in finanziellen Schwierigkeiten

Obwohl die Richtlinie den „Verbraucher“-Begriff im Namen trägt, bedarf es aus Sicht des VID einer ausweitenden Klarstellung hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs des Gesetzes. Abgesehen von unterschiedlichen Definitionen in § 13 BGB und § 304 InsO ist der derzeit verwendete Verbraucherbegriff zu eng gefasst, um alle betroffenen Personen zu erfassen – insbesondere auch ehemals oder aktuell selbstständig tätige Personen, die keine unternehmerische Sanierung anstreben, sondern existenzielle Unterstützung benötigen. Bereits in Art. 24 der Richtlinie (EU) 2019/102 (Restrukturierungsrichtlinie) forderte der europäische Gesetzgeber dazu auf, den Zugang zu Entschuldungsverfahren für Verbraucher und Unternehmer zu vereinheitlichen.
Das SchulBerDG sollte daher explizit sicherstellen, dass alle natürlichen Personen, unabhängig von ihrer beruflichen Vergangenheit, Zugang zur sozialen Schuldnerberatung erhalten. Dies entspricht nicht nur der Zielsetzung der Richtlinie, sondern auch dem politischen Ziel des Koalitionsvertrages, eine inklusive und niedrigschwellige Schuldnerhilfe zu schaffen.12

dd) Exkurs: Abgrenzung zwischen Insolvenzvorbereitung (§ 305 InsO) und präventiver Beratung nach Art. 36 Richtlinie

Zwar sieht die Insolvenzordnung bereits heute mit § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO eine obligatorische Schuldnerberatung im Vorfeld eines Verbraucherinsolvenzverfahrens vor. Diese Beratung zielt jedoch ausschließlich auf die einen Insolvenzantrag vorbereitende Durchführung eines außergerichtlichen Einigungsversuchs sowie die Erstellung der Antragsunterlagen ab. Sie ist damit formal-prozedural gestaltet und erfolgt regelmäßig erst bei bereits eingetretener Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit. Demgegenüber verfolgt Art. 36 Abs. 1 der Verbraucherkreditrichtlinie ein frühintervenierendes, präventives Konzept. Der Anspruch auf Schuldnerberatung entsteht bereits dann, wenn VerbraucherInnen Schwierigkeiten haben oder haben könnten, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Er setzt nicht voraus, dass bereits Insolvenzreife im Sinne der Insolvenzordnung besteht oder ein entsprechendes Verfahren eröffnet wurde. Vielmehr genügt eine nicht fernliegende Möglichkeit, dass sich die finanzielle Lage verschlechtert. Damit richtet sich die Beratung nach Art. 36 an einen deutlich breiteren Personenkreis – etwa auch an Personen mit wiederholter Überziehung von Dispositionskrediten, steigenden Zahlungsverpflichtungen oder unsicherer Einkommensperspektive.
Diese Ausweitung hat signifikante Folgen für die Versorgungsstruktur. Während sich die bisherige Schuldnerberatung auf einen relativ klar definierten Kreis insolvenznaher Fälle kon-ZVI 2025, 334zentrieren konnte, verlangt Art. 36 eine deutlich breitere, präventiv zugängliche Infrastruktur. Der aktuelle Beratungssektor ist auf diese Herausforderung weder kapazitiv noch strukturell vorbereitet.

b) § 2 Schuldnerberatungsdienst

Schuldnerberatungsdienst im Sinne dieses Gesetzes ist die individuelle fachliche, rechtliche oder psychologische Unterstützung von Verbrauchern, die Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen haben oder haben könnten. § 3 des Rechtsdienstleistungsgesetzes bleibt unberührt.
Der VID begrüßt die Ausrichtung des Referentenentwurfs auf eine interdisziplinär verankerte soziale Schuldnerberatung. Nachhaltige Beratung erfordert jedoch nicht nur rechtliche Rahmenbedingungen, sondern auch terminologische und konzeptionelle Präzision, um Missbrauch entgegenzutreten. Der aktuelle Entwurf bleibt hier an mehreren Stellen hinter dem eigenen Anspruch zurück.

