ZVI 2018, 217

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2018 EditorialUlrich Jäger

Schuldenfrei in drei Jahren – ein einseitiger Segen der EU

Es ist wieder einmal soweit: Europa schickt sich an, länderübergreifende Verfahrensregeln für ein Rechtsgebiet zu schaffen. Diesmal richtet sich der Blick auf das Insolvenzverfahren. Hehres Ziel ist eine zumindest teilweise Vereinheitlichung der insolvenzrechtlichen Bestimmungen und als Ergebnis eine Stärkung des EU-Binnenmarktes. Dies sollte ein Grund zur Freude sein, da schließlich wir alle davon profitieren können.
Wir alle? Hier kommt es, wie so oft, auf die unterschiedlichen Bereiche der geplanten Änderungen an und die Perspektive, aus der man sie betrachtet. Deutlich wird dies, wenn man sich die Vorschläge für eine „zweite Chance“ für gescheiterte Selbstständige anschaut: Es soll Unternehmern, möglichst schnell, die Gelegenheit eines Fresh-Starts nach einer Insolvenz eröffnet werden. Dabei ist geplant, die vollständige Entschuldung nach höchstens drei Jahren zwingend vorzugeben. Nun ist diese Idee nicht ganz neu, sie war in Deutschland bereits Gegenstand von Koalitionsvereinbarungen. Auch ist die Grundtendenz, die Wirtschaft auch im Segment der Kleinunternehmungen zu fördern und die Risiken selbstständiger Tätigkeit überschaubar zu halten, nach wie vor nicht zu beanstanden.
Wie so häufig, ist auch hier die Theorie ziemlich grau. Eine Insellösung für gescheiterte Selbstständige kommt, zumindest in Deutschland, nicht in Betracht, der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG stünde einer allgemeinen Privilegierung der Unternehmer entgegen. Wird also die Drei-Jahres-Frist zur Entschuldung geltendes Recht werden, wird sie für alle natürlichen Personen gelten müssen. Auch wenn gewisse Nuancierungen im Hinblick auf die unterschiedlichen Konstellationen bei insolventen Unternehmern und insolventen Verbrauchern denkbar wären, bleibt es doch beim Grundsatz, dass für alle natürlichen Personen der Weg zur Restschuldbefreiung binnen drei Jahren geebnet wird.
Diese Drei-Jahres-Frist zur Entschuldung auch für Verbraucher ist vielfach von Schuldnervertretern und deren Verbände gefordert worden. Auch aus der Politik wurden die Stimmen pro Verkürzung der Entschuldungsfrist (auch) für Verbraucher lauter, zumeist mit der (ebenso pauschalen wie unzutreffenden) Begründung, die Gläubiger würden ohnehin keine Zahlungen im Verfahren bzw. der Wohlverhaltensperiode erhalten. Die Gläubigerseite dagegen lehnte unisono eine weitere Vereinfachung des Weges zur Restschuldbefreiung ab.
Nun werden sie kommen, diese drei Jahre – wem nützen sie? Ob sich die eigentliche Zielgruppe der Selbstständigen zu den Gewinnern zählen darf, kann durchaus in Zweifel gezogen werden. Schon heute besteht in Deutschland die Möglichkeit, auch in einem laufenden Insolvenzverfahren eine neue selbstständige Tätigkeit zu ermöglichen und diese aus der Insolvenzmasse freizugeben. Ist hier wirklich die ZVI 2018, 218Drei-Jahres-Frist ein geeigneter Motor für einen Neustart? Nutznießer jedenfalls ist die öffentliche Hand, die aufgrund verkürzter Dauer des Gesamtverfahrens mit geringeren Aufwendungen für Verfahrenskostenstundungen rechnen darf. Profitieren aber werden logisch in erster Linie die Verbraucher, deren Frist zur Entschuldung halbiert wird.
Verlierer aber sind, neuerlich, die Gläubiger, deren Erlöse aus Insolvenzfahren wieder sinken werden. Wenn Gelder aus Verbraucherinsolvenzverfahren generiert werden, dann regelmäßig in der zweiten Hälfte der Wohlverhaltensperiode, die nunmehr der kürzeren Frist zur Restschuldbefreiung geopfert wird. Der außergerichtliche Einigungsversuch hat sich stets am Zeitraum von der Eröffnung bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung orientiert. Auch hier sind erhebliche Einbrüche bei den angebotenen Zahlungen zu erwarten. Man mag dies als gegeben und als „notwendigen“ Kollateralschaden hinnehmen, wenngleich nicht übersehen werden sollte, dass es auch verfassungsrechtliche Grenzen beim fortwährenden Eingriff in Gläubigerrechte gibt.
Gehen aber von der Verkürzung der Entschuldungsfrist nicht noch weitere Gefahren aus? Auch wenn Kassandrarufe angesichts der klaren Beschlusslage ungehört verhallen müssen, bleiben doch einige Sorgen:
Jede Erleichterung der Erlangung der Restschuldbefreiung hat zwei Seiten: Einmal eine (durchaus diskutable) Vereinfachung für die wirklich redlichen Schuldner, zum anderen einen Anreiz für Sorglosigkeit im Umgang mit Verbindlichkeiten. Je geringer das Risiko und die möglichen Folgen bei der Begründung von Schulden sind, desto höher wird die Bereitschaft zu risikoreichem Handeln. Das Missbrauchspotential steigt im selben Maße wie die Zahlungsmoral sinkt. So wird im Ergebnis das Prinzip der Vertragstreue vielfach auf der Strecke bleiben. Ein hoher, vielleicht zu hoher Preis.
Schwer vorherzusagen ist zudem, ob nicht eine Mehrbelastung der Gerichte aufgrund einer steigenden Anzahl von Verfahren zur Versagung der Restschuldbefreiung, aber auch aufgrund einer zu erwartenden nachlassenden Akzeptanz des außergerichtlichen Einigungsversuchs auf Seiten der Gläubiger zu befürchten ist.
Es bleibt abzuwarten, ob im weiteren Gesetzgebungsverfahren die eine oder andere Regelung zur gerechteren Justierung gefunden wird. Zu bedenken wäre immerhin, dass jede Schraube irgendwann überdreht werden kann.
Ass. jur. Ulrich Jäger, Justiziar der Seghorn AG, Bremen

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