ZVI 2023, 310

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2023 EditorialAndreas Schmidt

Kompetenz unerwünscht

Die Tätigkeit als Insolvenzrichter gehört zu den herausforderndsten Tätigkeiten in der deutschen Justiz. Um den vielfältigen Aufgaben insbesondere, aber nicht nur in wirtschaftlich bedeutsamen Großverfahren nachkommen zu können, muss der Insolvenzrichter das komplexe Insolvenzverfahren von der Antragstellung bis zum Schlusstermin souverän beherrschen. Hierfür ist eine präzise Kenntnis des Verfahrens, aber auch seiner gesellschafts-, steuer- und arbeitsrechtlichen Bezüge unverzichtbar. Außerdem muss der Insolvenzrichter über ein Gespür für wirtschaftliche Zusammenhänge verfügen. Oft ist es erforderlich, das Spannungsfeld zwischen dem rechtlichen Rahmen und den Fragen der wirtschaftlichen Effizienz wertungssicher auszuloten – das ist nichts für Bedenkenträger. Last but not least, muss er einen geeigneten Insolvenzverwalter auswählen, § 56 InsO. Es liegt auf der Hand, dass all dies nur von einem spezialisierten und erfahrenen Insolvenzrichter sachgerecht geleistet werden kann. Dies gilt umso mehr deshalb, weil die „Dauerbaustelle InsO“ ständig reformiert wird: Seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung im Jahr 1999 gab es bereits mehr als ein Dutzend Reformen mit teilweise einschneidenden Änderungen bzw. Neuerungen. Wer das alles nachlesen möchte, kann hierzu etwa § 1 Rz. 9 ff. im „Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht“ einmal nachschlagen. Hinzu kommt, dass die Beteiligten eines Insolvenzverfahrens mit Recht erwarten, dass sie auf einen versierten Insolvenzrichter treffen, der ihnen etwa für ein Vorgespräch zur Verfügung steht, § 10a InsO.
Mit dem jüngsten Vorstoß legt nun das BMJ die Axt an eine gut aufgestellte Insolvenzgerichtsbarkeit. Zu einer solchen gehören kompetente Rechtspfleger und kompetente Mitarbeiter der Geschäftsstellen, aber eben auch und gerade kompetente Insolvenzrichter.
Worum geht es? Ein BMJ-Schreiben vom 13. 6. 2023 befasst sich mit einer Neuordnung von Zuständigkeiten in Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzsachen und der Vereinheitlichung von Zuständigkeiten aus den Länderöffnungsklauseln des § 19 RPflG. Danach soll § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG wie folgt gefasst werden:
„Die Zuständigkeiten in Verbraucherinsolvenzverfahren einschließlich der sich anschließenden Restschuldbefreiungsverfahren könnten – vollständig – auf die Rechtspfleger übertragen werden.
Die derzeitigen Richtervorbehalte für das Insolvenzeröffnungsverfahren und das gerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG), das Insolvenzplanverfahren (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG) sowie bestimmte Entscheidungen im Restschuldbefreiungsverfahren (§ 18 Abs. 1 Nr. 4 RPflG wären insoweit zu streichen, sodass in richterlicher Zuständigkeit allein Entscheidungen in besonderen Fällen verblieben (insbesondere die Haftanordnungen nach § 98 InsO, internationalinsolvenzrechtliche Anordnungen im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 5 RPflG und Entscheidungen im Einzelfall aufgrund Vorbehalt oder Ausübung des Evokationsrechts nach § 18 Abs. 2 RPflG.“
Es geht also um eine vollständige Übertragung aller Zuständigkeiten in Verbraucherinsolvenzverfahren („IK-Verfahren“) auf die Rechtspflegerschaft. Der BAKinso hat hierzu bereits Stellung genommen (vgl. hierzu den Report, ZVI 2023, 336 (in diesem Heft)).
