ZVI 2017, 169

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2017 Editorial 

Der Fluch des Internets

Das System der Insolvenzbekanntmachungen birgt viele Probleme

Das Internet ist allgegenwärtig. Es ist praktisch und aktuell, es ermöglicht schnelle Recherchen – und es vergisst nicht. Wie im Leben auch sonst liegen Fluch und Segen des Internets auch im Insolvenzverfahren dicht beieinander.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass die insolvenzrechtlichen Entscheidungen im Internet bekannt gemacht werden, § 9 Abs. 1 InsO (www.insolvenzbekanntmachungen.de). Es ist auch praktisch. Sie kosten wenig, sie sind leichter verfügbar als die früheren Veröffentlichungen in den Printmedien und sie sind stets aktuell. Die Kosten waren einer der Hauptgründe dafür, seinerzeit von den Printveröffentlichungen auf die Internetveröffentlichungen umzusteigen. In den Verbraucherinsolvenzverfahren mit einem Kostenstundungsanteil von über 95 % ächzten die Landesjustizkassen unter den immensen Kosten. Neben der Verwaltervergütung schlugen seinerzeit vor allem die Veröffentlichungskosten zu Buche. Allein eine Veröffentlichung in einer Tageszeitung konnte schnell mehrere hundert Euro kosten. Da kam es gerade recht, dass das Internet auf der Seite des Justizportals des Bundes und der Länder ein Medium bot, das einfach verfügbar war und das nur wenige Euro kostete.
Über diese Vorteile hinaus sind die Konsequenzen jedoch wenig durchdacht worden.
Das begann schon mit einer wenig vorbereiteten Gläubigerschaft, der die Funktion der Insolvenzbekanntmachungen wenig bekannt und verständlich war. Viele Gläubiger verstehen bisweilen noch heute die Insolvenzbekanntmachungen als umfassende Informationen über die laufenden Insolvenzverfahren. Ihnen ist nicht bekannt, dass die Insolvenzbekanntmachungen nur die zu veröffentlichenden Entscheidungen der Gerichte darstellen. Die Geschäftsstellen der Insolvenzgerichte kennen die Problematik. Gläubiger, die möglicherweise vom Schuldner selbst darauf hingewiesen worden sind, dass „ein Insolvenzverfahren laufe“, will sagen, dass sie angeblich nicht mehr vollstrecken dürfen, wenden sich an die Gerichte um diese Aussage zu verifizieren. Die Gerichte verweisen oftmals auf die amtlichen Bekanntmachungen, über die sich die Gläubiger informieren können. Wenn aber noch keine zu veröffentlichenden Entscheidungen ergangen sind, verlaufen die Recherchen der Gläubiger im Sande und sie stehen vor dem Dilemma, dass sie doch vielleicht vom Schuldner selbst einen Hinweis auf das Insolvenzverfahren bekommen haben, dieses aber nicht finden können. Es bedarf schon einiger zusätzlicher Informationen, um das zu erklären.
Ein weiteres Problem ist für viele Gläubiger die richtige Suche im Internet. Das betrifft nicht nur das gewöhnungsbedürftige System einer „uneingeschränkten“ oder einer „Detailsuche“ auf dem Portal. Es beginnt schon bei den Grundlagen der Suche. Wie gebe ich den Namen eines Schuldners ein? Nur den Familienamen, den Familien- und den Vornamen, in welcher Reihenfolge, getrennt durch Kommazeichen oder ohne Trennzeichen? Es gibt viele Fragen. Oder wie gehe ich mit diakritischen Zeichen im Namen um? Wie gebe ich z. B. ein „å, ê, ë, ç, ø, š, ŏ“ in die Suchmaske ein? Das Insolvenzportal ist für ungeübte Gläubiger nicht so einfach zu verstehen und zu durchschauen. Das ist wegen der weitreichenden Folgen der Veröffentlichungen ein Problem. Gläubiger versäumen ggf. Beteiligungsrechte, wenn sie die Insolvenzbekanntmachungen nicht zuverlässig verfolgen. Außerdem setzen die Veröffentlichungen im Internet Rechtsmittelfristen in Gang.
ZVI 2017, 170
Der Bundesgerichtshof hat schon in einer Entscheidung aus dem Jahr 2013 eine „irreführende Gestaltung der Abfragemaske des Portals“ bemängelt (BGH ZVI 2014, 32). In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein Gläubiger bei der Namenssuche nach einem Schuldner nicht erkannt, dass er lediglich den Familiennamen eingeben darf und dass die zusätzliche Eingabe des Vornamens zu fehlerhaften und/oder unvollständigen Suchergebnissen führt. Das Problem liegt allerdings schon in den gesetzlichen Vorgaben begründet. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 a) der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet vom 12. 2. 2002 (BGBl I, 677 – InsOBekVO) ist im Rahmen der Detailsuche der „Familienname“ ein Suchkriterium. Der Vorname wird nicht erwähnt, was unzureichend erscheint. Der Bundesgerichtshof führt in der zitierten Entscheidung zu Recht aus, dass „ein auf eine sorgfältige Recherche bedachter Rechtssuchender stets versuchen wird, den Namen möglichst vollständig einschließlich des Vornamens einzugeben“. „Bei häufig auftretenden Namen wie Müller, Meier oder Schulz ist anderenfalls auch keine hinreichende Unterscheidungskraft gegeben.“ Hier müssen sowohl das Insolvenzportal aus auch der Verordnungsgeber für Klarheit sorgen.
