ZVI 2022, 133

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2022 EditorialAndreas Rein

Das BSG, die Erforderlichkeit einer Schuldnerberatung nach § 16a Nr. 2 SGB II und ein allgemeines Recht auf Schuldnerberatung

In einer Entscheidung aus dem letzten Jahr hat sich das Bundessozialgericht (Urt. v. 21. 7. 2021 – B 14 AS 18/20 R, ZVI 2022, 144 (in diesem Heft)) mit einer Frage aus dem Bereich der Finanzierung der Schuldnerberatung beschäftigt. Vereinfachend könnte man die Frage so formulieren: Ist einem Bezieher von Alg II-Leistungen (nachfolgend: Kläger) eine Schuldnerberatung auch dann zu gewähren, wenn unklar ist, ob er nach Inanspruchnahme der Beratung erwerbstätig sein wird? Diese Fragestellung ergibt sich aus der Regelung des § 16a Nr. 2 SGB II: Danach können Leistungen der Schuldnerberatung, „die für die Eingliederung der oder des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in das Erwerbsleben erforderlich sind“, erbracht werden. Und vorliegend war unklar, ob nach der Beratung auch eine Arbeitsaufnahme des Klägers folgen würde. Das Jobcenter hat die Kostenübernahme abgelehnt, weil der Kläger in der Vergangenheit Eingliederungsangebote des Jobcenters nicht wahrgenommen habe. So habe er eine ihm für die Zeit von Dezember 2012 bis Juni 2013 angebotene niedrigschwellige Maßnahme zur Unterstützung der beruflichen Eingliederung unter Verweis auf fehlende Leistungsfähigkeit abgelehnt, ohne dann angeforderte Atteste vorzulegen. Er sei auch mehrfach zu Meldeterminen beim Jobcenter nicht erschienen und habe die ihm abverlangten Bewerbungsbemühungen nicht nachgewiesen. Auch SG und LSG hielten die Voraussetzungen des § 16a Nr. 2 SGB II für nicht gegeben.
Das BSG hat das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Es hat klargestellt, dass eine Schuldnerberatung nur dann zur Eingliederung in das Erwerbsleben i. S. d. § 16a Nr. 2 SGB II erforderlich ist, wenn ein Eingliederungserfolg mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Für diese Prognose muss eine Plausibilitätsprüfung angestellt werden. Und für die Frage, wie diese richtig zu treffen ist, wird die Entscheidung hinsichtlich der Schuldnerberatung dann konkret: Anders als manch andere Eingliederungsleistungen soll die Schuldnerberatung die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erst vorbereiten oder flankierend unterstützen. Das Ergebnis der Prognose muss daher nicht sein, dass der Schuldnerberatung voraussichtlich eine Arbeitsaufnahme folgt oder sie die einzige Möglichkeit zur Erreichung des Ziels „berufliche Eingliederung“ darstellt. Vielmehr reicht hier (so der Leitsatz des BSG) aus, „dass die Leistung im Einzelfall zumindest mittelbar zur Eingliederung in Arbeit erforderlich ist“. Erscheint auch mittelfristig eine Eingliederung nicht erreichbar, ist die Leistung „Schuldnerberatung“ nicht erforderlich. Das BSG nennt hier ausdrücklich das Beispiel, dass die leistungsberechtigte Person zu keiner Eingliederung in Arbeit bereit sei. Das war vorliegend aber keinesfalls klar, weil das LSG aus dem Verhalten aus der Vergangenheit auf die Zukunft geschlossen hat. Deshalb erfolgte die Aufhebung des LSG-Urteils und die Zurückverweisung.
§ 16a Nr. 2 SGB II ist – was die Finanzierung der Schuldnerberatung angeht – Segen und Fluch zugleich: Einerseits stellt dies eine verlässliche Finanzierungsgrundlage für die Schuldnerberatung auf der Grundlage des SGB II und so für die dessen Voraussetzungen erfüllenden Personenkreise dar. Andererseits ist aber damit eine (vorbeugende) Schuldnerberatung für noch erwerbstätige Personen ausgeschlossen, weil die Voraussetzung der „Hilfebedürftigkeit“ ZVI 2022, 134des § 9 SGB II nicht erfüllt ist (so ausdrücklich BSG, Urt. v. 13. 7. 2010 – B 8 SO 14/09 R). Auch „nicht eingliederungsbereite“ Personen erhalten keine Förderung und Personengruppen, die nicht ins SGB II fallen (etwa Alg I-Empfänger oder Rentner), haben ebenfalls keine Anspruch nach § 16a SGB II. Für eine voraussetzungslose Gewährung der Schuldnerberatung ist zugegebenermaßen das SGB II auch nicht der richtige Anknüpfungspunkt. Schon seit Jahren fordert daher die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) ein umfassendes Recht auf Schuldnerberatung, das in einer neu zu schaffenden Vorschrift im SGB XII zu verankern ist (Vorschlag der AG SBV: § 68a SGB XII, Positionspapier vom 14. 2. 2018, abrufbar unter https://www.agsbv.de/?s=recht+auf+schuldnerberatung). Das kann man nur nachhaltig unterstützen. Denn selbst wenn der Vermittlungsvorrang im SGB II tatsächlich abgeschafft würde (so der Koalitionsvertrag 2021 – 2025 „Mehr Fortschritt wagen“ SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, dort S. 76), würde dies zwar die Schuldnerberatung nach dem SGB II weiter stärken, aber das Problem des Ausschlusses bestimmter Personengruppen von der Beratungsleistung „Schuldnerberatung“ nicht lösen. Und dass dieses Problem in ganz erheblichem Umfang besteht, ist nicht von der Hand zu weisen: So ergab eine zwischen Februar und August 2020 durchgeführte Umfrage der AG SBV, dass bei den Beratungsstellen, die sich an der Umfrage beteiligten, immerhin 35 % bestimmte Personenkreise ausschließen (müssen). Dies sind etwa Rentner (43,18 % der „ausschließenden“ Beratungsstellen), Erwerbstätige (51,52 %) oder Alg I-Bezieher (34,09 %). Nur nebenbei: Bei Selbstständigen, deren umfassende (Schuldner-)Beratung gerade seit der Corona-Pandemie von allen Seiten gefordert wird, winken die Beratungsstellen besonders häufig ab: Immerhin 72,73 % der Beratungsstellen, die bestimmte Personenkreise von der Beratung ausschließen, beraten sie nicht.
Schuldnerberatung ist in der gegenwärtigen Zeit im wahrsten Sinne des Wortes von existenzieller Bedeutung. Nicht nur die Corona-Pandemie, die viele wirtschaftlich schwer erschüttert hat, sondern auch steigende Energiepreise und eine insgesamt unsichere wirtschaftliche Zukunft machen dies täglich deutlich. Es ist höchste Zeit, dass diese wichtige und qualitativ hochwertige Beratungsleistung allen, die sie benötigen, auch kostenfrei zusteht.
Prof. Dr. Andreas Rein, Ludwigshafen am Rhein

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell