ZVI 2018, 85

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2018 EditorialHans-Ulrich Heyer

Evaluierung der Reform der Verbraucherentschuldung

Der Erfolg des „Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte“ vom 15. 7. 2013 (BGBl I, 2379) – „Reform der Verbraucherentschuldung“ – mit seinem wesentlichen Element der Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf drei Jahre bei Befriedigung von 35 % der Gläubigerforderungen („Anreizsystem“) ist in der Praxis von Anfang an kritisch gesehen worden. Nach Art. 107 EGInsO ist der Erfolg des Gesetzes jetzt zu evaluieren. Dieser Auftrag basiert auf der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages (BT-Drucks. 17/13535, S. 42 zu Nummer 3, Art. 107 EGInsO). Nach Auffassung des Rechtsausschusses ist das Anreizsystem nur dann effektiv, wenn wenigstens 15 % aller Personen, die sich in einem Restschuldbefreiungsverfahren befinden, die Möglichkeit eröffnet wird, vorzeitig Restschuldbefreiung zu erlangen.
Die Bundesregierung muss deshalb dem Deutschen Bundestag bis zum 30. 6. 2018 berichten, in wievielen Fällen bereits nach drei Jahren eine Restschuldbefreiung erteilt werden konnte. Und der Bericht hat auch Angaben über die Höhe der im Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren erzielten Befriedigungsquoten zu enthalten.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat die entsprechenden Daten für den Evaluierungsauftrag Ende 2017/Anfang 2018 bei allen Insolvenzgerichten abgefragt.
Das hat einen erheblichen Aufwand verursacht, weil die Daten durchgehend manuell ermittelt werden mussten. Dabei ging es nicht nur um die vorzeitigen „Drei-Jahres-Fälle“ sondern auch um detaillierte Mitteilungen der einzelnen Verfahren unter Benennung der Aktenzeichen, der Daten der Eröffnung, des Antrags und der Erteilung der Restschuldbefreiung, der Aufhebung der Verfahren und der erzielten Quoten. Für die Gerichte war das ein erheblicher Aufwand. Das ist schwer zu vermitteln, weil diese Daten in der Insolvenzstatistik bereits weitgehend zur Verfügung standen und nur hätten ausgewertet werden müssen. Über die sog. „RA/VA, RB/VB und X“-Meldungen werden die Daten aller Insolvenzverfahren von den Gerichten und Verwaltern mit den entsprechenden Erhebungsmerkmalen nach §§ 2 und 3 InsStatG an die Statistischen Ämter mitgeteilt. Es ist aber versäumt worden, rechtzeitig die technischen Möglichkeiten zur maschinellen Auswertung der Daten zu schaffen – letztlich zu Lasten der Insolvenzgerichte.
Ebenso ist es versäumt worden, den Fachsystemen, die in vielen Bundesländern seit langem Programme für die Insolvenzbearbeitung entwickelt haben, rechtzeitig den Auftrag zu erteilen, technische Auswertungsmöglichkeiten für diese Daten zu schaffen. Auch das hätte eine wesentliche Entlastung für die Gerichte bedeutet.
Offen ist nach wie vor, ob auch in Zukunft eine weitere Datenermittlung erfolgen muss. Die Gerichte müssten auch das rechtzeitig, und das heißt umgehend, wissen.
Auf das Ergebnis des Berichts des Ministeriums an den Bundestag sind alle gespannt. Skepsis ist aber angebracht. ZVI 2018, 86Die ersten Verfahren, in denen eine vorzeitige Erteilung in Betracht kommen konnte, konnten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. 7. 2014 erst ab Juli 2017 bei den Gerichten zur Entscheidung anstehen. Im Hinblick darauf ist der Erhebungszeitraum für die Evaluierung noch viel zu kurz und für den Zweck der Evaluation noch nicht aussagekräftig. Die Erhebung stützt sich jetzt gerade einmal auf einen Zeitraum von wenigen Monaten. Das ist bereits methodisch fragwürdig, weil es noch keine wirklich belastbare Datenbasis gibt.
Außerdem hat die Systemumstellung auf das Anreizsystem zahlreiche rechtliche und praktische Fragen aufgeworfen, die noch nicht geklärt sind. Das System beginnt sich gerade erst in der Praxis zu etablieren. Die „Drei-Jahres-Fälle“ werden erst nach und nach und über die nächsten Monate und Jahre bei den Gerichten zur Entscheidung anstehen und die rechtlichen und praktischen Fragen werden erst nach und nach geklärt werden. Ob die Reform ein Erfolg sein wird, wird sich erst danach beurteilen lassen. Der Berichtsauftrag hätte dazu entweder verschoben werden müssen oder es müsste eine Fortschreibung des Auftrags erfolgen.
Vielleicht wird das alles aber noch durch das europäische Recht überholt.
Der „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU – COM(2016) 723 final“ vom 22. 11. 2016 (http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52016PC0723&from=DE) enthält Vorgaben für die Dauer eines Entschuldungsverfahrens. Nach Art. 20 Abs. 1 des Richtlinienentwurfs beträgt die Entschuldungsfrist, nach deren Ablauf überschuldete Unternehmer (und auch Verbraucher) in vollem Umfang entschuldet werden können, höchstens drei Jahre. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten zu entsprechenden nationalen Regelungen. Diese Vorgaben werden bislang so verstanden, dass dies auch nach deutschem Recht den Einstieg in die bedingungslose dreijährige Entschuldung bedeuten dürfte und dass auch die Mindestquote nach § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO nicht mehr haltbar sein wird (vgl. dazu Heyer, ZVI 2017, 45).
So gesehen, hat möglicherweise die Europäische Union die Frage des Bundesrates schon entschieden.
Prof. Dr. Hans-Ulrich Heyer, stellv. DirAG Oldenburg

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