RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln
RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln
1619-3741
Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz
ZVI
2024
EditorialKai Henning
Dreijährige Restschuldbefreiung besteht Evaluation
Zugegeben: Der Titel dieses Editorials ist etwas reißerisch und suggeriert, dass es hinsichtlich des Ergebnisses der jetzt als Bundestagsdrucksache 20/12250 vorgelegten Evaluation viel Spannung gegeben hätte. Zu offensichtlich war nach den konstant geringen Zahlen der Verbraucherinsolvenzen der letzten Jahre und nach den Stellungnahmen der Verbände, dass die Bundesregierung feststellen wird, dass sich keine Anzeichen für negative Auswirkungen der Verfahrensverkürzung auf das Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten von Verbrauchern feststellen lassen. Dabei war schon der Ansatz der Evaluation, anzunehmen, dass Verbraucher sich durch eine verkürzte Laufzeit bis zur Restschuldbefreiung zu einem vermehrten Schuldenmachen verleiten lassen, ein Griff in die wirtschaftssoziale Mottenkiste und entsprach einem längst überholt geglaubten Schuldnerbild. Denn selbstverständlich mag es mal einen Schuldner geben, der bewusst Schulden macht, um sich anschließend schnell zu entschulden, es mag Missbrauch des Verfahrens und es mag kriminelles Verhalten geben. Aber die große Mehrheit der deutschen Verbraucher gerät ungewollt durch Schicksalsschläge wir Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Scheidung in die Zahlungsunfähigkeit. Bevor dann der Weg in ein Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung eingeschlagen wird, unternehmen die Überschuldeten auch nach Feststellungen der Inkassobranche erhebliche Bemühungen zur Schuldentilgung oft auch weit über die Pfändungsgrenzen hinaus.
Aber immerhin: Die Evaluation trägt mit ihrem Ergebnis dazu bei, die Möglichkeit einer dreijährigen Restschuldbefreiung in unserem Wirtschafts- und Rechtssystem weiter zu verankern. Sie bestärkt damit die positive gesetzgeberische Entwicklung der letzten 25 Jahre, Schuldner durch die Restschuldbefreiung aus ihrer Verschuldungssituation herauszuholen. Dies im Übrigen nicht nur, um den Betroffenen zu helfen, sondern auch, um uns alle von den gesellschaftlichen Belastungen einer Überschuldung größerer Bevölkerungsteile zu befreien. Die betroffenen Schuldnerinnen und Schuldner erleben die Verkürzung nach Berichten aus der Schuldnerberatung als motivierende Erleichterung. Drei Jahre sind eben eine ganz andere Perspektive als sechs oder auch fünf Jahre. Zusätzlich werden Daten aus den Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung von den Wirtschaftsauskunfteien jetzt 6 Monate nach Ablauf der drei Jahre gelöscht. Schuldnerberater/innen können Betroffenen damit ein „Produkt“ anbieten, dass in vier Jahren zu einer Entschuldung und vollständigen wirtschaftlichen Rehabilitation führt. Dies ist eine positive Entwicklung, auf die wir stolz sein können. Aber auch Insolvenzverwalter/innen und die Insolvenzgerichte werden durch die Verkürzung von Arbeiten befreit, die lediglich in seltenen Fällen Ertrag für die Gläubiger bringen. Auch die Verkürzung ist ein Schritt zu einem weniger aufwändigen Verbraucherinsolvenzverfahren.
Nebenbei: Ein interessanter zusätzlicher Aspekt der Evaluation ist neben der Erledigung des vom Bundestag erteilten Auftrags die Aufnahme der von den Verbänden gesehenen und ergänzend mitgeteilten Änderungsbedarfe in der Verbraucherinsolvenz. Es ist der Bundesregierung und dem Bundesjustizministerium hoch anzurechnen, diese Vorschläge mit in den Bericht aufgenommen und damit auch zum Thema kommender Diskussionen gemacht zu haben. Die Vorschläge reichen u. a. von der Vereinfachung der Antragsformulare und der verbesserten Verständlichkeit der Erläuterungstexte, der Beschränkung von Forderungsanmeldungen, -prüfungen und -feststellungen auf masse-ZVI 2024, 282haltige Verbraucherinsolvenzverfahren, der Eingrenzung der von der Restschuldbefreiung nach § 302 InsO ausgenommenen Forderungen über die Schließung von Regelungslücken im Bereich der Sperrfristen nach § 287a InsO bis zur Vereinheitlichung der Versagungsgründe zur Erteilung einer Restschuldbefreiung während des Insolvenzverfahrens und in der Wohlverhaltensphase.
Diese Punkte werden wir in der Zukunft, wohl aber erst in der nächsten Legislaturperiode vorrausichtlich ab September 2025 diskutieren. Ob wir dann gemeinsam, also Verbände, Bundesjustizministerium und der Bundestag als Gesetzgeber das Interesse und die Kraft für eine deutliche Neugestaltung und vor allen Dingen eine Vereinfachung der Verbraucherinsolvenz finden werden, muss abgewartet werden. Es wäre wohl mehr Gestaltungswillen, mehr „Wechselstimmung“ als nach aktueller Stimmungslage erforderlich. Punktuelle Änderungen wie bspw. die Möglichkeit für die soziale Schuldnerberatung, auch Kleinselbständige zu betreuen, oder die Einführung einer wirklichen Ausschlussfrist für die Forderungsanmeldung dürften schon eher zu bewältigen sein.
Zum Abschluss: Leider hat mein aktuelles ceterum censeo trotz wohl laufender Bemühungen im Bundesjustizministerium noch immer Bestand und wird daher auch hier wiederholt: Verstrickung esse delendam! Und zwar noch in dieser Legislaturperiode!
Rechtsanwalt Kai Henning, Dortmund