aa) Fehlende Legaldefinition des Schuldnerberatungsdienstes

Im Entwurf fehlt eine eindeutige Definition, was unter „Schuldnerberatungsdienst“ zu verstehen ist. Es bleibt offen, ob damit ein einmaliger Beratungskontakt oder ein fortlaufender Unterstützungsprozess gemeint ist. Diese Unklarheit erschwert zunächst nicht nur die praktische Anwendung, sondern unterminiert auch die intendierte Umsetzung der Vorgaben aus Art. 36 der Verbraucherkredit-RL-neu. Eine präzise Definition ist auch deshalb unerlässlich, um Kreditinstitute rechtsverbindlich zu einem korrekten Verweis an die zuständigen Beratungsstellen zu verpflichten und die von der Richtlinie geforderte Berichterstattung über verfügbare Dienste in den Mitgliedsstaaten zu gewährleisten.
Gleichzeitig sollte gesetzlich klargestellt werden, dass betriebswirtschaftliche Unternehmenssanierungen, insolvenzrechtliche Vertretung juristischer Personen oder strategische Geschäftsmodellberatung nicht zum Aufgabenspektrum sozialer Schuldnerberatung zählen.

bb) Psychosoziale statt psychologischer Unterstützung

Die im Entwurf verwendete Formulierung „psychologische Unterstützung“ suggeriert eine fachliche Unterstützung durch zugelassene PsychologInnen oder PsychiaterInnen. Im Rahmen der sozialen Schuldnerberatung ist eine derartige Unterstützung jedoch weder erforderlich noch flächendeckend realisierbar. Der VID empfiehlt daher, den Begriff durch „psychosoziale Unterstützung“ zu ersetzen. Diese bezeichnet praxisnäher und fachlich zutreffend den integrativen Ansatz der Schuldnerberatung, bei dem soziale, wirtschaftliche und persönliche Problemlagen interdisziplinär und gemeinsam bearbeitet werden.

c) § 3: Entgeltgrenzen für Schuldnerberatungsdienste

(1) Die Schuldnerberatungsdienste sollen Verbrauchern grundsätzlich kostenlos, höchstens jedoch gegen ein begrenztes Entgelt angeboten werden. Werden für Schuldnerberatungsdienste Entgelte erhoben, so dürfen diese maximal die Betriebskosten des Anbieters für den Schuldnerberatungsdienst decken und keine unangemessene Belastung für die Verbraucher darstellen.
(2) Verbraucher sind rechtzeitig vor Inanspruchnahme eines Schuldnerberatungsdienstes auf ein gegebenenfalls zu entrichtendes Entgelt und dessen Höhe hinzuweisen.

aa) Grundsatz der Kostenfreiheit

Der SchulBerDG-E sieht in seinem § 3 Abs. 1 vor, dass Beratungsangebote „grundsätzlich kostenlos“, gegebenenfalls aber „gegen ein begrenztes Entgelt“ erbracht werden sollen. Aus Sicht des VID ist dieser Regelung mit großer Vorsicht zu begegnen. Sie verfehlt die zentrale Anforderung aus Art. 36 Abs. 1 der Verbraucherkredit-RL-neu, wonach die Beratung nicht nur rechtlich zugesichert werden muss, sondern auch tatsächlich zugänglich zu sein hat.
Gemäß dem Gutachten von Rixen ist die Richtlinie im Lichte der Menschenwürdegarantie des Art. 1 EU-Grundrechtecharta auszulegen. Dies impliziert, dass VerbraucherInnen nicht in eine Situation extremer materieller Notlage geraten dürfen, in der ihnen der Zugang zu grundlegenden Beratungsleistungen verwehrt bleibt.
Daraus ergibt sich, dass selbst geringe Entgelte abschreckend wirken können. Schon die bloße Erwartung einer Kostenauferlegung kann dazu führen, dass Ratsuchende keine Hilfe in Anspruch nehmen. Aus Perspektive des unionsrechtlichen Effektivitätsgebots sind Schuldnerberatungsdienste jedoch lediglich dann als „leicht zugänglich“ einzustufen, wenn ein potenzielles Entgelt für die Ratsuchenden keine signifikante Barriere darstellt. Die Formulierung „begrenztes Entgelt“ ist vor diesem Hintergrund systematisch-teleologisch als „auf null reduziert“ zu verstehen, jedenfalls für einkommensschwache VerbraucherInnen. Eine dementsprechende Regelung würde nicht nur einen Beitrag zum sozialen Ausgleich leisten, sondern auch der Prävention struktureller Verletzungen der Menschenwürde dienen, wie sie der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Lebensstandard postuliert.13