Vordergründig geht es „nur“ um eine Vollübertragung des Verbraucherinsolvenzverfahrens auf den Rechtspfleger. Vordergründig erscheint dies auch nicht unvertretbar zu sein: Im Verbraucherinsolvenzverfahren muss der Schuldner bekanntlich zunächst eine geeignete Stelle bzw. geeignete Person aufsuchen und sich von dieser persönlich beraten lassen, § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Außerdem besteht Formularzwang, § 305 Abs. 3 InsO. All dies erleichtert und standardisiert die Tätigkeit beim Insolvenzgericht. Besondere Schwierigkeiten treten im Massenverfahren der Verbraucherinsolvenz eher selten auf, etwa bei von Gläubigern gestellten Restschuldbefreiungsversagungsanträgen; für diese ist bislang der Insolvenzrichter zuständig, § 18 Abs. 1 Nr. 4 RPflG.
ZVI 2023, 311
Vordergründig also alles halb so wild? Nein! Tatsächlich steckt weitaus mehr dahinter. Bei vielen kleinen Insolvenzgerichten gibt es weniger als ein volles Richterpensum für Insolvenzverfahren insgesamt, also für Regel- und Verbraucherinsolvenzen zusammen genommen. Schon um eine Vertretung zu gewährleisten, wird dieses Pensum auf zumindest zwei Insolvenzrichter aufgeteilt. Würde man nun die Verbraucherinsolvenz auf die Rechtspflegerschaft übertragen, so dürften die Richterpensen häufig in etwa halbiert werden. Das würde bedeuten, dass bei einem einzelnen Insolvenzrichter nur noch ein Pensum von 25 % oder sogar weniger erhalten bliebe. Hinzu treten verfassungsrechtliche Bedenken, die gegen die beabsichtigte Vollübertragung auf die Rechtspflegerschaft sprechen (dazu demnächst Heyer, ZVI 2023, Heft 9).
Es liegt auf der Hand, dass eine Spezialisierung bei einem derartig kleinen Pensum kaum möglich ist. Ein Insolvenzrichter, der lediglich zu 20 % seiner Tätigkeit mit Insolvenzverfahren betraut ist, macht dies quasi nebenbei und empfindet diese Tätigkeit naturgemäß oft eher als lästig. Gerne gibt er diese dann auch zeitnah ab, und ein anderer Richter-Kollege übernimmt dann; nicht selten ist dies dann ein jüngerer Richter, der sich gegen die ungewollte Versetzung ins Insolvenzgericht nicht zu wehren traut. Sicherlich gibt es bei vielen Insolvenzgerichten löbliche Ausnahmen. Diese Ausnahmen aber bestätigen nur die vielfach in der Praxis zu beobachtende Regel.
Die geplante Vollübertragung der Verbraucherinsolvenz auf die Rechtspflegerschaft wirkt sich so kontraproduktiv auf die Gewährleistung einer kompetenten Insolvenzgerichtsbarkeit aus, wie sie in an anderer Stelle, nämlich in § 22 Abs. 6 GVG postuliert wird: „Richter in Insolvenz- und Restrukturierungssachen sollen, soweit dies zur Erfüllung der jeweiligen Richtergeschäftsaufgabe erforderlich ist, über belegbare Kenntnisse auf den Gebieten des Insolvenzrechts, des Restrukturierungsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts sowie über Grundkenntnisse der für das Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren notwendigen Teile des Arbeits-, Sozial- und Steuerrechts und des Rechnungswesens verfügen. Einem Richter, dessen Kenntnisse auf diesen Gebieten nicht belegt sind, dürfen die Aufgaben eines Insolvenz- und Restrukturierungsrichters nur zugewiesen werden, wenn der Erwerb der Kenntnisse alsbald zu erwarten ist.“
Der Weg, den das BMJ mit der beabsichtigten Vollübertragung der Verbraucherinsolvenz auf die Rechtspflegerschaft beschreitet, geht genau in die verkehrte Richtung. Es braucht nicht weniger spezialisierte Insolvenzrichter, sondern – im Gegenteil – viel mehr davon. Es ist erschreckend, dass diese im Gesetz bereits geregelte Selbstverständlichkeit im BMJ offensichtlich nicht wirklich angekommen zu sein scheint.
Auch die berufsständischen Vereinigungen der Insolvenzverwalterschaft sollten ein Interesse an einer Stärkung der Insolvenzgerichte haben und sind gefordert, sich klar zu positionieren. BAKinso als berufsständische Vereinigung der Insolvenzrichter- und -rechtspflegerschaft ist wieder einmal couragiert, klar und mit gutem Beispiel vorangegangen.
Dr. Andreas Schmidt, Hamburg

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