ZVI 2025, 41

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2025 EditorialAndreas Schmidt

Nachtragsverteilung im Insolvenzplan – wieso eigentlich nicht?

Von der BGH-Rechtsprechung, den Bedürfnissen der Praxis und den Bauchschmerzen des Insolvenzrichters

Worum geht es? Spätestens seit der Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2018 (Beschl. v. 26. 4. 2018 – IX ZB 49/17, ZVI 2018, 272) scheint sich die Auffassung verfestigt zu haben, dass in einem Insolvenzplan eine Nachtragsverteilung nicht vorbehalten werden könne. Wieso eigentlich nicht?
Praktische Relevanz. Die aufgeworfene Frage hat große praktische Relevanz. Dies gilt auch und gerade in der Privatinsolvenz. Der einen Insolvenzplan vorlegende bzw. dem Insolvenzplan des Insolvenzverwalters zustimmende Schuldner hat nämlich fast immer ein Interesse daran, dass das Insolvenzverfahren möglichst schnell aufgehoben wird. Hier erweist sich die Rechtsprechung des BGH dann, wenn noch Ansprüche der Masse durchgesetzt werden sollen, dies aber nicht zeitnah möglich ist, als Hemmnis für praktisch sinnvolle Lösungen und das, was Schuldner und Gläubiger wollen, nämlich einerseits die schnelle Verfahrensaufhebung, andererseits aber eben auch, dass Ansprüche der Masse noch realisiert werden können. Kurzum: In zahlreichen Erörterungs- und Abstimmungsterminen wünschen die Beteiligten der Sache nach die Anordnung einer Nachtragsverteilung und werden dann zumindest von dem dem BGH treu ergebenen Insolvenzrichter darauf hingewiesen, dass das so nicht gehe.
Das Dilemma. Ist für den Schuldner aber absehbar, dass eine Aufhebung gem. § 258 InsO erst in Betracht kommt, wenn die noch offenen Ansprüche der Masse realisiert sind, und ist ebenso absehbar, dass dies nicht schnell gehen wird, so stellt sich für ihn die Frage, ob er nicht mit der Erteilung der Restschuldbefreiung besser bedient ist als mit einem Insolvenzplan. Dies gilt umso mehr angesichts der seit 2020 geltenden Verkürzung des Zeitraums zwischen Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung auf drei Jahre. Nur dann, wenn Forderungen gem. § 302 Nr. 1 InsO in Rede stehen, hat der Schuldner keine Wahl, weil diese Forderungen bekanntlich nur über den Weg des Insolvenzplans, nicht aber über den der Restschuldbefreiung entsorgt werden können.
Lässt der Schuldner aber seinen Insolvenzplan fallen, so entgehen der Masse gerade in vielen Privatinsolvenzverfahren die Mittel, die von Dritten, oftmals dem Schuldner nahestehenden Personen, für den Fall des Zustandekommens des Insolvenzplans zugesagt worden sind. Ein Dilemma: Will man eine schnelle Aufhebung nach Bestätigung des Insolvenzplans, so können Ansprüche der Masse unter Umständen nicht realisiert werden, weil dies auf eine unzulässige Nachtragsverteilung hinausliefe. Lässt man dagegen den Insolvenzplan fallen, so entgehen der Masse die von Dritten zugesagten Mittel. Ein mehr als unbefriedigendes Ergebnis.
Entwicklung der Rechtsprechung. Die Rechtsprechung war zunächst einer Nachtragsverteilung auch im Insolvenzplan gegenüber durchaus aufgeschlossen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 22. 12. 2005 – 7 U 148/05). Erst mit der Entscheidung des OLG Celle (Beschl. v. 20. 11. 2006 – 4 U 155/06) begann die Kehrtwende. Dort wurde in einem obiter dictum ausgeführt, dass dies nicht möglich sei mit der Folge, dass eine Nachtragsverteilung im gestaltenden Teil des Insolvenzplans nicht vorgesehen werden könne. Der BGH hat sich frühzeitig klar positioniert (Urt. v. 7. 7. 2008 – ZVI 2025, 42II ZR 26/07; Urt. v. 10. 12. 2009 – IX ZR 206/08, ZVI 2010, 269) und hat der Möglichkeit einer Nachtragsverteilung im Insolvenzplan eine Absage erteilt. Aber ist das richtig?