bb) Finanzierungslücke

Der Referentenentwurf bleibt zentrale Antworten zur Finanzierung schuldig. Zwar sieht § 3 Abs. 1 SchuBerDG-E vor, dass Schuldnerberatungsdienste „grundsätzlich kostenlos“ und allenfalls „gegen ein begrenztes Entgelt“ angeboten werden sollen. Eine tragfähige finanzielle Absicherung dieser Zielsetzung ist jedoch nicht erkennbar. Länder und Kommunen bleiben mit der Umsetzungspflicht und dem damit verbundenen finanziellen Aufwand allein.
Auch die Verweisung auf § 3 Abs. 1 SchuBerDG-E als mögliche Gegenfinanzierung kann nur bedingt überzeugen. Die dort vorgesehenen Entgelte sollen – zutreffend – nur in begrenzter Höhe zulässig sein und entsprechen zudem nicht der etablierten Praxis der weitgehend kostenlosen Beratung, wie sie etwa von Wohlfahrtsverbänden angeboten wird. Ein signi-ZVI 2025, 335fikanter Anteil der Finanzierung kann kaum über Entgelte erzielt werden. Der Verweis auf nicht quantifizierbare Einnahmen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Umsetzung des Gesetzes insbesondere für Länder und Kommunen einen substanziellen Planungs- und Ressourcenaufwand erfordert, der bislang nicht kalkuliert wurde.
In Regionen mit strukturellen Herausforderungen ist die Sicherstellung einer angemessenen Beratungsinfrastruktur sowie die Gewährleistung der Qualität bestehender Angebote ohne eine gesicherte Finanzierung problematisch. Dies gefährdet nicht nur gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesgebiet, sondern konterkariert auch den unionsrechtlich geforderten „leicht zugänglichen“ Zugang zur Schuldnerberatung nach Art. 36 Verbraucherkredit-RL-neu. In Anbetracht dessen ist eine bundesrechtliche Regelung der Finanzierung zwingend erforderlich, um sowohl Planungssicherheit für die Trägerschaft zu gewährleisten als auch eine verlässliche Unterstützung durch Bund und Länder zu sichern.

d) § 4: Anforderungen an Anbieter von Schuldnerberatungsdiensten

(1) Schuldnerberatungsdienste nach § 2 darf nur erbringen, wer unabhängiger professioneller Anbieter ist. Eine Unabhängigkeit ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn es sich um folgende Arten von Anbietern handelt:
1. einen Kreditgeber oder einen Kreditvermittler im Sinne des Artikels 3 Nummer 2 beziehungsweise 12 der Richtlinie (EU) 2023/2225 in der Fassung vom 18. Oktober 2023,
2. einen Kreditkäufer oder einen Kreditdienstleister im Sinne des Artikels 3 Nummer 6 beziehungsweise 8 der Richtlinie (EU) 2021/2167 in der Fassung vom 24. November 2021,
3. einen Anbieter, der auch zu Kredit-, Finanz- oder Versicherungsdienstleistungen, Dienstleistungen, die der Vermögensverwertung des Verbrauchers dienen, oder zu ähnlichen Dienstleistungen gewerblich berät oder diese erbringt oder vermittelt, oder
4. einen Anbieter, bei dem ein anderer als einer der in den Nummern 1 bis 3 genannten Interessenkonflikte vorliegt.
(2) Unabhängige professionelle Anbieter von Schuldnerberatungsdiensten sind insbesondere Einrichtungen in der Trägerschaft von
1. Wohlfahrtsverbänden, Verbraucherzentralen, kreisfreien Städten, Landkreisen oder Gemeinden,
2. eingetragenen Vereinen, die Mitglied in einem Wohlfahrts- oder Verbraucherverband sind, oder
3. sonstigen juristischen Personen des privaten Rechts, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige oder mildtätige Zwecke verfolgen und bei denen kein Interessenkonflikt im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 vorliegt.
Die Regelung des § 4 SchuBerDG-E formuliert ausschließlich Negativvoraussetzungen in Bezug auf die Unabhängigkeit von Anbietern von Schuldnerberatungsdiensten. Zwar ist die gesetzliche Klarstellung begrüßenswert, wonach Anbieter mit wirtschaftlichen Eigeninteressen – insbesondere Kreditinstitute, Finanzvermittelnde oder mit Vermögensverwertung betraute Akteure – aufgrund struktureller Interessenkonflikte ausgeschlossen sind. Aus der Perspektive des VID ist diese Regelung jedoch nicht ausreichend, um die Zielsetzung einer qualitativ hochwertigen, wirksamen und flächendeckend zugänglichen Schuldnerberatung zu gewährleisten.
Der Entwurf enthält keinerlei positive Anforderungen bezüglich der fachlichen und personellen Ausstattung der AnbieterInnen. Er macht keine Vorgaben bezüglich der erforderlichen Qualifikation des Beratungspersonals und formuliert keine Mindeststandards hinsichtlich des Umfangs, der Tiefe und Methodik der Beratung sowie keine Zielvorgaben in Bezug auf Erreichbarkeit, Wartezeiten oder strukturelle Ausstattung. Auch Fortbildungs-, Dokumentations- oder Qualitätssicherungsmaßnahmen bleiben unberücksichtigt.
Diese Leerstelle birgt das Risiko einer heterogenen Beratungslandschaft mit regional stark variierenden Standards, was dem unionsrechtlichen Anspruch auf Vereinheitlichung und einen effektiven, niedrigschwelligen Zugang widerspricht. Ratsuchende haben – unabhängig von ihrem Wohnort oder der örtlichen Trägerstruktur – Anspruch auf fachlich fundierte, rechtlich korrekte und psychosozial kompetente Beratung. Die Gewährleistung dieser Beratungsqualität stellt eine Aufgabe des Gesetzgebers dar, wenn er der Verpflichtung aus Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie und dem Schutz der Menschenwürde aus Art. 1 EU-Grundrechtecharta gerecht werden will.

