ZVI 2019, 85

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2019 EditorialUlrich Jäger

Die Geschichte eines stumpfen Schwertes

Der Blick auf § 1 InsO weist auf die Intention des Gesetzgebers bei Schaffung der Insolvenzordnung in Bezug auf natürliche Personen: Dem redlichen Schuldner soll die Gelegenheit gegeben werden, sich von seinen restlichen Schulden zu befreien. Richtig verstanden, wird hier dem Schuldner ein Recht auf Restschuldbefreiung eingeräumt. Nun kann ein solches Recht, dessen Kehrseite der Forderungsverlust der Gläubiger bis hin zum Totalausfall ist, nicht zeit- und grenzenlos gelten. Ein Spielfeld musste her, mit deutlichen Seitenlinien, auf dass Bälle, die ins Aus gerieten, auch als solche erkannt und behandelt werden.
Der Gesetzgeber hat bei den Regelungen zur Restschuldbefreiung (neben anderen Risiken) die erhebliche Gefahr eines sich ständig wiederholenden Restschuldbefreiungsverfahrens erkannt. Die ständige Wiederholung im Zyklus Überschuldung-Insolvenzverfahren-Restschuldbefreiung musste im Hinblick auf die Entschuldung der natürlichen Person durchbrochen werden.
Die ursprüngliche Regelung in § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO sah vor, dass dem Schuldner die Restschuldbefreiung auf Gläubigerantrag zu versagen ist, wenn dem Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag die Restschuldbefreiung erteilt oder nach § 296 oder § 297 InsO versagt worden ist.
Schon hier allerdings zeigte sich eine deutliche Lücke der Regelung:
Wie sollten die Gläubiger eine erteilte oder versagte Restschuldbefreiung erkennen?
Das Portal www.insolvenzbekanntmachungen.dewar angesichts der kurzen Löschungsfristen kaum eine Hilfe. Gleiches galt (wenn auch aufgrund der längeren Frist bis zur Datenlöschung in geringerem Maße) für Auskünfte aus Auskunfteien. Waren vier Jahre vergangen, blieb der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO regelmäßig unentdeckt. Nur logisch, dass derartige Fälle kaum bekannt wurden, weniger logisch aber die Schlussfolgerung, dass es solche Fälle nicht in ernst zu nehmender Anzahl gab und gibt.
Im Rahmen des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte wurde mit Wirkung zum 1. 7. 2014 die Regelung des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO als Versagungsgrund aufgehoben und in die Eingangsentscheidung des Insolvenzgerichts nach § 287a Abs. 2 InsO als Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Restschuldbefreiungsantrag integriert. Im selben Zuge wurde die Sperrwirkung einer Versagung in § 287a Abs. 2 InsO modifiziert.
Wurden hierdurch die Gläubigerrechte gestärkt, ein Verfahrensmissbrauch durch den Schuldner maßgeblich behindert? Im Ergebnis: Nein.
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Für den Gläubiger änderte sich wenig, er kann eine falsche Erklärung zur Erteilung oder Versagung der Restschuldbefreiung zur Grundlage eines Versagungsantrags nach § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO machen.
Da die Regelung des § 287a InsO als Zulässigkeitsvoraussetzung für das Verfahren zur Erteilung der Restschuldbefreiung ausgestaltet ist, hat die gerichtliche Prüfung von Amts wegen auch die Ausschlusskriterien des § 287a Abs. 2 InsO zu umfassen. Was aber kann das Gericht tatsächlich prüfen? Anders als einigen Gläubigergruppen steht dem Gericht eine (auch nur zeitlich begrenzt zuverlässige) Anfrage bei einer Auskunftei nicht zur Verfügung. Es bleibt das Insolvenzportal mit seinen mehr als knappen Löschungsfristen und damit nur ein Rumpf amtsseitiger Prüfung. Man muss sich auf die entsprechende Erklärung des Schuldners verlassen.
Stärkung der Gläubigerrechte? Wohl kaum. Dabei wäre doch eine Lösung so einfach gewesen. Warum nutzt man nicht die ohnehin bereits bei den Insolvenzbekanntmachungen gespeicherten Daten über die Erteilung der Restschuldbefreiung oder ihre Versagung? Es wäre ein Leichtes, diese Daten streng im Rahmen der Fristen des § 287a Abs. 2 InsO (also weit länger als bisher) vorzuhalten. Die Gerichte könnten dann zuverlässig und ohne großen Zeitaufwand feststellen, ob die Restschuldbefreiung in der „kritischen Zeit“ erteilt oder versagt wurde, eine schlichte, valide und im Sinne der Verhinderung des Verfahrensmissbrauchs mehr als sinnvolle Vereinfachung.
Wohl verstanden, könnte eine solche langfristige Datenspeicherung nur unter strengster Beachtung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen erfolgen. Die Einsicht in diese Daten dürfte nur den Insolvenzgerichten (u. U. auch den Strafverfolgungsbehörden?) gestattet und technisch ermöglicht werden. Eine Einsichtnahme „Dritter“ (z. B. der Gläubiger) käme angesichts der Amtsprüfung im Rahmen des § 287a InsO keineswegs in Betracht.
Berechtigte Interessen des Schuldners können nicht entgegenstehen, da die Speicherung ausschließlich der Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen und der (vom Gesetzgeber gewollten) Verhinderung eines Verfahrensmissbrauchs dient.
Warum also geht man diesen einfachen Weg nicht, warum macht man das Entschuldungsverfahren nicht glaubhafter? Der Schild „Datenschutz“ ist fraglos von elementarer Bedeutung, kann, soll und darf aber nicht alles abwehren. Es bleibt die Befürchtung, dass ein stumpfes Schwert gezielt stumpf gehalten werden soll und dass es („Schwerter zu Pflugscharen“) irgendwann ganz den immer wieder in den Vordergrund gestellten Schuldnerinteressen (zuletzt die anstehende EU-weite Verkürzung des Entschuldungsverfahrens) geopfert werden wird. Davor sei gewarnt – je weniger man gegen einen Verfahrensmissbrauch unternimmt, desto näher steht man vor einer „Entschuldungsdrehtür“.
Ass. iur. Ulrich Jäger, Leiter Stab Compliance der Seghorn AG, Bremen

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