RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln
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1619-3741
Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz
ZVI
2025
EditorialDaniel Blankenburg
Weitere Digitalisierung des Insolvenzverfahrens – welche Wege müssen neu gedacht werden?
Die Justizverwaltungen arbeiten seit Jahren darauf hin, die rechtsverbindliche elektronische Akte bei allen Gerichten bis zum 1. Januar 2026 einzuführen. Dies wird – möglicherweise mit wenigen Ausnahmen1 – nach großen Kraftanstrengungen der Länder auch flächendeckend gelingen. Damit ist der größte Schritt zur Digitalisierung der gerichtlichen Verfahren gemacht. Die Einführung der elektronischen Gerichtsakte ist allerdings nur der Anfang. An vielen Stellen wurde nur die Handhabung der Papierakte in die elektronische Form transferiert, ohne die Prozesse neu zu überdenken. Dies führt dazu, dass die erheblichen Arbeitserleichterungspotentiale der Digitalisierung bei Weitem noch nicht ausgeschöpft sind und noch weitere Schritte in den nächsten Jahren folgen müssen.
Zuletzt sind mehrere Beiträge dazu veröffentlicht worden, die sich mit den Möglichkeiten der weiteren Digitalisierung der Verfahren beschäftigen.2 Dabei werden sowohl Sofortmaßnahmen als auch zukünftige Anpassungsmöglichkeiten für die Zivilprozess- bzw. Insolvenzverfahren vorgeschlagen. Es befinden sich dabei viele interessante Forderungen, die sowohl auf Seiten der Insolvenzgerichte als auch auf Seiten der Insolvenzverwalter zu erheblichen Arbeitserleichterungen führen könnten. Fraglich erscheint aber, ob die Vorschläge einem Realitätscheck standhalten und damit zeitnah zu Verbesserungen führen können.
Da die Justizverwaltung gem. Art. 92 GG den Ländern obliegt,3 besteht kein einheitliches System für die elektronische Akte. Herausgebildet haben sich vielmehr drei Systeme für die Datenhaltung der elektronischen Akte (e²A, VIS-Justiz, eIP) und drei Systeme für die Fachverfahrensdatenpflege (Eureka-Winsolvenz, Judica, ForumStar). Da die eAkten-Systeme nicht an ein bestimmtes Fachverfahren gekoppelt sind, ergeben sich fünf unterschiedliche Kombinationen, die in den Ländern eingesetzt werden. Ob die Fachverfahren in absehbarer Zeit durch das gemeinsame Fachverfahren (GeFa) ersetzt werden, steht noch in den Sternen. Die Heterogenität bedingt unterschiedliche Abläufe bei den Gerichten. Insoweit ist der Ruf nach einer Vereinheitlichung verständlich.4 Realistisch erscheinen solche Bestrebungen allerdings nicht. Die verbindliche Vorgabe von einheitlichen Bearbeitungsweisen scheitert schon an der richterlichen Unabhängigkeit, die inhaltlich auch die den Rechtspflegern zugewiesenen Tätigkeiten umfasst. Es ist schon schwierig, gerichtsintern eine einheitliche Handhabung zu erreichen. Auf Länderebene erscheint dies ambitioniert, auf Bundesebene gänzlich unmöglich. Erhebliche Bedenken an der Realisierbarkeit bestehen auch hinsichtlich der neuerdings angedachten bundeseinheitlichen Kommunikationsplattform. Nach den Vorschlägen der Reformkommission zum Zivilprozessverfahren soll das gesamte Verfahren über diese Plattform abgewickelt werden.5 Dies ZVI 2025, 250wäre gleichbedeutend mit der Schaffung eines bundeseinheitlichen eAkten-Systems. Dass sich die Länder auf ein einheitliches System einlassen und ihre über Jahre mit viel (finanziellem) Aufwand entwickelten Lösungen aufgeben werden, erscheint eine kühne Annahme.
Nicht neu, aber vollkommen zutreffend sind die Überlegungen, dass eine elektronische Gerichtsakte mehr als die Ansammlung von pdf-Dateien sein soll.6 Die Justiz sollte daher ab 2026 ihre Überlegungen dahin intensivieren, wie ein besserer Datenaustausch zwischen den Beteiligten erreicht werden kann. Dieser Bereich bietet ein großes Einsparpotential und kann Fehler in der Aktenführung minimieren. Gerade der Insolvenzbereich bietet sich an, um den Austausch von Daten über strukturierte Datensätze vorzunehmen, da mit den Schuldnerberatungsstellen und den Insolvenzverwaltern zwei professionale Verfahrensbeteiligte mitwirken, die ebenfalls Interesse an einer reibungsfreien Verfahrensabwicklung haben. Es widerspricht sämtlichen Digitalisierungsbemühungen, wenn im Rahmen der vorgerichtlichen Beratung des Schuldners Formulare handschriftlich ausgefüllt werden, die dann bei Gericht manuell in die Fachverfahren eingetragen werden müssen. Die Justiz ist daher aufgerufen, Strukturen dafür zu schaffen, dass die Informationen ohne Medienbruch direkt eingereicht werden können.7
Soweit vom Gravenbrucher Kreis Sofortmaßnahmen vorgeschlagen werden, die unmittelbar durch den Gesetzgeber umgesetzt werden könnten,8 sind diese Vorschläge mit Vorsicht zu genießen. Die Überlegung, Zustellungen auch per E-Mail zu ermöglichen, mag auf den ersten Blick charmant vereinfachend klingen, bedarf aber eines zweiten Blickes auf die Systematik der Verfahrensordnungen. Zu beachten ist, dass auf den Insolvenzverwalter durch die Zustellung ureigene Gerichtsaufgaben übertragen werden. Die E-Mail ist zwar als Kommunikationsform rechtlich anerkannt, jedoch als Zustellungsform bisher nicht vorgesehen. Diese Form der Zustellung sollte daher nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn sie auch in anderen gerichtlichen Bereichen auf Akzeptanz stoßen könnte. Schließlich ist der Insolvenzbereich nicht der einzige Bereich, bei dem es zu Massenzustellungen kommen kann.
Nicht weit genug gehen die Überlegungen zur Niederlegung der Tabelle.9 Anstatt Vereinfachungsversuche vorzunehmen, sollte lieber radikaler gedacht werden. Die Niederlegung hatte ursprünglich den Zweck zu verhindern, dass Unterlagen durch das Gericht zur Einsicht herausgegeben werden, auf die weitere Verfahrensbeteiligte möglicherweise auch Zugriff nehmen wollten. Es sollte sichergestellt werden, dass die Unterlagen grundsätzlich bei Gericht anzutreffen waren. Diese Überlegungen spielen bei der elektronischen Akte überhaupt keine Rolle mehr. Daher sollte auch auf die Niederlegung verzichtet werden. Unterstützenswert sind aber die Überlegungen, die Forderungsanmeldung nur noch digital zu ermöglichen und sie nicht mehr dem Gericht zukommen zu lassen. Gerade der umfangreiche Datenaustausch zwischen Gericht und Verwaltern führt zu einer erheblichen Belastung dieser beiden Verfahrensbeteiligten. Voraussetzung ist dann allerdings, dass die Daten im GIS so zur Verfügung stehen, dass das Gericht darauf ohne weiteres zugreifen kann.
Bei allen neuen digitalen Lösungsvorschlägen ist jedoch immer zu beachten, dass die technische Umsetzung meist nicht trivial ist und mit hohen personellen und fiskalischen Belastungen einhergeht. Die Ressourcen der Justiz sind begrenzt, so dass Schnellschüsse nicht weiterführen. Vielmehr bedarf es einer eingehenden Konzeptionierung der entsprechenden Lösungen. Die Einführung der elektronischen Akte hat insoweit gezeigt, dass ein iteratives Vorgehen zwar zu in der Praxis einsetzbaren Ergebnissen führt, dieses jedoch nicht zwingend sämtliche technischen und organisatorischen Möglichkeiten ausschöpft. Inwieweit künstliche Intelligenz die Insolvenzgerichte auf diesem Weg unterstützen kann, ist derzeit kaum absehbar.
RiAG Dr. Daniel Blankenburg, Hannover, derzeit abgeordnet an den Bundesgerichtshof, Karlsruhe
- 1
- 1)So wird jedenfalls in den Ländern mit ForumStar die Insolvenztabelle auch über den 1. Januar 2026 in Papierform geführt werden. Zudem ist derzeit nicht absehbar, ob bereits zu diesem Datum flächendeckend in Sachsen-Anhalt eine elektronische Akte zur Verfügung stehen wird.
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- 2)Dazu Fuest, INDat-Report 4/2025, S. 14 ff.; Bolz, INDat-Report 2/2025, S. 12 ff.; Gravenbrucher Kreis, Herausforderungen bei der weiteren Digitalisierung des Insolvenzverfahrens, ZVI 2025, 196; allgemein zum Zivilprozess: Münchener Thesen zum Zivilprozess der Zukunft, ZInsO 2025, 1254; Abschlussbericht der Reformkommission Zivilprozess der Zukunft, 2025 (https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen/Nav_Themen/250131_Abschlussbericht_Zivilprozess_Zukunft.pdf?__blob=publicationFile&v=3), zuletzt abgerufen am 11. Juni 2025.
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- 3)Vgl. dazu BeckOK GG/Morgenthaler, Stand: 15. 3. 2025, Art. 92 Rz. 34.
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- 4)So Fuest, INDat-Report 4/2025, S. 18; Abschlussbericht (Fußn. 2), S. 47 ff.
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- 5)Abschlussbericht (Fußn. 2), S. 56; zustimmend Gravenbrucher Kreis, ZVI 2025, 196.
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- 6)Vgl. dazu Kollbach, ZIP 2022, 199, 203; Kollbach, ZInsO 2022, 624, 626.
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- 7)Für die Schuldnerberatungen besteht bereits seit den Nulljahren eine Schnittstelle (STR-Datei), die allerdings ungenutzt ist.
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- 8)Gravenbrucher Kreis, ZVI 2025, 196, 197.
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- 9)Gravenbrucher Kreis, ZVI 2025, 196, 198.