e) § 5: Berichtspflichten

(1) Die Länder berichten jeweils dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bis zum 20. September 2026 und danach jährlich bis zum 20. September schriftlich über die Zahl der verfügbaren Einrichtungen für Schuldnerberatungsdienste nach § 1. Die Angaben sind zum Stand 31. August des Berichtsjahres zu ermitteln.
(2) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz erstattet der Europäischen Kommission bis zum 20. November 2026 und danach jährlich bis zum 20. November Bericht über die Zahl der verfügbaren Einrichtungen für Schuldnerberatungsdienste nach § 1.

aa) Monitoring-System

Die in § 5 SchuBerDG-E geregelte Berichtspflicht reduziert sich auf eine reine Erhebung der Zahl verfügbarer Schuldnerberatungsstellen. Sowohl die Länder gegenüber dem Bundesministerium als auch der Bund gegenüber der Europäischen Kommission sind hiernach lediglich dazu verpflichtet, jährlich quantitative Angaben zur Zahl der Einrichtungen zu übermitteln.
Aus Sicht des VID greift diese Regelung zu kurz. Zentrale Steuerungsgrößen – etwa Wartezeiten, Beratungsvolumina, Bedarfsdeckung nach regionalen Indikatoren, Personalressourcen sowie Nutzerzufriedenheit – bleiben unberücksichtigt. Die Zielsetzung der Richtlinie eines wirksamen Ausbaus sowie einer bedarfsgerechten Versorgungssteuerung wird durch die vorliegenden Maßnahmen nicht erreicht. Ein solcher Minimalansatz genügt nicht, um Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie umzusetzen. Die vorgesehene Zählstatistik ermöglicht es weder Bund noch Ländern, strukturelle Versorgungslücken, Qualitätsdefizite oder regionale Ungleichgewichte verlässlich zu identifizieren und gezielt zu beheben.
ZVI 2025, 336
Ein effektives, auf Steuerung ausgerichtetes Berichtssystem muss zentrale Versorgungsindikatoren abbilden, wie etwa tatsächliche Nutzung, Zugänglichkeit, Versorgungsdichte, Personalressourcen und Nutzerzufriedenheit. Die Identifizierung sowie die zielgerichtete Bearbeitung von strukturellen Versorgungslücken oder regionalen Ungleichgewichten sind nur unter dieser Prämisse möglich.
Daher ist eine Erweiterung des § 5 SchuBerDG-E um ein strukturiertes, auf Indikatoren gestütztes Monitoring-System geboten. Die Einrichtung eines strukturierten Monitoring-Systems ist nicht nur sinnvoll, sondern auch realistisch umsetzbar, sofern auf bestehende Infrastrukturen zurückgegriffen wird. Die Statistik nach dem ÜSchuldStatG sowie länderspezifische Förderberichte stellen bereits eine erste Evaluationsgrundlage dar. Eine einheitliche Nutzung und methodische Weiterentwicklung dieser Datenquellen wäre ein kosteneffizienter Weg, um Transparenz, Vergleichbarkeit und gezielte Steuerung zu ermöglichen – ohne die Beratungsstellen zusätzlich zu belasten. Zudem würde die oben bereits angesprochene Digitalisierung den Aufwand der Datenerfassung verringern.
In Anbetracht der unionsrechtlichen Verpflichtung zur Sicherstellung der Verfügbarkeit von Schuldnerberatung nach Art. 36 der Richtlinie wäre ein Minimalbericht zur Zahl der Einrichtungen unzureichend. Die Finanzierung eines erweiterten Monitorings sollte demnach nicht isoliert als Mehrbelastung betrachtet, sondern als Bestandteil der Infrastruktur zur Umsetzung europäischer Mindestanforderungen eingeplant werden.

