ZVI 2022, 289

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2022 EditorialThomas Reck

Über Geld spricht man nicht. Oder doch?

Möchten Sie wissen, was Ihr Nachbar verdient? Dann sollten Sie neben einem Insolvenzverwalter einziehen. Angehörige dieser Berufsgruppe müssen damit leben, dass Informationen über ihre Vergütung im Internet für alle Interessenten nachzulesen sind. Diese Offenheit gibt es andernorts nicht in so weitgehender Form: Meine Bezüge als Beamter sind kein Geheimnis, denn was ich monatlich in der Besoldungsgruppe X, Erfahrungsstufe Y, Steuerklasse Z, erhalte, kann man ebenso ohne Weiteres im Internet nachlesen. Dazu müssten Sie aber die von mir als X, Y und Z bezeichneten Details kennen.
Beim Insolvenzverwalter geht es weniger diskret zu. Der Vergütungsbeschluss ist nach Maßgabe des § 64 Abs. 2 InsO ohne die festgesetzten Beträge öffentlich bekanntzumachen. Nach Auffassung des BGH (ZVI 2018, 121) bedeutet dies eine mit Ausnahme des festgesetzten Betrages textlich vollständige Veröffentlichung. Diskretion sieht anders aus, denn die Festsetzung lässt sich aus den Angaben in der Begründung errechnen. Das wurde von den Ländern Hamburg und Thüringen zum Anlass für einen Vorstoß zur Änderung des § 64 Abs. 2 InsO genommen. Danach sollte die Sichtweise des BGH in der InsO festgeschrieben und der Alternative – Veröffentlichung eines Hinweises auf eine ergangene Vergütungsentscheidung – eine offizielle Absage erteilt werden (Reck, ZVI 2020, 457). Nachdem bis zur letzten Bundestagswahl keine abschließende Befassung mit dem Vorschlag erfolgen konnte, ist er zwischenzeitlich erneut eingebracht worden (BT-Drucks. 20/1415).
Unklar erscheint, weshalb darin weiterhin in schon fast kompromissloser Weise für die Sichtweise des BGH Partei eingenommen wird. Haftung, Strafbarkeit – alles möglicherweise Üble für den Fall, dass man es anders macht, wird genannt. Warum darauf so sehr abgehoben wird, erschließt sich allerdings nicht. Wenn der Insolvenzverwalter die Vergütung in Höhe eines zu diesem Zeitpunkt vorliegenden und nicht abgeänderten oder aufgehobenen Vergütungsbeschlusses der Masse entnimmt, stellt das keine Pflichtverletzung dar. Eine Regelung, nach der die Rechtskraft des Vergütungsbeschlusses abgewartet werden muss, besteht nicht. Im Unterschied dazu erfolgt jedoch keine Auseinandersetzung mit der Frage, warum nicht das historisch entstandene Verständnis des Veröffentlichungsinhalts und -umfangs in der InsO verschriftlicht wird. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit wäre das jedoch geboten, ebenso die Befassung mit anderen Alternativen wie einer verpflichtenden Einstellung in das Gläubigerinformationssystem des Insolvenzverwalters. In der Stellungnahme der Bundesregierung wird eine längere Rechtsmittelfrist genannt. Überzeugend ist auch das nicht, denn wer sich als Insolvenzgläubiger jetzt nicht näher für Vergütungsbeschlüsse interessiert, wird das wahrscheinlich auch dann nicht tun, wenn es zu einer Verlängerung der Beschwerdefrist käme. Es fehlt hierbei so oder so bereits an einer Motivation für Gläubiger, sich überhaupt mit der Materie zu beschäftigen, da die eigene Teilhabe an einer Reduzierung der Vergütung geringer als der Minderungsbetrag ausfällt.
