ZVI 2023, 85

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2023 EditorialHans-Ulrich Heyer

Entwurf für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts

Guido Stephan hat viele Reformen des Insolvenzrechts begleitet und mitbeeinflusst, im Rahmen seiner Tätigkeit im Bundesministerium der Justiz ebenso, wie als langjähriger Mitherausgeber und Autor der ZVI oder mit dem interdisziplinären Projekt zur Stärkung der außergerichtlichen Schuldenbereinigung, das als „Stephan-Kommission“ seinen Namen trägt. An der „Dauerbaustelle Insolvenzrecht“ hat er immer die Ärmel hochgekrempelt und mitgearbeitet. Dafür gebührt ihm viel Anerkennung und Dank.
Nun scheidet Guido Stephan aus eigenem Wunsch aus dem Kreis der ZVI-Herausgeberschaft aus. Herausgeber und -beiräte sowie der RWS-Verlag wünschen ihm viel Glück und Gesundheit für die Zukunft. Warten wir ab, ob Guido Stephan es sich tatsächlich wird nehmen lassen, noch das eine oder andere Mal für die ZVI zur Feder zu greifen… Denn manche Baustellen werden niemals fertig. Nach der Reform ist vor der Reform und so stehen bereits die nächsten Änderungen an.
ZVI 2023, 86
Mit Datum vom 7. 12. 2022 hat die Europäische Kommission den Entwurf für eine „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts“ vorgelegt (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=celex%3A52022PC0702) – im Folgenden „HarmRL-E“. Der Vorschlag ist Teil eines Maßnahmenpakets zur Förderung der Kapitalmarktunion. Der Weg bis zu einer Rechtsverbindlichkeit der Richtlinie ist noch weit. Zunächst wird sich das Europäische Parlament mit dem Vorschlag befassen. Wenn die Richtlinie irgendwann verbindlich verabschiedet werden wird, wird sie von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden müssen (Art. 288 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV).
Im Fokus der Richtlinie stehen nicht die Verbraucher, sondern Unternehmen und Unternehmer und hier in einem besonderen Teil Kleinstunternehmen und Selbstständige. Sie sollen Zugang zu einem Insolvenzverfahren bekommen, auch wenn kein Vermögen vorhanden ist. Die Europäische Kommission ist der Auffassung, dass ein solcher Zugang bislang nicht hinreichend gewährleistet ist und dass deshalb keine geordnete Liquidation erfolgt, weil die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abgelehnt wird, wenn kein Vermögen vorhanden ist oder der Wert des vorhandenen Vermögens die Kosten des Verfahrens nicht deckt, die Situation also, die heute § 26 InsO regelt. In einem eigenen Kapitel (V) regelt die Richtlinie auch die Entschuldung von Unternehmern.
Soweit die Richtlinie von einem „Unternehmer“ spricht, ist dies nach Art. 2 lit. l des Entwurfs i. V. m. Artikel 2 Abs. 1 Nr. 9 der Richtlinie (EU) 2019/1023 eine „natürliche Person, die eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt“. Dies deckt sich mit der Definition des Verbrauchers in § 304 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 InsO, die auch Schuldner, die eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit „ausüben“, aus dem Verbraucherbegriff ausnimmt. Ehemals Selbstständige („selbstständige Tätigkeit ausgeübt haben“), die die InsO unter bestimmten Voraussetzungen dem Verbraucherverfahren zuordnet, fallen damit aber nicht unter den Unternehmerbegriff des Richtlinienentwurfs, weil „ausübt“ eine aktuelle Tätigkeit meint.
Auch wenn die Verbraucher damit nicht im Fokus der Richtlinie stehen, enthält sie einige Aspekte, die im Zuge der Umsetzung auch für Verbraucherinsolvenzverfahren relevant werden könnten. Deshalb lohnt sich eine aufmerksame Verfolgung der jetzt einsetzenden Diskussionen, auch wenn sicher noch nicht über alle Punkte der Vorschläge Klarheit besteht. Beachtenswert sind z. B. folgende Gesichtspunkte:
Verwalterloses Verfahren (Art. 39 HarmRL-E): Dem Ziel der Kostensenkung folgend favorisiert der Richtlinienentwurf ein verwalterloses Verfahren in Eigenverwaltung. Ein Insolvenzverwalter soll nur dann bestellt werden, wenn dies gesondert beantragt wird und die Kosten hierfür aus der Masse oder durch Vorfinanzierung eines Antragstellers gedeckt sind. Für Verbraucher ist eine solche Konstellation nicht geeignet, wie schon § 270 Abs. 2 InsO regelt.
Elektronische Kommunikation (Art. 40 HarmRL-E): Nach dem Entwurf soll die gesamte Kommunikation zwischen dem Gericht, einem eventuellen Insolvenzverwalter und den Verfahrensbeteiligten auf elektronischem Wege erfolgen. Der Weg ist auch bereits durch die Restrukturierungsrichtlinie (Art. 28) vorgezeichnet und beschreibt eine richtige Zielrichtung. Sie setzt aber voraus, dass die Beteiligten auch entsprechend sicher elektronisch kommunizieren können, beispielsweise über das besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO). Eine E-Mail-Korrespondenz entspricht diesen Anforderungen nicht.
