ZVI 2024, 117

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2024 EditorialAlexander Kampf

Fortschritt der Digitalisierung der Justiz – auf Kosten der Insolvenzverwalter?

Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz vorgelegt. Dieser sieht mit der fortschreitenden Digitalisierung in Zusammenhang stehende Veränderungen von insgesamt 25 Gesetzen und Verordnungen vor. Änderungen der Insolvenzordnung sowie des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung finden sich in Art. 36 und 37. Diese Änderungen dienen auch der weiteren Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsmaßnahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) (ABl. L 172 vom 26. 6. 2019, S. 18). Laut der amtlichen Begründung des Entwurfes (S. 72 u. 73) sollen in allen Verfahren nach der Insolvenzordnung Gläubigerinformationssysteme zum zentralen Zugangspunkt für verfahrensrelevante Informationen und Mitteilungen ausgebaut werden.
Der Artikel 36 des Entwurfes sieht Änderungen im Bereich der §§ 5, 8, 28 und 174 InsO vor. Auf die für Insolvenzverwalter wohl bedeutendste Änderung soll hier näher eingegangen werden. Dies ist die projektierte Neufassung der S. 1 und 2 des § 5 Absatz 5 InsO. Gemäß Art. 36 Nr. 1 lit. a) Buchst. bb) werden die S. 1 und 2 wie folgt gefasst:
Insolvenzverwalter haben ein elektronisches Gläubigerinformationssystem vorzuhalten und darin jedem Insolvenzgläubiger, der eine Forderung angemeldet hat, alle Entscheidungen des Insolvenzgerichts, alle Rechtsmittelentscheidungen, alle an das Insolvenzgericht übersandten Berichte, welche nicht ausschließlich die Forderungen anderer Gläubiger betreffen, und alle die eigenen Forderungen betreffenden Unterlagen unverzüglich in einem gängigen Dateiformat zum elektronischen Abruf zur Verfügung stellen. Über das Gläubigerinformationssystem müssen auch die Dokumente zugänglich sein, die dem Gläubiger nach § 8 Abs. 3 zugestellt worden; sie sind besonders kenntlich zu machen.
Nach der derzeitigen Fassung des § 5 Abs. 5 InsO ist die Vorhaltung eines elektronischen Gläubigerinformationssystems (=EGIS) grundsätzlich fakultativ, was sich aus dem gesetzlichen Wortlaut („soll“) ergibt. Lediglich dann, wenn der Schuldner im vorangegangenen Geschäftsjahr wenigstens zwei der drei in § 22a Abs. 1 InsO genannten Merkmale erfüllt (mindestens 6.000.000 € erzielte Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrages i. S. d. § 268 HGB, mindestens 12.000.000 € erzielte Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag und/oder im Jahresdurchschnitt mindestens 50 beschäftigte Arbeitnehmer) besteht eine Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Vorhaltung eines EGIS und der Einstellung der in § 5 Abs. 5 Satz 1 InsO genannten Dokumente.
Es darf angesichts der vorerwähnten in § 22a Abs. 1 InsO genannten Kriterien davon ausgegangen werden, dass die EGIS-Vorhalteverpflichtung sich derzeit lediglich auf einen kleinen einstelligen Prozentsatz der eröffneten Insolvenzverfahren bezieht, so dass sich ein großer Anteil der Insolvenzverwalterbüros mangels Befassung mit Insolvenzen mit den § 22a Abs. 1 InsO genannten Merkmale mit dem Aufbau eines EGIS jedenfalls nicht zwangsläufig zu befassen hatte. Dies dürfte insbesondere für Verwalterbüros gelten, die sich schwerpunktmäßig mit der Abwicklung von Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen und/oder mit der Abwicklung von Nachlassinsolvenzverfahren befassen.
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Während solchermaßen strukturierte und spezialisierte Verwalterbüros durch die geplante Novellierung klar benachteiligt würden, würden große Insolvenzverwalterkanzleien, die bereits ein EGIS eingerichtet und bei dessen Nutzung Erfahrungen gesammelt haben, klar bevorzugt, da die Kapazitätserweiterung weitaus günstiger zu realisieren sein dürfte als der Aufbau völlig neuer Kapazitäten.
Für die flächendeckende, d. h. vom Grundsatz jedes eröffnete Insolvenzverfahren erfassende Einführung eines EGIS sprechen fraglos die Erhöhung der Transparenz des Verfahrens für die Beteiligten, die potentiell erhöhte Akzeptanz des Verfahrens sowie die Verfahrensökonomie.