bb) Evaluationspflicht

Die Entwurfsbegründung führt zur Evaluierung des Gesetzes Folgendes aus:
„Laut Beschluss des Staatssekretärsausschusses Bürokratieabbau vom 23. Januar 2013 sind alle wesentlichen Regelungsvorhaben zu evaluieren. Als wesentlich gelten danach Regelungsentwürfe, bei denen ein jährlicher Erfüllungsaufwand von mindestens a) 1 Million Euro Sachkosten oder 100.000 Stunden Aufwand für Bürgerinnen und Bürger oder b) 1 Million Euro für die Wirtschaft oder c) 1 Million Euro für die Verwaltung aufgrund der Ex ante-Abschätzung zu erwarten ist. Da diese Schwellen nicht erreicht werden, ist für den Entwurf keine Evaluierung vorzusehen."14
Diese Begründung des Referentenentwurfs, auf eine Evaluierung zu verzichten, greift zu kurz und verfehlt die unionsrechtlich gebotene Steuerungsperspektive. Zwar mögen die Schwellenwerte des Staatssekretärsausschusses Bürokratieabbau nicht überschritten sein, doch ergibt sich bereits aus § 9 ÜSchuldStatG eine regelmäßige Evaluation der Datenerhebung durch das Statistische Bundesamt. Diese Evaluationspflicht dient der Verbesserung der statistischen Grundlage und ist gerade vor dem Hintergrund von Art. 36 Abs. 1 der Verbraucherkredit-RL zwingend erforderlich. Bereits in Art. 29 der Richtlinie (EU) 2019/102 (Restrukturierungsrichtlinie) forderte der europäische Gesetzgeber ein Verfahren zum Monitoring von Entschuldungsverfahren. Ein strukturiertes, qualitätsbasiertes Monitoring kann nicht mit dem Verweis auf Bürokratieabbau abgelehnt werden, wenn ein bereits geltendes Gesetz selbst eine Evaluationspflicht für zentrale Steuerungsdaten vorsieht.