Standardisiertes Antragsformular (Art. 41 HarmRL-E): Es soll sichergestellt werden, dass die Eröffnung eines vereinfachten Verfahrens mittels eines Standardformulars beantragt werden kann, das bestimmte Mindestangaben u. a. zu den Gläubigern, Forderungen und Vermögenswerten des Schuldners enthält (Art. 41 HarmRL-E). Das Formular soll die Kommission im Wege eines Durchführungsrechtsaktes festlegen. Damit würde endlich auch für andere als die Verbraucherinsolvenzverfahren ein Standard-Antragsformular eingeführt, für das schon nach geltendem Recht seit geraumer Zeit in § 13 Abs. 4 InsO eine Ermächtigung besteht, von der aber bislang kein Gebrauch gemacht worden ist.
Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen (Art. 44 HarmRL-E): In Übereinstimmung mit § 89 InsO ist sicherzustellen, dass während des laufenden Verfahrens Einzelvollstreckungsmaßnahmen auszusetzen sind. Je nach Verständnis des Vollstreckungsbegriffs bietet diese Regelung möglicherweise den Ansatz auch zu einer effektiven Neuregelung der leidigen Verstrickungsproblematik.
Anmeldung und Feststellung von Forderungen (Art. 46 HarmRL-E): Der Entwurf sieht für die betroffenen Verfahren ein vereinfachtes Forderungsmanagementverfahren vor. Die aktive Forderungsanmeldung durch die Gläu-ZVI 2023, 87biger soll entfallen. Der Schuldner hat in seinem Antrag oder bei einem Fremdantrag in seiner Auskunft alle Gläubiger mit ihren Forderungen in einem entsprechenden Verzeichnis anzugeben. Wenn die Gläubiger diesen Angaben nicht binnen 30 Tagen widersprechen oder sie nicht ergänzen, gelten die Forderungen in dieser Form als angemeldet. Informiert werden die Gläubiger dadurch, dass ihnen die Eröffnung des Verfahrens und die entsprechenden Verzeichnisse individuell zugestellt werden (Art. 45 Abs. 2 HarmRL-E). Weiter gelten die Forderungen in der in dem Verzeichnis aufgeführten Form und Höhe als festgestellt, wenn innerhalb der genannten Frist seitens des Gläubigers keine Einwände erhoben werden. Ein Schweigen der Gläubiger gilt insoweit als Einverständnis. Das ist ein Gedanke, den die Insolvenzordnung ähnlich bislang nur in § 307 Abs. 1, § 308 InsO kennt. Das Forderungsanmelde- und -prüfungsverfahren könnte dadurch erheblich gestrafft werden. Für die große Anzahl der masselosen Verbraucherinsolvenzverfahren könnte die Reform aber möglicherweise noch weitergehend prüfen, inwieweit in völlig masselosen Verfahren überhaupt eine Feststellung und Titulierung einfacher Insolvenzforderungen erforderlich ist. Denn mit Erteilung der Restschuldbefreiung verlieren auch titulierte Ansprüche wieder ihre Durchsetzungsfähigkeit.
Verwertung der Vermögenswerte (Art. 49 f. HarmRL-E): Nach Feststellung der Insolvenzmasse entscheidet das Gericht, ob die Verwertung der Vermögenswerte und Verteilung des Erlöses vorzunehmen ist oder ob das Verfahren ohne Verwertung abzuschließen ist, weil keine Vermögenswerte vorhanden oder sie von so geringem Wert sind, dass die Kosten für die Veräußerung und Verteilung des Erlöses nicht gerechtfertigt sind. Für die vereinfachte Veräußerung soll eine elektronische Auktionsplattform eingerichtet werden. Vorbild könnte hierfür in Deutschland möglicherweise die Auktionsplattform www.zoll-auktion.de sein.
Entschuldung (Art. 56 HarmRL-E): alle „Gründer, Eigentümer oder Gesellschafter eines Kleinstunternehmens mit beschränkter Haftung, die persönlich für die Schulden des Kleinstunternehmens haften“, sollen unter Berücksichtigung der Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie „in vollem Umfang“ entschuldet werden. Mit dem Neunten Teil der Insolvenzordnung hat das deutsche Recht das Entschuldungsrecht bereits umfassend geregelt. Bemerkenswert an dem Richtlinienentwurf ist aber, dass er vorsieht, dass die beschriebene Entschuldung „in vereinfachten Liquidationsverfahren“ umgesetzt werden soll. Dieses vereinfachte Liquidationsverfahren soll auch für Kleinstunternehmen gelten. Ein „Kleinstunternehmen“ ist nach der Definition in Art. 2 lit. j) des HarmRL-E im Sinne des Anhangs der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission zu verstehen. Und diese wiederum bezeichnet in Art. 1 Satz 1 als Unternehmen „jede Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt“. Damit gilt die Harmonisierungsrichtlinie und das damit geregelte vereinfachte Liquidationsverfahren für juristische und natürliche Personen, soweit sie unter die Richtlinie fallen. Das ist verständlich. Nicht so recht nachvollziehbar erscheint hingegen, ob der HarmRL-E von der Vorstellung ausgeht, dass die Entschuldung für die Gründer, Eigentümer und Gesellschafter auch in einem Liquidationsverfahren der Gesellschaft mitumgesetzt werden sollte. Das wäre nach unserem Verständnis schwer vorstellbar. Bislang hätten wir in solchen Konstellationen zwei Insolvenzverfahren: eines betreffend die juristische Person und ein weiteres – mit Entschuldungsmöglichkeit – die natürliche Person des Gesellschafters pp. betreffend.
Interessant an dem HarmRL-E ist auch, dass er ausdrücklich von einer „vollen Entschuldung“ entspricht. Man wird in diesem Zusammenhang sowohl den § 302 InsO in den Blick nehmen müssen wie auch etwaige Neumasseverbindlichkeiten des Schuldners aus einer weiter ausgeübten selbstständigen Tätigkeit.
Fazit: Der Entwurf eröffnet also noch viel Raum für Diskussionen und Reformüberlegungen.
(Hon.) Prof. Dr. Hans-Ulrich Heyer, RiAG a. D.

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