Eine bereits zu Konkurszeiten zu beobachtende Tendenz, die sich seit dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung intensiviert zu haben scheint, ist die des „betreuten Anmeldens“ als Ausdruck einer umfassenden Erwartungshaltung an Insolvenzverwalter im Hinblick auf individuelle und jederzeitige Einzelberichterstattung auf Zuruf hin.
Weder die den Anmeldeunterlagen beigefügten Merkblätter noch ergänzende schriftliche und fernmündliche Erläuterungen konnten und können verhindern, dass eine hohe Anzahl von schriftlichen, digital übermittelten und telefonischen Anfragen von Verfahrensbeteiligten unnötig Personalressourcen binden.
Nach der bereits seit dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung geltenden Konzeption erfüllt der Insolvenzverwalter seine Pflichten im Hinblick auf die Berichterstattung und Rechnungslegung durch die Einreichung und Niederlegung der korrespondierenden Unterlagen beim Insolvenzgericht (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 2, § 66 Abs. 1, 2 InsO), wo die Verfahrensbeteiligten diese ggf. einsehen können.
Dessen ungeachtet ist das Büro des Insolvenzverwalters allzu häufig Anlaufstelle von Anfragen zum Stand des Verfahrens. Die Einsichtnahme der Unterlagen durch Verfahrensbeteiligte beim Insolvenzgericht entspricht zwar der gesetzlichen Konzeption, erfordert aber bei den Insolvenzgerichten eine entsprechende räumliche und personelle Ausstattung, die häufig nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist.
Dies berücksichtigend ist zu konstatieren, dass die geplante Novellierung hauptsächlich bezweckt, die Insolvenzgerichte weiter zu entlasten. Nach der ersten Stufe einer Verpflichtung zur Einrichtung eines EGIS für nur wenige Verfahren und der freigestellten Einführung eines EGIS für den Großteil der übrigen Verfahren sollen nunmehr sämtliche Verfahren in einem EGIS abgebildet werden. Dies mag man unter Berücksichtigung der allgemein voranschreitenden Digitalisierung in sämtlichen Bereichen der Jurisprudenz als sachgerecht ansehen.
Nicht sachgerecht erscheint es dagegen, dass der Bundesgesetzgeber offensichtlich beabsichtigt, die von ihm vorzuhaltende Justizorganisation weiter ohne adäquaten wirtschaftlichen Ausgleich, d. h. auf Kosten der Insolvenzverwalter, zu entlasten. Eben darauf läuft der Entwurf indes hinaus. Der Regierungsentwurf befasst sich in der Begründung auf S. 73 ausführlich mit den Vorzügen der Novellierung und der Digitalisierung, geht aber mit keinem Wort auf die mit der Einrichtung und Pflege eines EGIS verbundenen Kosten ein.
Der BGH hat zu der derzeitigen Rechtslage entschieden, dass die Kosten eines EGIS, auch wenn sie konkret einem einzelnen Verfahren zuzuordnen sind, nicht zusätzlich zur Vergütung des Verwalters aus der Masse aufzubringen sind (vgl. BGH ZInsO 2016, 1647). Dies mag angesichts der betragsmäßigen Höhe der in Großverfahren festzusetzenden Vergütungen und des vergleichsweisen geringen prozentualen Anteils der EGIS-Kosten hieran hinzunehmen sein.
Der mit der flächendeckend verpflichtenden EGIS-Einführung verbundene Kostenfaktor sollte allerdings bei der Menge kleinerer Insolvenzverfahren, insbesondere solcher, die lediglich auf Basis der Kostenstundung (§ 4a InsO) zur Eröffnung gelangen, nicht unterschätzt werden. Die Frage der zusätzlichen Berichtigung der Kosten eines EGIS ist strittig (vgl. HambKomm-Rüther, InsO, 9. Aufl., 2022, § 5 Rz. 57 sowie K. Schmidt/Stephan, InsO, 20. Aufl., 2023, § 5 Rz. 40, die der Rechtsauffassung des BGH folgen, a. A. dagegen Reck, in: A. Schmidt, Kommentar zum Privatinsolvenzrecht, 2. Aufl., 2022, Rz. 16, der sich auf BGH ZVI 2011, 226 bezieht). Der Streit wird Auftrieb erhalten, falls die geplante Änderung tatsächlich beschlossen werden sollte. Dazu dürfte insbesondere die kurz bemessene Übergangsfrist beitragen.
Der Artikel 37 des Regierungsentwurfes sieht die Einfügung einer Überleitungsvorschrift vor. Gemäß des Artikel 103n Abs. 1 Satz 1 EGInsO soll die vorerwähnte Novellierung des § 5 InsO für alle ab dem 17. 7. 2024 eröffneten Insolvenzverfahren gelten.
Alexander Kampf, Rechtsanwalt, Hamburg

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