ZVI 2017, 129

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2017 EditorialAndreas Schmidt

Die persönliche Beratung i. S. d. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO

Oder: Warum Heyer (ZVI 2013, 214) und Zipperer (ZVI 2015, 363) Recht haben und viele Insolvenzgerichte nicht

Ein Gespenst geht um in Deutschland, es heißt: Persönliche Beratung. Hintergrund: Durch das „Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte“ wurden Teile des Privatinsolvenzrechts bekanntlich reformiert; die neuen Vorschriften gelten für alle Anträge, die ab dem 1. 7. 2014 gestellt worden sind. Im Vorfeld der Reform hatte man sich heftig insbesondere darüber die Köpfe heiß geredet, ob eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung überhaupt geboten sei, und falls ja, unter welchen Bedingungen dies möglich sein soll. Am Ende stand der neue § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO, der eine Verkürzung der Wohlverhaltensperiode auf drei Jahre vorsieht, wenn neben den Kosten des Verfahrens zusätzlich die Gläubiger, deren Forderung zur Tabelle festgestellt ist, eine Quote von zumindest 35 % erhalten. Eine weitere Änderung betrifft § 302 Nr. 1 InsO. Diese Vorschrift, die den Katalog der Forderungen regelt, die nicht von einer Restschuldbefreiung erfasst werden, wurde erweitert, so dass nunmehr neben den Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung auch rückständiger gesetzlicher Unterhalt, der vorsätzlich und pflichtwidrig nicht gezahlt worden ist, und Forderungen, derentwegen der Schuldner rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden ist, umfasst sind. Auch über diese Erweiterung des § 302 Nr. 1 InsO wurde im Vorfeld der Reform vergleichsweise intensiv gestritten (dazu Reck, ZVI 2017, 131, in diesem Heft).
Eine recht unscheinbar anmutende Änderung betraf § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Norm regelt, dass ein Schuldner, der den Regeln der Verbraucherinsolvenz unterfällt, zunächst eine geeignete Person oder geeignete Stelle aufsuchen muss, um dort eine außergerichtliche Schuldenbereinigung zu versuchen. Erst wenn diese gescheitert ist, was von der geeigneten Person oder geeigneten Stelle zu bescheinigen ist, kann ein Verbraucherinsolvenzantrag in zulässiger Art und Weise beim Insolvenzgericht gestellt werden. In Bezug auf diese Beratung fügte der Reformgesetzgeber ein, dass diese „auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners“ zu erfolgen habe. Für Schuldnerberater, die ihren Beruf ernst nehmen, war und ist dies eine Selbstverständlichkeit.
Zahlreiche Insolvenzgerichte haben sich indes auf den Weg gemacht, die „unseriöse“ Schuldnerberatung, also die Schuldnerberatung, die nicht persönlich i. S. d. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO berät, im Stile von modernen insolvenzrechtlichen Kreuzrittern den Garaus zu machen, indem sie judizieren, dass ein Verbraucherinsolvenzantrag nebst Restschuldbefreiungs- und Stundungsantrag unzulässig und damit zurückzuweisen ist, wenn es an der persönlichen Beratung etwas herumzumäkeln gibt. Dabei wird überwiegend so vorgegangen, dass keineswegs eine generelle Überprüfung sämtlicher Verbraucherinsolvenzanträge stattfindet. Vielmehr wird dann, wenn mehr oder weniger gravierende Anhaltspunkte für eine fehlende persönliche Beratung vorliegen, beim Schuldner nachgefasst. Wie lief die Beratung ab? Waren Sie vor Ort? Mit wem haben Sie gesprochen, und was hat der gemacht? Und so weiter und so weiter. Und: Wann solche Anhaltspunkte vorliegen, wird dann wieder unterschiedlich gehandhabt. Bei einigen Insolvenzgerichten ist es die räumliche Distanz zwischen Wohnort des Schuldners und dem Ort, an dem sich die Räumlichkeiten der geeigneten Person oder geeigneten Stelle befinden. Andere fassen dort nach, wo sie schon einmal „schlechte Erfahrungen“ gemacht haben, führen also gewissermaßen eine Art „schwarze Liste“. Es ist m. E. dringend geboten, dieser Form insolvenzrichterlicher Beschäftigungstherapie den Garaus zu machen. Zum einen – und das dürfte entscheidend sein – hat das Insolvenzgericht eindeutig nicht die Prüfungskompetenz. Wer das nicht glaubt, dem sei die Lektüre von Heyer, ZVI 2013, 214 („Eine Erweiterung der Prüfungskompetenz der Gerichte in Bezug auf die Abschlussbescheinigung ist mit der Reform weder beabsichtigt noch zu begründen. Die Gerichte haben weiterhin nur die formellen Voraussetzungen der Abschlussbescheinigung zu prüfen.“) und Zipperer, ZVI 2015, 363 („Die Notwendigkeit der persönlichen Beratung und Prüfung gem. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO wendet sich allein an die geeigneten Personen und Stelle, nicht aber an das Gericht durch Schaffung eines gesetzlich nicht vorgesehenen Prüfungshorizontes“) dringend empfohlen. Beide Beiträge sind nach wie vor genauso aktuell wie sie richtig sind. Auch ZVI 2017, 130Sternal (NZI 2017, Editorial Heft 4) sieht das so. Die „unseriöse“ Schuldnerberatung muss also mit anderen Mitteln bekämpft werden, also mit ordnungsrechtlichen bzw. standesrechtlichen Maßnahmen. Zum anderen wird hier doch zunächst einmal der Falsche getroffen: Betroffen von dem neuerlichen insolvenzgerichtlichen Aktionismus sind nämlich zunächst einmal diejenigen, um deren Belange es im Verbraucherinsolvenzverfahren doch an erster Stelle gehen sollte: Die Schuldner, die mehr oder weniger arglos einen „unseriösen“ Schuldnerberater aufgesucht, dort unter Umständen Geld bezahlt haben, und nun vom Insolvenzgericht erfahren, dass sie wieder von vorne anfangen müssen. Viele werden dann zermürbt sein und es lassen. Dass derartige Kollateralschäden von zahlreichen Insolvenzgerichten billigend in Kauf genommen werden, geht so nicht, und es wird Zeit, dass der BGH, der bislang noch keine Gelegenheit hierzu hatte, ein deutliches Machtwort spricht.
Die Liste der Insolvenzgerichte, die dies anders sehen, liest sich wie ein „Who’s who“ des Insolvenzrechts. Dabei kann m. E. nicht von einer herrschenden Meinung gesprochen werden. Denn kaum ein Insolvenzgericht wird einen Beschluss verfassen und ausführlich begründen, wieso der Insolvenzantrag trotz fehlender persönlicher Beratung zulässig ist. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass die Insolvenzgerichte, die so verfahren, das Verbraucherinsolvenzverfahren einfach eröffnen.
Hier nun der Katalog der eine Prüfungskompetenz bejahenden Entscheidungen, soweit sie in dieser Zeitschrift veröffentlicht worden sind, in zeitlicher Reihenfolge:
AG Düsseldorf, Beschl. v. 3. 2. 2015 – 513 IK 233/14, ZVI 2015, 171: Unzulässigkeit des Verbraucherinsolvenzantrages, wenn sich die Tätigkeit der geeigneten Person darauf beschränkt, die Scheiternsbescheinigung zu unterschreiben, und zwar auch dann, wenn die Beratung von einer anderen, nicht geeigneten Person oder Stelle durchgeführt wurde;
AG Düsseldorf, Beschl. v. 9. 4. 2015 – 513 IK 232/14, ZVI 2015, 421: Unzulässigkeit des Verbraucherinsolvenzantrages bei telefonischer Beratung oder Beratung per E-Mail.