Argument des BGH: Keine Regelung im Gesetz. Dieses Argument ist nur auf den ersten Blick richtig. Die Vorschriften über den Insolvenzplan enthalten in der Tat weder eine Regelung, wonach eine Nachtragsverteilung nach Aufhebung gem. § 258 InsO in Betracht kommt, noch eine Regelung, dass eine Nachtragsverteilung im gestaltenden Teil des Insolvenzplans möglich ist.
Auf den zweiten Blick aber verfängt das Argument nicht. Eine Nachtragsverteilung sieht das Gesetz zunächst nur im Kontext mit einer Aufhebung gem. § 200 InsO vor, nämlich in § 203 InsO. Zusätzlich enthält § 211 Abs. 3 InsO einen Verweis auf § 203 InsO. Für § 207 InsO hat der BGH mit ausführlicher Begründung klargestellt, dass sowohl eine Nachtragsverteilung für nach Einstellung aufgefundene Gegenstände als auch der Vorbehalt einer Nachtragsverteilung zulässig sei (Beschl. v. 10. 10. 2013 – IX ZB 40/13, ZVI 2014, 54). Nach der Rechtsprechung des BGH kommt sogar bei einer Einstellung gem. § 212 InsO eine Nachtragsverteilung grundsätzlich in Betracht (Beschl. v. 15. 7. 2010 – IX ZB 229/07, ZVI 2010, 425). Auch bei § 207 InsO und § 212 InsO aber fehlt eine gesetzliche Regelung.
Der Verweis auf eine fehlende gesetzliche Regelung ist daher äußerst schwach. Es zeigt aber die Tendenz des BGH, die Vorschriften über den Insolvenzplan verfahrenstheoretisch und unter Umständen sogar mit einer gewissen Skepsis, wenn nicht gar misstrauisch zu betrachten. Erlaubt ist nur, was die Insolvenzordnung vorsieht!
Diese Tendenz dürfte damit zusammenhängen, dass der BGH, der mit der Thematik eher selten befasst ist, einen eingeschränkten Blick auf Insolvenzpläne hat, weil es sich bei den Verfahren, die den BGH erreichen, mehrheitlich um schwierige Konstellationen handelt, die oft – so wirkt es jedenfalls bei der Lektüre mancher BGH-Entscheidung – ein missbräuchliches Gepräge haben. Dies trifft aber keineswegs auf die große Mehrheit von Insolvenzplänen zu, die die Insolvenzgerichte erreichen. Anstatt verfahrenstheoretisch, sollten die Vorschriften über den Insolvenzplan daher vertragstheoretisch betrachtet werden: Erlaubt ist alles, was die Insolvenzordnung nicht verbietet. Ein Verbot, eine Nachtragsverteilung anzuordnen, enthält die Insolvenzordnung nicht.
Weiteres Argument des BGH: § 259 Abs. 3 InsO als Ausnahmevorschrift. Der BGH will in seiner oben bereits erwähnten Entscheidung aus dem Jahr 2009 in § 259 Abs. 3 InsO eine Ausnahmevorschrift erkennen. Deshalb scheide eine analoge Anwendung aus. Aber stimmt das? § 259 Abs. 3 InsO hat einzig und allein den Zweck, den Wegfall des Anfechtungsanspruchs zu verhindern. Der Gesetzgeber wollte abweichend vom früheren Rechtszustand vermeiden, dass sich der Anfechtungsanspruch mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens erledigt (BT-Drucks. 12/2443, S. 214). Denn bis zu einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2011 (Urt. v. 7. 12. 2011 – IX ZR 91/10) bestand Rechtsunsicherheit darüber, ob der Anfechtungsanspruch von der Rechtsinhaberschaft eines Insolvenzverwalters getrennt werden kann. Das Argument des BGH verfängt also nicht. Wer einer Regelung Ausnahmecharakter beimessen will, der muss zuvor feststellen, was die Regel ist. Umgekehrt geht das nicht: Man kann nicht erst eine vorhandene Regelung als Ausnahmevorschrift statuieren und dann daraus schließen, das Gegenteil müsse die Regel sein. Und dann – weil ja jetzt bekannt ist, was die Regel ist – der angeblichen Ausnahmevorschrift Ausschlusswirkung gegenüber anderen Konstellationen zuschreiben (so zutreffend Roth, in: Festschrift Smid, 2022, S. 287).
Lösungen der Praxis. Obwohl sich die Rechtsprechung des BGH in der Praxis in zahlreichen Erörterungs- und Abstimmungsergebnissen als Hemmnis für sinnvolle Lösungen erweist, folgt sie ihr – mehr oder weniger – widerwillig. Dies gilt auch für große Teile der Literatur. Um die BGH-Rechtsprechung zu umgehen, werden in der Praxis immer wieder phantasievolle Ausweichstrategien entwickelt – mit mehr oder weniger Unbehagen bei den beteiligten Insolvenzverwaltern und Schuldnervertretern und mit Bauchschmerzen bei den Insolvenzrichtern (Überblick bei Frind, Privatinsolvenz, 3. Aufl., 2021, Rz. 1266 ff.). Besonders beliebt ist die Übertragung eines noch zu realisierenden Anspruchs der Masse auf einen Treuhänder, womit ein Treuhänder im eigentlichen Sinne gemeint ist und nicht etwa der Treuhänder im Restschuldbefreiungsverfahren – dies zur Klarstellung. Je nach Geschmack des Insolvenzrichters kann diese Aufgabe vom personenidentischen Insolvenzverwalter wahrgenommen werden, und zwar sogar dann, wenn dieser Rechtsanwalt ist, weil § 43a BRAO nicht entgegensteht, da der Kernbereich rechtsanwaltlicher Tätigkeit nicht betroffen ist (vgl. dazu BGH, Urt. v. 17. 9. 2020 – III ZR 283/18). Andere Insolvenzrichter bevorzugen es, wenn eine dritte Person Treuhänder wird, also regelmäßig eine geeignete Person, die der Insolvenz-ZVI 2025, 43verwalter zum Erörterungs- und Abstimmungstermin mitbringt. Auch dies jedenfalls nicht so ganz ohne Bauchschmerzen, weil immer das Restrisiko besteht, es könne sich um eine unzulässige Umgehung der BGH-Rechtsprechung handeln. So oder so, unterliegt dieser Treuhänder nicht der gerichtlichen Aufsicht, worauf die Beteiligten hingewiesen werden. Diese Verrenkungen nimmt die Praxis hin, weil es ganz offensichtlich ein starkes Bedürfnis dafür gibt, der Sache nach eben doch eine Nachtragsverteilung auch nach Aufhebung gem. § 258 InsO anzuordnen.
Die Hoffnung. Man reibt sich nach allem einigermaßen erstaunt die Augen. Die Rechtsprechung des BGH hilft keinem, verhindert sinnvolle Lösungen, die die Beteiligten eines Verfahrens über den Insolvenzplan wünschen, und verursacht sogar Bauchschmerzen. Es bleibt die Hoffnung, dass der BGH zeitnah Gelegenheit hat, seine Rechtsprechung zu überdenken. Der Leitsätze könnten dann in etwa lauten:
1. Eine Nachtragsverteilung kommt auch nach einer Aufhebung des Insolvenzverfahrens gem. § 258 InsO in Betracht. § 203 InsO findet entsprechende Anwendung.
2. Aus § 259 Abs. 3 InsO kann nicht geschlossen werden, dass andere Ansprüche als die in der Norm genannten Anfechtungsansprüche nach Aufhebung gem. § 258 InsO nicht mehr vom Insolvenzverwalter durchgesetzt werden können, weil es sich bei der Norm nicht um eine Ausnahmevorschrift handelt.
3. Sofern sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BGH etwas anderes ergibt, wird daran nicht mehr festgehalten.
Dr. Andreas Schmidt, Hamburg

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