ZVI 2018, 261

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2018 EditorialPraxedis Möhring

Begründet die Wahl der Steuerklasse V eine Obliegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO?

Für die Durchführung des Lohnsteuerabzugs werden Arbeitnehmer in Steuerklassen eingereiht (§ 38b Abs. 1 Satz 1 EStG). Über diese wird typischen Unterschieden in den Besteuerungsgrundlagen Rechnung getragen. Die Steuerklasse ist wesentliches Hilfsmittel zur Berechnung der Lohnsteuer (§ 39b Abs. 2 Satz 6 – 8, Abs. 3 Satz 7 EStG; Hummel, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, 287. AL 4/2018, § 38b Rz. A2). Verheiratete Arbeitnehmer, die nicht dauernd getrennt leben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und beide Arbeitslöhne beziehen, gehören in die Steuerklasse IV. Die zuvor genannten Arbeitnehmer gehören in die Steuerklasse III, wenn ihre Ehepartner auf Antrag beider Ehegatten in die Steuerklasse V eingereiht werden. Dazu korrespondierend gehören verheiratete Arbeitnehmer in die Steuerklasse V, wenn die Ehegatten der Arbeitnehmer auf Antrag beider Eheleute in die Steuerkasse III eingereiht werden. In den Steuerklassen I, II und IV ist die Jahreslohnsteuer nach § 32a Abs. 1 EStG, in der Steuerklasse III nach § 32a Abs. 5 EStG zu berechnen (§ 39b Abs. 2 Satz 6 EStG). Für die Steuerklasse V basiert die Lohnsteuerberechnung auf der Annahme, dass der Arbeitslohn, von dem Lohnsteuer nach der Steuerklasse V einbehalten wird, im Verhältnis 2:3 zu dem Arbeitslohn des Ehegatten steht (§ 39b Abs. 2 Satz 7 EStG; Hummel, a. a. O., § 39b Rz. B41). Dabei muss der Ehegatte mit der Steuerklasse V sich höhere steuerliche Abzüge gefallen lassen als der Ehegatte mit der Steuerklasse III, bei dem alle Freibeträge für beide Ehepartner berücksichtigt werden, während der Ehepartner mit der Lohnsteuerklasse V auf die Freibeträge verzichtet.
Diese steuerlichen Regelungen haben Folgen für das Vollstreckungsverfahren. Durch die Wahl der Steuerklasse V kann der verheiratete Schuldner durch Erhöhung der Steuerschuld den Gläubigern pfändbares Einkommen entziehen (§ 850e Nr. 1 ZPO). Der Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen gehört zwar zur Insolvenzmasse, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor oder während des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist (§ 35 Abs. 1 InsO). Doch wird dieser Anspruch von der Abtretungserklärung gem. § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht erfasst (BGH, Beschl. v. 12. 1. 2006 – IX ZB 239/04, ZVI 2006, 58). Entsprechendes gilt für die Einzelvollstreckung: Die Lohnpfändung umfasst nicht den Steuererstattungsanspruch. Es stellt sich mithin die Frage, wie auf eine die Gläubiger schädigende, unberechtigte Wahl der Steuerklasse V reagiert werden kann.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann im Restschuldbefreiungsverfahren ein Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit vorliegen, wenn der verheiratete Schuldner ohne hinreichenden sachlichen Grund eine für den Gläubiger ungünstige Steuerklasse wählt. Ihm ist zuzumuten, in die Steuerklasse IV zu wechseln, um sein liquides Einkommen zu erhöhen, wenn er ohne einen sachlichen Grund die Steuerklasse V gewählt hat, um seinem nicht insolventen Ehegatten die Vorteile der Steuerklasse III zukommen zu lassen. In der Einzel- und Gesamtvollstreckung ist in entsprechender Anwendung von § 850h Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO eine missbräuchliche Steuerklassenwahl den Gläubigern gegenüber unbeachtlich (BGH, Beschl. v. 5. 3. 2009 – IX ZB 2/07, ZVI 2009, 264, Rz. 2; für die Einzelvollstreckung vgl. BGH, Beschl. v. 4. 10. 2005 – VII ZB 26/05, ZVI 2005, 587; vgl. auch BAG NJW 2008, 2606, Rz. 25 f.).
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In der Literatur werden an das Vorliegen eines sachlichen Grundes keine allzu hohen Erwartungen geknüpft. Die Verbesserung des Familieneinkommens habe der Schuldner nicht hinter die Gläubigerinteressen zu stellen. Eine Verminderung der Steuerlast der Ehepartner insgesamt stelle einen rechtfertigenden Grund für die Steuerklassenwahl dar (Waltenberger, in: HK-InsO, 8. Aufl., § 295 Rz. 12; Wimmer/Ahrens, InsO, 9. Aufl., § 295 Rz. 38 f.). Nach der Rechtsprechung liegt ein sachlicher Grund vor, wenn die monatlichen steuerlichen Abzüge für den Schuldner und seinen Ehepartner bei den gewählten Steuerklassen III und V insgesamt niedriger liegen als bei Wahl der Steuerklassen IV/IV, auch wenn die Jahressteuerlast sich nicht unterscheidet. Denn die höhere monatliche Liquidität könne gegenüber der nur jeweils jährlich erfolgenden Steuererstattung erhebliche sachliche Vorteile haben (LG Dortmund NZI 2010, 581, 582). Demgegenüber soll kein sachlicher Grund vorliegen, wenn die getroffene Wahl der Steuerklassen III und V dazu führe, dass an das Finanzamt insgesamt eine höhere Steuer abzuführen sei (OLG Köln VersR 2002, 336; LG Ansbach JurBüro 2010, 50). Wenn der Schuldner ein höheres monatliches Bruttogehalt erhalte als seine Ehefrau, sei die Wahl der Steuerklasse V für den Schuldner und der Steuerklasse III für die Ehefrau nicht sinnvoll. Die Wahl der Steuerklasse V sei nur für den Ehegatten vernünftig, der ein wesentlich geringeres Einkommen als der andere habe (BAG NJW 2008, 2606, Rz. 26; LG Darmstadt JurBüro 2006, 268).
Richtig dürfte es sein, jedenfalls dann einen hinreichenden Grund für die Wahl der Steuerklasse V anzunehmen, wenn der Schuldner wesentlich weniger verdient als sein Ehegatte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass – wie bereits ausgeführt wurde – für die Steuerklasse V die Lohnsteuerberechnung auf der Annahme beruht, dass der Schuldner an dem Familieneinkommen mit 40 % und der Ehegatte mit 60 % beteiligt sind. Sollte der Schuldner deswegen nur in dieser Höhe oder weniger zum Familieneinkommen beitragen, wird man ihm die Wahl der Steuerklasse V keinesfalls zum Vorwurf machen können, weder in der Einzel- und Gesamtvollstreckung noch im Restschuldbefreiungsverfahren. Ein sachlicher Grund zur Wahl der Steuerklasse V dürfte demnach jedenfalls dann fehlen, wenn beide Ehegatten brutto annähernd gleich viel verdienen oder der Schuldner brutto mehr verdient als der Ehegatte.
Praxedis Möhring, Richterin am Bundesgerichtshof

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