ZVI 2019, 125

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2019 EditorialStefan Saager

Kontopfändungsschutz: Wem zum Nutzen, wen zu schützen?

Die Zwangsvollstreckung dient der Verwirklichung materiellen Rechts. Die Durchsetzung der materiellrechtlichen Ansprüche der Gläubiger mittels Zwangsvollstreckung unterliegt aber einer Grenze, deren Linien vom Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG) und von der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 GG) aus zwischen der Durchsetzung der Forderung des Gläubigers und dem Schutz des Schuldners gezogen werden. Die Grenzlinien zieht der Gesetzgeber in der Zivilprozessordnung, bedient sich aber beim Kontopfändungsschutz – um im Bild zu bleiben – zur Entlastung staatlicher Grenzschützer (insbesondere der Gerichte) Grenzschutzhelfern, unter anderem in Person von Schuldnerberatungsstellen und Kreditinstituten.
Nun sollen diese Grenzlinien und die Aufgaben der Grenzschutzhelfer neu definiert werden; das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat nach einer vorangegangenen Evaluierung einen ersten Diskussionsentwurf bereits konsultiert, der auch Gegenstand eines Beitrags in diesem Heft ist (Busch, Kontopfändungsschutz in der Insolvenz nach dem Diskussionsentwurf eines Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetzes – PKoFoG).
Dieses seit 2010 im Wesentlichen in einer Vorschrift der Zivilprozessordnung (§ 850k ZPO) konzentrierte Recht des Kontopfändungsschutzes soll nun reformiert werden. Bei einigen guten Ansätzen, das Rechtsgebiet klar und leichter verständlich als bisher zu gestalten, wundert man sich, welche Ideen der Gesetzentwurf zu einer weiteren Belastung der an der Zwangsvollstreckung unbeteiligten privaten Dritten und zur Verringerung der Aussichten der Gläubiger auf Durchsetzung ihrer Forderungen enthält. Was soll beispielsweise der ganze Aufwand mit dem Kontowechsel (§ 850l ZPO-DiskE)? Warum muss ein Kreditinstitut dem Kontoinhaber den Kontopfändungsschutz erklären (§ 908 ZPO-DiskE) und nicht das Vollstreckungsgericht, das den Schuldner ohnehin über die Pfändung informiert? Wozu braucht man zeitlich befristete zertifizierte Bescheinigungen (§ 910 ZPO-DiskE), wenn noch nicht einmal die staatlichen Stellen, nämlich Sozialleistungsträger, daran gebunden sind, solche standardisierten Bescheinigungen zu verwenden? Warum wird nicht für Sozialleistungsträger eine verbindliche Vorgabe zur Form der Bescheinigung – beispielsweise nach dem Vorbild der Musterbescheinigung der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) – gemacht? Warum soll die Durchsetzung der Forderungen der Gläubiger weiter eingeschränkt werden (§ 899 Abs. 2 ZPO-DiskE)?
Es drängt sich die Frage auf: „Wem zum Nutzen, wen zu schützen?“ Das ist vor allen Dingen auch eine Frage der Akzeptanz staatlicher Regelungen. Ein angemessener Schuldnerschutz ist – nicht nur wegen des dahinterstehenden verfassungsrechtlichen Auftrages an den Gesetzgeber – zwingend erforderlich. Die damit einhergehende Beschränkung der Durchsetzung von Ansprüchen der Gläubiger ist hinzunehmen. Gegen eine maßvolle und sinnvolle Inanspruchnahme Privater ist wenig zu sagen. Im Falle des Pfändungsschutzkontos ist schon de lege lata ein Maß an Schuldnerschutz, ein Grad der Einschränkung der Rechtsdurchsetzung von Gläubigern und ein Umfang der unentgeltlichen Inanspruchnahme Privater erreicht, die fragwürdig ist. Der vorliegende Entwurf legt in allen drei Bereichen teilweise erheblich nach.
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Kontopfändungsschutz dient dem Schutz des Schuldners und schränkt die Durchsetzung der titulierten Ansprüche des Gläubigers ein. Die Praxis zeigt, dass viele Schuldner Pfändungsschutz nicht nur kurzfristig, sondern dauerhaft über viele Jahre in Anspruch nehmen. Kann es Aufgabe staatlichen Kontopfändungsschutzes sein, offenbar hoffnungslos überschuldeten Verbrauchern – warum sonst bedienen sie die titulierten Forderungen ihrer Gläubiger über Jahre hinweg nicht? – auf Kosten anderer eine Alternative zur Privatinsolvenz zu ermöglichen? Den enormen Aufwand des Kontopfändungsschutzes zahlen nicht die zahlungsunfähigen oder zahlungsunwilligen Schuldner, sondern alle anderen als Steuerzahler oder als Kunden eines Kreditinstitutes (ein Pfändungsschutzkonto darf von Gesetzes wegen und vom BGH bestätigt nicht teurer sein als ein gewöhnliches Girokonto; der Aufwand muss daher durch andere Einnahmen „quersubventioniert“ werden).
Man kann – wie das BMJV im vorliegenden Diskussionsentwurf – vorschlagen, den Pfändungsschutz des in einem Kalendermonat pfändungsgeschützten Kontoguthabens auf weitere drei Kalendermonate auszudehnen (§ 899 Abs. 2 Satz 1 ZPO-DiskE). Man könnte beim Kontopfändungsschutz aber auch darüber diskutieren, ob nicht zwangsweise ein Insolvenzverfahren eröffnet werden muss, wenn ein Schuldner am Ende des vierten auf die Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses folgenden Kalendermonats die titulierte Forderung seines Schuldners nicht bedient hat oder mit ihm eine Zahlungsvereinbarung geschlossen hat, die zu einer Erledigung der Zwangsvollstreckung führt. Die Vorschriften über das Pfändungsschutzkonto finden bekanntlich auch in der Insolvenz Anwendung, so dass der Schuldner, der wirklich zahlungsunfähig ist, keinen Nachteil hat. Mit der Möglichkeit der Restschuldbefreiung hat er am Ende sogar eher einen Vorteil.
Unter solchen Voraussetzungen lässt sich ganz anders über private Hilfsdienste beim Kontopfändungsschutz und über de facto meist aussichtslose Kontopfändungen durch Gläubiger diskutieren als unter der Voraussetzung, dass bei vielen Schuldnern die Kontopfändung zu einem Dauerzustand wird. Der Gesetzgeber sollte denjenigen schützen, der schutzbedürftig ist, und Private nur insoweit in Anspruch nehmen, wie es für die Verwirklichung des Schutzes erforderlich ist.
Vielleicht wagt das BMJV mit dem Referentenentwurf einen neuen Versuch, die Interessen der beteiligten Gläubiger und Schuldner anders zu bewerten als bisher, sowie das Ausmaß der Inanspruchnahme unbeteiligter Dritter zu beschränkten anstatt sie auszuweiten. Die zeitliche Begrenzung des Pfändungsschutzes wäre ein mögliches Korrektiv, das Gläubigern, Drittschuldnern und bescheinigenden Schuldnerberatungsstellen, Sozialleistungsträgern und anderen gleichermaßen ihren jeweiligen Beitrag zum Schutz des Schuldners vernünftig, nachvollziehbar und angemessen erscheinen lässt.
Rechtsanwalt Dr. Stefan Saager, Berlin

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