Auf der Strecke bleibt bei der Volltextveröffentlichung insbesondere der datenschutzrechtliche Aspekt. Die in der Begründung des Entwurfs monierte Veröffentlichungspraxis entgegen der Entscheidung des BGH beruht gerade ZVI 2022, 290darauf, dass in einem Vergütungsbeschluss enthaltene Verfahrensdetails nicht ohne Not über den Kreis der Beteiligten hinaus der Allgemeinheit ohne Weiteres zugänglich gemacht werden sollen.
Es wirkt deshalb zu kurz gegriffen, wenn nur darauf abgestellt wird, dass die DSGVO-Konformität sich daraus ergibt, dass die Volltextveröffentlichung in Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung erfolgt. Datenschutzrechtlich sensible personenbezogene Inhalte sollen in der Internetversion unkenntlich gemacht werden. Eine Aussage dazu, wie insoweit eine Nachprüfung erfolgt und welche Folgen eine fehlerhafte Einstufung hat, fehlt jedoch. Nach der Sichtweise des BGH müsste angenommen werden, dass eine unzutreffende Schwärzung die Vollständigkeit der Veröffentlichung aufhebt.
Keine Berücksichtigung findet ferner, dass eine Zulässigkeit der Veröffentlichung keinen Einfluss auf die Betroffenenrechte nach Datenschutzrecht hat. Das bezieht sich in dem hier interessierenden Kontext insbesondere auf die Rechte auf Berichtigung, Löschung und Einschränkung der Verarbeitung nach Art. 16 bis 18 DSGVO. Der potentielle Kreis Betroffener reicht dabei vom Insolvenzverwalter über gesetzliche Vertreter einer juristischen Person als Schuldnerin und eine natürliche Person als Schuldner bis hin zu unbeteiligten Dritten, die in einem für die Vergütung bedeutsamen Zusammenhang in irgendeiner Weise in Erscheinung getreten sind.
Eine Ausübung dieser Rechte lässt sich mit dem Konzept der Volltextveröffentlichung nicht vereinbaren. Das beginnt bereits damit, dass eine Anonymisierung von Textpassagen in der Internetversion bedeutet, dass Insolvenzgläubiger sich erst anderweitig Kenntnis des vollständigen Beschlusses verschaffen müssen – was aber gerade vermieden werden soll. Ferner wäre die inhaltliche und zeitliche Kontinuität einer Veröffentlichung möglicherweise nicht mehr gewährleistet, wenn mit nachträglichen Eingriffen am Text gerechnet werden muss.
Die Veröffentlichung vollständiger Beschlüsse ermöglicht Datenauswertungen von erheblicher Komplexität, wie die unlängst im RWS Verlag erschienene Dissertation von Sahrmann „Praxis der Zu- und Abschläge bei der Vergütung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters“ eindrucksvoll zeigt. Das lässt sich aber auch auf der kommerziellen Ebene weiter ausbreiten: Aus einem Vergütungsbeschluss, in dem die Berechnungsgrundlage geringer als die festgesetzte Mindestvergütung ausfällt, ergibt sich, dass der Schuldner kein oder nur ein geringes pfändbares Einkommen hat und nach Erteilung der Restschuldbefreiung noch vier Jahre der Stundungsüberprüfung unterliegt. Damit lassen sich Datenmodelle für Auskunfteien und Inkassounternehmen schaffen, die über die aus der Vergangenheit bekannten sogenannten Prangerseiten qualitativ weit hinausreichen. Diese waren aber inhaltlich „nur“ auf das Kopieren und Verbreiten der Schuldnerdaten ausgerichtet. Insolvenzveröffentlichungen sind üblicherweise standardisierte Texte, in die Verfahrensdaten eingesteuert werden. Eine weitergehende Individualisierung muss dabei im Regelfall nicht vorgenommen werden. Dagegen offenbart ein Vergütungsbeschluss mit steigendem Begründungsumfang auch immer mehr Details aus dem Verfahren, die alternativ nur im Rahmen einer Akteneinsicht zur Kenntnis genommen werden können.
Kann das gewollt sein?
Thomas Reck, Bremen

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell