ZVI 2023, 233

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2023 EditorialMartin Ahrens

Der Regelungsgehalt von § 245a InsO

Zu den Kernproblemen langfristiger Vereinbarungen gehören die bestehenden Unsicherheiten über die Zukunft. Ihnen kann durch Parteiabreden Rechnung getragen werden. Es existieren aber auch zahlreiche gesetzliche Regelungen über die Anpassung von Vertragsinhalten. Ganz allgemein sind hierzu etwa § 313 BGB zur Störung der Geschäftsgrundlage, Art. 240 EGBGB über die Anpassung vertragsrechtlicher Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie oder, etwas spezieller, die §§ 557 ff. BGB mit den Regelungen über die Miethöhe bzw. § 9a ErbbauRG zur Erhöhung des Erbbauzinses zu nennen. Diese unvollständige Aufzählung dokumentiert die differenzierte Sicht des Gesetzgebers auf die unterschiedlichen Problemlagen.
Im Insolvenzrecht sind bei den Plangestaltungen vergleichbare Thematiken sichtbar. Für das gerichtliche Schuldenbereinigungsplanverfahren hat der Gesetzgeber in § 309 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 InsO von Beginn an eine Klarstellung geschaffen. Nach dieser Vorschrift ist im Zweifel anzunehmen, dass die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Schuldners zum Zeitpunkt des Antrags während der gesamten Dauer des Verfahrens maßgeblich bleiben. Diese Regelung erfasst aufgrund ihrer systematischen Stellung zunächst nur das gerichtliche Schuldenbereinigungsplanverfahren. Da das Insolvenzplanverfahren anfangs nicht für den Verbraucherschuldner eröffnet war, existierte auch keine Notwendigkeit, die Regelung darauf zu erstrecken.
Dies änderte sich mit der Öffnung des Insolvenzplanverfahrens für Verbraucher durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. 7. 2013 (BGBl I, 2379). Durch die Aufhebung von § 312 Abs. 2 InsO a. F. wurde das Insolvenzplanverfahren als zusätzliche Option auch für Verbraucher geöffnet. Eine § 309 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 InsO entsprechende Regelung wurde dabei nicht geschaffen, wodurch es zu einer gewissen Schieflage zwischen den verschiedenen Planverfahren kam.
Mit § 245a InsO, der durch das SanInsFoG vom 22. 12. 2020 (BGBl I, 3256) eingeführt wurde, ist eine doppelte Vermutungsregelung normiert. Nach Satz 1 ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Schuldners zum Zeitpunkt der Abstimmung über den Insolvenzplan für die Verfahrensdauer und den Zeitraum, in dem die Insolvenzgläubiger ihre rechtlichen Vermutungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend machen können, maßgeblich bleiben. Bei einem zulässigen Antrag auf Restschuldbefreiung ist gem. Satz 2 im Zweifel anzunehmen, die Restschuldbefreiung werde zum Ablauf der dreijährigen Abtretungsfrist aus § 287 Abs. 2 InsO erteilt.
In den Materialien wird die neue Vorschrift mit der Überlegung begründet, die Prüfung einer voraussichtlichen Schlechterstellung bei Insolvenzplänen natürlicher Personen werde dadurch erleichtert. Aufgrund einer § 309 Abs. 2 Nr. 2 Halbs. 2 InsO nachgebildeten Regelung sei im Zweifel davon auszugehen, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners bleiben unverändert. Außerdem werde vermutet, die Restschuldbefreiung trete zum Ablauf der Höchstfrist ein. Damit enthalten die gesetzlichen Normierungen widerlegliche Vermutungs-ZVI 2023, 234regelungen. Diese Vermutungen könnten widerlegt werden (BR-Drucks. 619/20, S. 234, entsprechend BT-Drucks. 19/24181, S. 201 f.).
Vereinzelt ist in der Literatur die Sinnhaftigkeit von § 245a InsO bezweifelt worden (Frind, NZI 2020, 865, 868 f.). Die Rechtsprechung habe die Problematik adäquat gelöst und das 30-jährige Vollstreckungsprivileg für privilegierte Gläubiger aus § 302 InsO sei bei der Normierung nicht berücksichtigt worden.
Einfach zu entkräften ist das Argument, das Vollstreckungsprivileg privilegierter Gläubiger sei nicht berücksichtigt. Intention der gesetzlichen Regelung ist gerade auch, derart langfristige und damit problembeladene Perspektiven zu kupieren. Es soll eben nicht darüber gestritten werden, wie in 30 Jahren die wirtschaftliche Situation des Schuldners aussehe. Im Übrigen können die privilegierten Gläubiger durch eine konsensuale Regelung ihre Spezialinteressen in den Insolvenzplan einbringen.
Ob die Judikatur angemessene Lösungen gefunden hat, ist gerade die Frage. Im Rahmen der Vergleichsrechnung ist verlangt worden, mögliche Gehaltsentwicklungen und die Unterhaltsverpflichtungen gegenüber einer 16-jährigen Tochter einzubeziehen. Es könne nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden, die Tochter sei bis zum Ablauf der Insolvenzplanfrist zu berücksichtigen (LG Hamburg ZVI 2016, 155). Differenzierend hat die gleiche Kammer des LG Hamburg ausgeführt, im Rahmen der Vorprüfung nach § 231 InsO stehe dem Insolvenzgericht nur die Beurteilung zu, ob die Planangaben zur Vergleichsrechnung vollständig und bezüglich der rechtlichen Grundlagen der Ansprüche zutreffend wiedergegeben, nicht aber, ob die Daten vom Planersteller wirtschaftlich richtig bewertet seien (LG Hamburg ZVI 2018, 249, 251 f.; LG Hamburg NZI 2018, 261, 262; außerdem BGH NZI 2015, 697, Rz. 8). Eine unmittelbare Aussage zu den wirtschaftlichen Entwicklungen trifft die Entscheidung nicht. Das AG Köln hat in seiner Entscheidung (ZInsO 2018, 1633) bemängelt, ein Geschäftsführer habe nicht seine derzeitigen Einkünfte dargelegt.
Letztlich ist damit lediglich die erstgenannte Entscheidung des LG Hamburg zu § 245a Satz 1 InsO einschlägig. An dieser Stelle setzt die Gesetzesänderung ein. Soweit das LG darauf abstellt, die gegenwärtige Situation bleibe nicht zwangsläufig unverändert, überantwortet das Gericht das Risiko möglicher Änderungen auf den Schuldner. Mit der Novelle wird hier allerdings eine Korrektur vorgenommen. Änderungsmöglichkeiten sind danach von den Gläubigern vorzutragen und zu beweisen. Dabei fällt diese Sistierung nicht stets zum Vorteil des Schuldners aus. Wenn nach Abschluss der Schule eines unterhaltsberechtigten Kindes von diesem ein Studium begonnen wird, erhöht dieser Umstand die Unterhaltsverpflichtung. Soweit der Schuldner hier keinen konkreten Hinweis gibt, wird diese Änderung nicht zu seinem Vorteil berücksichtigt.
Keine der angeführten Entscheidungen setzt sich zudem mit der Einbeziehung etwaiger Versagungsgründe in die Planperspektiven auseinander. Für diese Frage greift § 245a Satz 2 InsO ein. Die Norm konstatiert eine prinzipielle Geltung der dreijährigen Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens. Soweit die Gläubiger einen etwaigen Versagungsantrag annehmen, müssen sie diesen darlegen und erforderlichenfalls beweisen.
In diesen Mechanismus darf durch das Gericht nicht eingegriffen werden. Es darf insbesondere nicht seine Ansicht über die wirtschaftliche Bewertung des Plans an die Stelle der Einschätzung durch die Gläubiger setzen (BGH NZI 2015, 697, Rz. 8). Es hat nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO einen Insolvenzplan von Amts wegen zurückzuweisen, wenn die Vorschriften über das Recht zur Vorlage und den Inhalt des Plans nicht beachtet und Mängel nicht behoben worden sind. Durch die Vermutungsregelung aus § 245a InsO wird dem Gericht an dieser Stelle gerade die Interventionsoption genommen. Es hat von dem gegenwärtigen Stand der wirtschaftlichen Verhältnisse und einer dreijährigen Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens auszugehen. Das Insolvenzgericht darf deswegen nicht eine mögliche Versagung der Restschuldbefreiung annehmen, wenn noch kein Versagungsantrag gestellt wurde. Dem steht die gesetzliche Vermutung entgegen. Anders verhält sich die Situation nur, wenn Insolvenzgläubiger eine abweichende Situation vortragen und im Bestreitensfall beweisen.
Prof. Dr. Dr. h. c. Martin Ahrens, Universität Göttingen

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