ZVI 2023, 145

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2023 EditorialJan Roth

Das Privatinsolvenzverfahren, der Nachlass und die Steuer – eine faszinierende Mischung

Nur wenige Gerichtsentscheidungen schaffen es in das Editorial einer Zeitschrift – und wenn, dann sind es zumeist bedeutsame Entscheidungen europäischer Gerichte oder zumindest der Bundesgerichte. Beschäftigt man sich allerdings mit der außerordentlichen Schönheit der Schnittstelle von Insolvenzverfahren, Erbfall und damit zusammenhängenden steuerlichen Fragen, dann entdeckt man bisweilen instanzgerichtliche Entscheidungen, die sich ihrem Betrachter nicht als Mauerblümchen, sondern als prächtige Orchideen darstellen.
Das Schöne an einem Editorial ist, dass man sich auch mit einer Orchideenentscheidung nicht wissenschaftlich auseinandersetzen und sie weder für falsch noch für richtig befinden muss. Man kann schlicht und einfach auf ihre Faszinosa hinweisen und es dabei bewenden lassen.
Die Entscheidung des FG Düsseldorf, Urteil vom 9. 2. 2023 – 9 K 2035/20 E, ZVI 2023, 185 (in diesem Heft), ist eine Orchideenentscheidung. Der Kläger war Insolvenzverwalter über den Nachlass des verstorbenen Unternehmers A, der gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb von Spielhallen erzielt hatte. Das Insolvenzverfahren war im Jahr 2005 eröffnet worden. Zu diesem Zeitpunkt lebte A noch; er verstarb im Laufe des eröffneten Insolvenzverfahrens im Jahr 2014. Streitgegenständlich war die Einkommensteuerfestsetzung für 2010, die mit Bescheid vom 28. 12. 2016 gegenüber dem Kläger erfolgt war. Der Einkommensteuerfestsetzung hatte das Finanzamt Umsatzsteuererstattungsansprüche für die Jahre 2003 und 2004 als Betriebseinnahmen zugrunde gelegt, die bei Betriebsaufgabe im Jahr 2004 nicht bilanziert worden, sondern erst in 2010 zugeflossen waren. Im Jahr 2007 hatte der Kläger Masseunzulänglichkeit angezeigt. Der Kläger begehrte nun, den Einkommensteuerbescheid für 2010 aufzuheben. Neben materiellrechtlichen Angriffen hielt der Kläger den Bescheid auch deswegen für rechtswidrig, weil ihm infolge der angezeigten Masseunzulänglichkeit § 210 InsO entgegenstehe.
Das Finanzgericht gab der Klage überwiegend statt. Es erkannte, dass das Betriebsaufgabeergebnis so ermittelt und besteuert wird, als sei die Forderung im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe nach Grund und Höhe unstreitig gewesen. Der Jahre später erfolgte Zahlungseingang bei dem Insolvenzverwalter stellte sich deswegen als rückwirkendes Ereignis i. S. v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar mit der Folge, dass sich der Zufluss im Jahr 2004 steuererhöhend auswirken konnte, nicht aber mehr im Jahr 2010. Schon diese Erkenntnis ist orchideenknospenhaft: Scharfsinnig, richtig und masseschützend obendrein.
Zur Blüte gelangt der Streitfall jedoch in weniger augenfälligen Fragen und hier weiß man nicht genau, in welcher Farbe die Entscheidung blüht: Ist es denn richtig, dass gegenüber dem Insolvenzverwalter über einen Nachlass eine Festsetzung für Einkommensteuer erfolgen kann? Im Grundsatz nicht, denn der Insolvenzverwalter über einen Nachlass ist Insolvenzverwalter über ein insolvenzrechtliches Sondervermögen (§ 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO) und eben nicht Vermögensverwalter (§ 34 Abs. 3 AO) über das Vermögen einer natürlichen Person. Der Einkommensteuer unterliegen aber nur die Einkünfte natürlicher Personen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG). Das Steuerschuldverhältnis des ZVI 2023, 146Erblassers geht mit dem Erbfall auf den Erben und nicht auf den (Nachlass-)Insolvenzverwalter über. Steuerschuldner ist also ab dem Todeszeitpunkt der Erbe. Der Nachlassinsolvenzverwalter kommt als Bekanntgabeadressat im Streitfall – ausnahmsweise – nur deswegen in Betracht, weil es sich nicht um ein originäres Nachlassinsolvenzverfahren handelt, das bereits anfänglich über einen Nachlass eröffnet worden wäre, sondern weil der einkommensteuerrechtlich interessierende Zufluss bei dem Insolvenzverwalter zu einem Zeitpunkt erfolgte, als der Insolvenzschuldner noch eine natürliche Person war. Würde man das in einem originären Nachlassinsolvenzverfahren genauso sehen können, wenn der Insolvenzverwalter einen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Umsatzsteuererstattungsanspruch zur Masse zieht und der Zufluss erst nach der Eröffnung erfolgt? Ich glaube nicht. Strahlend weiß wäre unsere Orchideenblüte dann, wenn das Finanzgericht darauf hingewiesen hätte.
Lustige bunte Sprenkel hat unsere Blüte aber doch noch: Der Insolvenzverwalter hatte gegen den Bescheid, mit dem die Einkommensteuer für 2010 festgesetzt wurde, erfolglos Einspruch erhoben und sodann dagegen seine Klage gerichtet, (auch) weil er der Meinung war, dass nach angezeigter Masseunzulänglichkeit wegen § 210 InsO eine solche Festsetzung nicht ergehen dürfe. Das Finanzgericht erkannte: Der Kläger hatte Einspruch eingelegt und Klage erhoben gegen den „Bescheid“, damit also gegen die Festsetzung – nicht aber gegen das in dem Bescheid enthaltene Leistungsgebot. Und das ist völlig richtig: Der Einspruch und infolgedessen die Klage hätte sich explizit (zumindest auch) auf das Leistungsgebot beziehen müssen. Da das unterblieben war, war die Klage insoweit mangels Vorverfahren gem. § 44 Abs. 1 FGO bereits unzulässig. Wer sich gegen ein Leistungsgebot wehren will, etwa weil er Masseunzulänglichkeit angezeigt hat, der muss eben das Leistungsgebot angreifen, einen Abrechnungsbescheid herbeiführen und gegebenenfalls insoweit Einspruchs- und Klageverfahren betreiben. Wer hätte das gedacht?
Prof. Dr. iur. Jan Roth, RA/FAErbR/FAInsR/FASteuerR, Honorarprof. an der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel, Partner der Kanzlei Wellensiek, Frankfurt a. M./Köln

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