Schwierig wird es auch, wenn der Schuldner seinen Namen im Laufe des Verfahrens gewechselt hat. Unter welchem Namen muss er dann gesucht werden? Das Portal muss hier Hilfestellung bieten.
Bei der „Detailsuche“ ist es auch möglich, unter dem Wohnort des Schuldners zu suchen. Was geschieht aber, wenn dem suchenden Gläubiger nur der vorherige Wohnort bekannt ist? Oder wie wird ein Verfahren gefunden, wenn das Aktenzeichen im Laufe des Verfahrens wechselt?
Eine länderübergreifende Arbeitsgruppe unter Leitung des nordrhein-westfälischen Justizministeriums versucht derzeit, das Insolvenzportal verständlicher und nutzerfreundlicher umzugestalten.
Undurchsichtig ist für viele Gläubiger auch das System der Löschungen der Insolvenzbekanntmachungen. Die Veröffentlichungen sind nicht dauerhaft verfügbar, sondern werden nach § 3 InsOBekVO nach bestimmten Fristen wieder gelöscht. In der Regel geschieht dies nach sechs Monaten nach Beendigung des Verfahrens. Wenn ein Verfahren aber gar nicht eröffnet wird, sondern nur Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, die dann wegen der Erledigung des Verfahrens wieder aufgehoben werden, werden auch die Veröffentlichungen wieder gelöscht. Gläubiger, die die veröffentlichten Sicherungsmaßnahmen im Internet gesehen haben und nun auf die Eröffnung des Verfahrens warten, werden sich mitunter wundern, dass sie nach kurzer Zeit gar keine Bekanntmachungen zu dem betreffenden Schuldner mehr finden. All das erklärt sich nicht von selbst.
Und was sicher bei der Umstellung auf die Internetveröffentlichungen ursprünglich auch kaum jemand bedacht hat, ist, dass die Bekanntmachungen ein wundersames Geschäftsfeld für Auskunfteien eröffnen. Es gibt mittlerweile zahlreiche Portale und Apps, die die Insolvenzdaten geschäftsmäßig aus dem Portal erheben und weiterverarbeiten. Das geht so weit, dass Schuldner sogar auf einer Landkarte dargestellt werden können, die mit dem Standort des Suchenden verbunden ist (s. dazu Heyer, ZVI 2016, 379). Das hat mit einer seriösen Suche nichts mehr zu tun, sondern ist in erster Linie Voyeurismus. Nachdem erste Gerichte solche Praktiken untersagt haben (AG Rockenhausen ZVI 2016, 475), scheinen die Anbieter ihre Adressen nunmehr in ferne Länder zu verlagern, in denen es sehr viel schwieriger ist, Schuldnerrechte durchzusetzen. Zu erkennen ist das an Anbieteradressen mit Domain-Endungen wie „.to“ für das Königreich Tonga oder „.com“.
Solche Datenerhebungen sind grundsätzlich sogar legal. Insolvenzdaten sind „allgemein zugängliche Daten“ i. S. d. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Bundesdatenschutzgesetzes, die ohne Einschränkungen erhoben, gespeichert, verarbeitet und weitergegeben werden dürfen. Sie müssen nicht einmal zeitnah gelöscht werden. Die sechsmonatigen Löschfristen nach § 3 InsOBekVO gelten nur für die Gerichte und nicht für Dritte. Die Gerichte achten mittlerweile sehr darauf, dass sie ihre Veröffentlichungen nach den gesetzlichen Bestimmungen wieder löschen. Dritte, wie Auskunfteien oder andere Portale, unterliegen nach der ganz herrschenden Meinung in der Rechtsprechung aber nicht diesen kurzen Löschfristen, sondern haben die Daten erst nach drei oder ggf. vier Jahren nach Beendigung des Verfahrens zu löschen (OLG Frankfurt/M. NZI 2016, 188; OLG Karlsruhe ZVI 2016, 314) – sicherlich auch etwas, über das seinerzeit kaum jemand vertieft nachgedacht hat. Und so kommt es im Geschäftsverkehr dazu, dass Schuldner auch noch nach Jahren im Internet über Suchmaschinen oder Apps gefunden werden und ihnen ihre Verschuldung vorgehalten wird, obwohl die Gerichte die Bekanntmachungen schon längst gelöscht haben.
Mit dem durch die Restschuldbefreiung beabsichtigten Neustart hat das nichts mehr zu tun. Es ist dringend Zeit, diese Situation zu überarbeiten. Und mit jeder neuen App, die auftaucht, um Schuldnerdaten plakativ darzustellen, wird das Problem drängender.
Prof. Dr. Hans-Ulrich Heyer, Oldenburg (Oldb.)

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