ZVI 2016, 129

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2016 EditorialProf. Dr. Hans-Ulrich Heyer, stv. DirAG Oldenburg (Oldb.)

Vorwirkung oder nicht? Gegenmeinung.

Nach der Neuordnung der Sperrfristen durch das Gesetz zur Reform der Verbraucherentschuldung zeigen sich unterschiedliche Auffassungen zur Frage der sog. „Vorwirkung“ von Versagungsgründen für die Gewährung der Verfahrenskostenstundung. Der BGH geht bislang in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine Verfahrenskostenstundung ausscheidet, wenn von vornherein erkennbar ist, dass das Ziel einer Restschuldbefreiung nicht zu erreichen ist, weil offenkundig bereits zu Beginn des Verfahrens Gründe für die Versagung der Restschuldbefreiung vorliegen.
Die Instanzgerichte und überwiegende Literatur halten diese Rechtsprechung auch weiter für richtig (AG Göttingen ZVI 2015, 460; AG Hamburg ZVI 2015, 397; AG Oldenburg ZVI 2016, 42; AG Fürth ZVI 2015, 441; Uhlenbruck/Sternal, InsO, 14. Aufl., 2015, § 287a Rz. 6; Streck, ZVI 2014, 205). Schmidt hält sie im Editorial zu Heft 2 der ZVI vom 15. 2. 2016 demgegenüber für nicht mehr vertretbar und so hat es das AG Hamburg (ZVI 2016, 79) auch entschieden.
Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass die Vorwirkungsrechtsprechung faktisch die Restschuldbefreiungsversagung von Amts wegen antizipiere. Sie setze sich damit über die Gläubigerautonomie hinweg. Das könnte so erscheinen, weil die betroffenen Schuldner ohne Verfahrenskostenstundung zumeist nicht in der Lage sind, die Verfahrenskosten aufzubringen und der Insolvenzantrag infolgedessen mangels Masse abgewiesen wird, so dass der Weg in die Restschuldbefreiung verbaut ist. Nach dem insolvenzrechtlichen Grundsatz der umfassenden Gläubigerautonomie liegt aber die Frage, ob ein Schuldner eine Restschuldbefreiung bekommen soll, in den Händen der Gläubiger. Sie entscheiden hierüber im Rahmen ihrer Antragsbefugnisse zur Versagung der Restschuldbefreiung und nicht das Gericht von Amts wegen. Insofern besteht in der Tat ein Spannungsverhältnis zwischen der Vorwirkungsrechtsprechung und den Grundsätzen des Restschuldbefreiungsrechts. Das ist aber schon seit Einführung der Verfahrenskostenstundung der Fall und vom Gesetzgeber selbst angelegt. Er selbst hat das Prinzip der ausschließlichen Gläubigerautonomie bei der Verfahrenskostenstundung durchbrochen.
Die Vorwirkung bestimmter Versagungsgründe für die Stundungsentscheidung ist von Anfang an in § 4a Abs. 1 Satz 3, 4 InsO vorhanden gewesen. Hiernach war schon immer eine Stundung ausgeschlossen, wenn ein Versagungsgrund nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorliegt, der Schuldner also wegen bestimmter Insolvenzstraftaten rechtskräftig verurteilt worden ist. Bis zur Reform der Verbraucherentschuldung galt dies in gleicher Weise für Versagungsgründe nach § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO a. F., d. h. für die früheren gesetzlich geregelten Sperrfristen. Das Gesetz hat es in diesen Fällen niemals für maßgeblich gehalten, dass zu Beginn des Verfahrens noch nicht absehbar ist, ob es überhaupt Versagungsanträge geben wird.
Der Gesetzgeber begründet das mit ökonomischen Gesichtspunkten: „Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Sparsamkeit der Verwendung öffentlicher Mittel ist eine Stundung nur in den Fällen gerechtfertigt, in denen die Wahrscheinlichkeit besteht, dass es letztlich zu einer Restschuldbefreiung kommt. Ein gewisses Pendant stellt die ‚hinreichende Erfolgsaussicht‘ bei der ZVI 2016, 130Prozesskostenhilfe nach § 114 ZPO dar. Vom Grundsatz her ist die geforderte Wahrscheinlichkeit der Restschuldbefreiung bereits dann nicht mehr gegeben, wenn einer der Versagungsgründe des § 290 Abs. 1 InsO vorliegt. Für die in diesem Verfahrensstadium zu fordernde kursorische Prüfung durch das Gericht ist es unerheblich, ob bereits zu diesem Zeitpunkt ein Gläubiger signalisiert, er wolle einen Antrag nach § 290 InsO stellen und er könne einen Versagungsgrund auch glaubhaft machen.“ (Begr. zum Gesetzentwurf der BReg. zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze, BT-Drucks. 14/5680, S. 20).
Der Gesetzgeber unterstellt die Stundungsgewährung damit bewusst nicht derselben Gläubigerautonomie wie das Restschuldbefreiungsrecht. Und das ist auch vertretbar, weil es bei der Stundung nicht primär um Belange zwischen Schuldner und Gläubigern geht, sondern um fiskalische Interessen. Der Staat soll mit der Stundung ein Verfahren vorfinanzieren, in dem sich die beteiligten Gläubiger im Rahmen ihrer Autonomie erst später, nämlich zum Zeitpunkt nach § 290 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 InsO entscheiden, welche Möglichkeiten sie dem Schuldner im Falle von Obliegenheitsverstößen geben. Ist das gerechtfertigt? Warum muss der Staat und damit die Allgemeinheit das Risiko tragen, dass die Gläubiger von den ihnen zustehenden Rechten Gebrauch machen und eine Restschuldbefreiung verhindern? Ist das nicht eher Verantwortungssphäre des Schuldners selbst? Der Gesetzgeber hat diese Frage mit § 4a Abs. 1 Satz 3, 4 InsO für die dort genannten Fälle im ersteren Sinn beantwortet.
In die Gläubigerautonomie greift die Stundungsentscheidung nicht im eigentlichen Sinn ein. Die Ablehnung der Stundung ist noch keine Entscheidung über die Restschuldbefreiung. Ohne Stundung kann das Verfahren immer noch eröffnet werden und die Gläubiger können entscheiden, ob sie auch einem unredlichen Schuldner eine Restschuldbefreiung gewähren wollen. Voraussetzung ist natürlich, dass der Schuldner die Kosten vorfinanziert. Dazu mag er häufig nicht in der Lage sein, aber im Bereich außerhalb des Kernbereichs der Gläubigerautonomie geht es um Risikosphären und vertretbare Zuordnung von Kostenlasten. Der Schuldner kann durchaus das Risiko in Kauf nehmen, das Verfahren bis zum Schlusstermin zu durchlaufen und vielleicht sogar erreichen, dass seine Gläubiger auf eine Versagung verzichten, obwohl Versagungsgründe vorliegen. Dass er das ohne Risiko auf Kosten des Fiskus tut, ist jedoch nicht zu rechtfertigen.
Das Problem der Vorwirkungsrechtsprechung wäre wahrscheinlich gar nicht so virulent, wenn es sich nur in den gesetzlich geregelten Fällen des § 4a Abs. 1 Satz 3, 4 InsO auswirken würde. Die Versagungsgründe nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO spielen in der Praxis nicht die Hauptrolle. Zum Problem wird die Vorwirkungsrechtsprechung erst dadurch, dass die Rechtsprechung auch alle anderen zu Beginn des Verfahrens offenkundigen Versagungsgründe nach § 290 InsO auch für eine Versagung der Stundung ausreichen lässt.
Das hat der Gesetzgeber ursprünglich nicht vorgesehen. Allerdings geschah das nicht aus grundsätzlichen, dogmatischen, sondern aus praktischen Gründen. So weist die Gesetzesbegründung darauf hin, dass bestimmte Versagungsgründe des § 290 InsO zu Beginn des Verfahrens noch gar nicht feststehen können. „So ist etwa § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO ein offensichtlich nicht tauglicher Anknüpfungspunkt [für einen Stundungsausschluss zu Verfahrensbeginn], da er auf die Verletzung von Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten während des Insolvenzverfahrens abstellt.“ (Begr. zum Gesetzentwurf der BReg. zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze, BT-Drucks. 14/5680, S. 20). Das berücksichtigt die Vorwirkungsrechtsprechung auch. Sie stellt auch keine Abwägungen zu schwierigen Fragen an, ob z. B. „unangemessene Verbindlichkeiten“ begründet worden sind oder Angaben tatsächlich „vorsätzlich oder grob fahrlässig“ unrichtig gemacht worden sind, sondern sie greift nur in solchen Ausnahmefällen ein, in denen solche Gründe ohne nähere Ermittlungen oder Wertungen „offenkundig“ sind.
Die Vorwirkungsrechtsprechung steht damit nicht im Widerspruch zum Gesetz und Willen des Gesetzgebers. Im Gegenteil, sie nimmt genau diesen Willen auf und führt ihn unter Beachtung der Insolvenzverfahrensgrundsätze fort. Anlass zur Änderung besteht deshalb auch nach der Reform der Verbraucherentschuldung nicht.

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