AG Köln, Beschl. v. 20. 8. 2015 – 73 IK 373/15, ZVI 2015, 371: Unzulässigkeit des Verbraucherinsolvenzantrages, wenn sich die Tätigkeit der geeigneten Person darauf beschränkt, die Scheiternsbescheinigung zu unterschreiben, und zwar auch dann, wenn die Beratung von einer anderen, nicht geeigneten Person oder Stelle durchgeführt wurde. Nicht erforderlich ist eine höchstpersönliche Beratung, wenn die bescheinigende Person dem konkret tätigen Berater gegenüber weisungsbefugt ist;
AG Kaiserslautern, Beschl. v. 13. 1. 2016 – 2 IK 359/15, ZVI 2016, 320: Grundsätzlich keine Prüfungskompetenz des Insolvenzgerichts. Ausnahme bei evident fehlender persönlicher Beratung, dann: Unzulässigkeit des Verbraucherinsolvenzantrages;
AG Hamburg, Beschl. v. 7. 4. 2016 – 68c IK 110/16, ZVI 2016, 355: Unzulässigkeit des Verbraucherinsolvenzantrages bei Gestaltung und Durchführung des außergerichtlichen Einigungsversuchs durch den Schuldner (genauso schon AG Hamburg ZVI 2008, 211 zum alten Recht);
AG Oldenburg, Beschl. v. 19. 4. 2016 – 44 IK 7/16, ZVI 2016, 318: Unzulässigkeit des Verbraucherinsolvenzantrages bei telefonischer Beratung;
AG Göttingen, Beschl. v. 20. 4. 2016 – 74 IK 74/16, ZVI 2016, 354: Beratung i. S. d. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur bei persönlichem Kontakt zwischen Schuldner und Berater;
Und aus der zweiten Instanz:
LG Düsseldorf, Beschl. v. 26. 6. 2015 – 25 T 410/15, ZVI 2015, 335: Unzulässigkeit des Verbraucherinsolvenzantrages bei telefonischer Beratung oder Beratung per E-Mail;
LG Potsdam, Beschl. v. 23. 6. 2015 – 2 T 24/15, ZVI 2015, 285: Eine Beratung, gleichgültig ob diese persönlich oder telefonisch durchgeführt wird, genügt nur dann den Anforderungen, wenn eine verbale Vermittlung und Erläuterung erfolgt und der Schuldner die Möglichkeit hat, Frage zu stellen oder Bedenken zu äußern;
LG Köln, Beschl. v. 17. 8. 2016 – 13 T 62/16, ZVI 2017, 15: Unzulässigkeit des Verbraucherinsolvenzantrages, wenn die persönliche Beratung nicht durch den Aussteller der Bescheinigung, sondern durch eine andere Person oder Stelle erfolgt ist.
In diesem Heft sind dann gleich sechs (!) weitere Entscheidungen abgedruckt, die sich mit diesem Thema beschäftigen, nämlich gleich zwei Entscheidungen des LG Düsseldorf (S. 145 und S. 147), des LG Landshut (S. 146), des AG Aachen (S. 150) und last but not least: zweimal AG Göttingen (S. 148 und S. 149). Es steht zu befürchten, dass dieses Thema so etwas wie ein Dauerbrenner werden wird…
Um Missverständnissen vorzubeugen: Mit der Kritik an den Entscheidungen, die eine Prüfungskompetenz des Insolvenzgerichts bejahen, soll keine Lanze für die „unseriöse“ Schuldnerberatung gebrochen werden. Sowohl Schuldner als auch Insolvenzgericht und Insolvenzverwalter sind sehr froh darüber, dass in der Verbraucherinsolvenz ganz überwiegend sehr gut vorbereitete Insolvenzanträge gestellt werden, und dass der Schuldner schon im Vorfeld über das, was ihn im Insolvenzverfahren erwartet, informiert worden ist. Insbesondere sind jedem Insolvenzrichter, Insolvenzrechtspfleger und Insolvenzverwalter und seinen Mitarbeitern die Anträge bekannt, die häufig in der Regelinsolvenz gestellt werden. Für diese Schuldner besteht keine Pflicht, sich im Vorfeld des Insolvenzantrages beraten zu lassen, und so verwundert es nicht, dass mancher nicht beratene Schuldner, der sich irgendwo irgendwelche Formulare herunterlädt, mit den von ihm zu machenden Angaben überfordert ist und mehr oder weniger ahnungslos in das Insolvenzverfahren hineinschlittert, was dann anderweitig aufgefangen werden muss.
Fazit: Die seriöse Schuldnerberatung ist für die Beteiligten des Verbraucherinsolvenzverfahrens unverzichtbar. Die „unseriöse“ Schuldnerberatung gehört bekämpft. Aber nicht auf dem Rücken der Schuldner.
Dr. Andreas Schmidt

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