IV. Fazit

Es ist zu begrüßen, dass der vorliegende Referentenentwurf zum Schuldnerberatungsdienstegesetz die zentralen Vorgaben der Richtlinie (EU) 2023/2225, insbesondere zur Einrichtung unabhängiger Beratungsstrukturen und zum Grundsatz einer begrenzten Entgeltfreiheit, berücksichtigt. Der Entwurf beschränkt sich in weiten Teilen jedoch auf unverbindliche Regelungen, denen es sowohl an einer ausfinanzierten Umsetzungsstrategie als auch an substanziellen Qualitäts- und Steuerungsmechanismen mangelt.
Vor allem in Bezug auf die dringend notwendige Digitalisierung der Abläufe, welche für die Verbraucher einen barrierefreien Zugang zur Schuldnerberatung erst ermöglicht und zudem die Arbeitsbelastung auf Seiten der Schuldnerberatungsstellen signifikant reduzieren würde, bleibt der Referentenentwurf weit hinter den schon heute bestehenden Möglichkeiten zurück.
Die Tatsache, dass der Entwurf sich ausschließlich auf nachgelagerte Interventionen bei bereits eingetretenen finanziellen Schwierigkeiten fokussiert, ist besonders gravierend. Es mangelt an strukturellen Instrumenten zur Prävention, wie etwa niedrigschwellige Informationsangebote, zielgerichtete Frühinterventionen in Risikogruppen oder eine systematische finanzielle Grundbildung. Es besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass präventive Maßnahmen nicht nur eine höhere soziale Wirksamkeit aufweisen, sondern auch volkswirtschaftlich deutlich ressourcenschonender sind als spät einsetzende Kriseninterventionen. Die fehlende gesetzliche Verankerung präventiver Infrastruktur stellt somit ein zentrales Defizit des Entwurfs mit Blick auf Nachhaltigkeit und Wirkungsorientierung dar. In diesem Zusammenhang sollte auch über Maßnahmen zur Stärkung der finanziellen Allgemeinbildung in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen nachgedacht werden, da deren präventive Wirkung geeignet wäre, den Bedarf und damit die Kosten der Schuldnerberatungsinfrastruktur zu reduzieren.
Insbesondere in komplexen Überschuldungsfällen ist eine qualifizierte fundierte Beratung erforderlich. Ein gesetzlicher Rahmen, der derartige Strukturen vernachlässigt oder marginalisiert, würde nicht nur die Beratungsqualität gefährden, sondern auch dem unionsrechtlich geforderten Verbraucherschutz widersprechen.
Es besteht die Gefahr, dass das Gesetz hinter seinem grundrechtlich begründeten Anspruch zurückbleibt, sofern verbindliche Standards, eine flächendeckende Zugänglichkeit, eine gesicherte Finanzierung und strategische Prävention nicht gewährleistet werden können. Für eine effektive Umsetzung der Richtlinie ist ein integriertes Gesamtkonzept erforderlich, das die Aspekte soziale Teilhabe, ökonomische Selbstbestimmung und Menschenwürde wirksam schützt.
Berlin, 18. 7. 2025
1
1)
RefE BMJV zum Gesetz über den Zugang zu Schuldnerberatungsdiensten (SchuBerDG).
2
2)
Statistisches Bundesamt, Überschuldungsstatistik 2023, erschienen am 17. Juli 2024, https://www.destatis.de/DE/Methoden/Qualitaet/Qualitaetsberichte/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/ueberschuldungsstatistik.pdf?__blob=publicationFile&v=10 (zuletzt abgerufen am 13. 07. 2025).
3
3)
Vgl. SchuldnerAtlas Deutschland | Überschuldung in Deutschland, https://schuldnerberatungsatlas.destatis.de/ (zuletzt abgerufen am 13. 07. 2025).
4
4)
RefE BMJV zum Gesetz über den Zugang zu Schuldnerberatungsdiensten (SchuBerDG), S. 2.
5
5)
Vgl. Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg e. V., https://infodienst-schuldnerberatung.de/beratung/lange-wartezeiten-in-der-schuldnerberatung-eine-zumutung-fuer-ratsuchende-und-beratungskraefte/ (zuletzt abgerufen am 13. 07. 2025); Caritasverband Straubing-Bogen e. V. (2025): Jahresbericht 2024 – Soziale Schuldner- und Insolvenzberatung. „Schöne Worte sind zu wenig“, https://www.caritas-straubing.de/cms/contents/caritas-straubing.de/medien/dokumente/jahresberichte/soziale-schuldner-un2/jahresbericht_schuldnerberatung_2024.pdf?d=a&f=pdf (zuletzt abgerufen am 16. 07. 2025).
6
6)
RefE, SchuBerDG, S. 9.
7
7)
Rixen, Zur Umsetzung von Art. 36 Verbraucherkreditrichtlinie, insbesondere zum Rechtsanspruch auf kostenfreie Schuldnerberatung, https://www.schuldnerberatung-sh.de/fileadmin/bilder/aktuelles/2024_Rixen_Gutachten_zu_Art._36_Verbraucherkreditrichtlinie.pdf (zuletzt abgerufen am 13. 07. 2025).
8
8)
https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayAGSG-112.
9
9)
https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayAVSG-104.
10
10)
Richtlinie (EU) 2023/2225 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Oktober 2023 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 2008/48/EG, S. 14.
11
11)
Vgl. Rixen, Zur Umsetzung von Art. 36 Verbraucherkreditrichtlinie, insbesondere zum Rechtsanspruch auf kostenfreie Schuldnerberatung, S. 14 ff., https://www.schuldnerberatung-sh.de/fileadmin/bilder/aktuelles/2024_Rixen_Gutachten_zu_Art._36_Verbraucherkreditrichtlinie.pdf (zuletzt abgerufen am 13. 07. 2025).
12
12)
Vgl. Koalitionsvertrag 2025,CDU, CSU, SPD, 21. Legislaturperiode, Rn. 1292.
13
13)
Vgl. Rixen, Zur Umsetzung von Art. 36 Verbraucherkreditrichtlinie, insbesondere zum Rechtsanspruch auf kostenfreie Schuldnerberatung, S. 26, https://www.schuldnerberatung-sh.de/fileadmin/bilder/aktuelles/2024_Rixen_Gutachten_zu_Art._36_Verbraucherkreditrichtlinie.pdf (zuletzt abgerufen am 13. 07. 2025).
14
14)
RefE zum SchuBerDG, S. 11.

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