ZVI 2023, 41

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2023 EditorialThomas Reck

Wie viel Anwalt steckt in einem Insolvenzverwalter?

I. Die Entscheidung des BGH

Der BGH hat entschieden, dass ein anwaltlicher Insolvenzverwalter jedenfalls dann zur elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an das Gericht verpflichtet ist, wenn er Rechtsmittel im Insolvenzverfahren einlegt (ZVI 2023, 65 = ZRI 2023, 59).
Ein als Insolvenzverwalter tätiger Rechtsanwalt hatte gegen einen Vergütungsbeschluss für die vorläufige Verwaltung wegen erheblicher Absetzungen im Umfang von rund 15.000 € am 4. 1. 2022 in Schriftform und per Telefax Beschwerde erhoben. Das wäre alles nicht weiter bedeutsam, wenn nicht am 1. 1. 2022 § 130d ZPO in Kraft getreten wäre, der die aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs in Gerichtsverfahren für Rechtsanwälte regelt. Der Rechtsanwalt sah sich in seiner Rolle als Insolvenzverwalter davon aber nicht tangiert.
Die Gerichte bis hin zum BGH folgten dieser Sichtweise jedoch nicht und betrachteten die Beschwerde als unzulässig, da nicht formgerecht und somit auch nicht rechtzeitig eingegangen. Zur Begründung führt der BGH aus: Die InsO enthält keine Regelung, die über § 4 Satz 1 InsO die Vorschrift des § 130d ZPO verdrängt. Außerdem müssen anwaltliche Insolvenzverwalter in ihrer Rolle als Rechtsanwalt sowieso ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) vorhalten, pardon, aktiv und passiv nutzen. Also spricht nichts dagegen, wenn sie das auch als Insolvenzverwalter tun (müssen).
Irgendwie war das Ergebnis vielleicht schon vorhersehbar. Die Frage, ob eine Regelung auch für Rechtsanwälte als Insolvenzverwalter gilt, gab es vor mehreren Jahren in ähnlicher Form hinsichtlich der Anwendbarkeit des Umgehungsverbots nach § 12 BORA (BGH ZfIR 2015, 728 (m. Anm. Bockholt, S. 731)). Seinerzeit befand der BGH: Solange für Insolvenzverwalter kein eigenes Berufsrecht besteht, kann sich für die anwaltlichen Insolvenzverwalter beim anwaltlichen Berufsrecht bedient werden.
Im Insolvenzverwalter steckt also (meistens) gewissermaßen immer auch etwas Anwalt drin. Zu erkennen ist das neben der formal nicht notwendigen Nennung der Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ in Beschlüssen und Internetveröffentlichungen auch an der gängigen Unterschriftszeile „Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter“.

II. Weitere Auswirkungen

Die Auswirkungen für andere Übersendungen an das Gericht in einem Insolvenzverfahren lässt der BGH allerdings weitgehend offen. Auffällig ist dabei, dass § 174 Abs. 4 InsO nicht als abschließende Regelung für den elektronischen Rechtsverkehr bezeichnet wird. Damit kann nur die Übermittlung der Insolvenztabelle vom Insolvenzverwalter an das Gericht gemeint sein, denn da Adressat der Forderungsanmeldung der Insolvenzverwalter (und nicht das Gericht) ist, kann für die Forderungsanmeldung nur § 174 Abs. 4 InsO und nicht § 130d ZPO gelten.
Alles andere bleibt eine Blackbox, da der BGH kein obiter dictum mit auf den Weg gegeben hat. Angesichts der nach den vorstehenden Ausführungen zu erkennenden und zu erwartenden restriktiven Sichtweise wird im Zweifel auch von der Annahme einer Verpflichtung zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs auszugehen sein. Das erscheint, für sich betrachtet, zunächst nicht weiter dramatisch. Es wird aber dann heikel, wenn wegen einer Stö-ZVI 2023, 42rung eine Ersatzeinreichung vorgenommen werden muss. Früher konnte zumindest bei örtlicher und zeitlicher Erreichbarkeit des gerichtlichen Nachtbriefkastens vor Mitternacht dort noch eine Sendung eingeworfen werden und alles war im grünen Bereich. Heute liegt das Risiko für die Übermittlung noch mehr als vorher beim Absender, wenn selbst technische Störungen den Absender nicht zwangsläufig enthaften (BGH NJW 2022, 3647) und sogar die Vorhaltung eines mobilen WLAN-Hotspots verlangt wird (OVG Münster MDR 2022, 1368).

III. Chatbot ChatGPT

Der nach der Veröffentlichung einer Testversion Ende November 2022 gehypte Chatbot ChatGPT (chat.openai.com/chat), der auf Künstlicher Intelligenz (KI) basiert, kann hierzu leider keine präzise Antwort liefern. Die entsprechende Frage („Gilt § 130d ZPO auch für den Insolvenzverwalter?“) führt zu skurrilen Antworten (über die Funktion „regenerate response“ kann eine neue Antwort für dieselbe Frage generiert werden):
„§ 130d Zivilprozessordnung (ZPO) ist eine Bestimmung des deutschen Zivilprozessrechts, die sich auf die Zuständigkeit der Gerichte bei der Durchführung von Verfahren im Insolvenzrecht bezieht. Das Gesetz legt fest, dass für alle Verfahren im Zusammenhang mit einer Insolvenz das zuständige Insolvenzgericht zuständig ist. Dies betrifft auch die Tätigkeit von Insolvenzverwaltern. § 130d ZPO besagt also, dass für alle Verfahren im Zusammenhang mit einer Insolvenz das zuständige Insolvenzgericht zuständig ist, einschließlich der Tätigkeit von Insolvenzverwaltern. Wenn also ein Insolvenzverwalter in einem Verfahren tätig wird, ist das zuständige Insolvenzgericht für die Entscheidung in diesem Verfahren zuständig.“
„Es sieht so aus, als ob Sie nach Informationen über den § 130d ZPO suchen. § 130d ZPO ist eine Vorschrift im deutschen Zivilprozessrecht, die sich mit der Zustellung von Schriftstücken an Insolvenzverwalter befasst. Konkret regelt der § 130d ZPO, dass Schriftstücke, die im Insolvenzverfahren an den Insolvenzverwalter zu richten sind, an den Insolvenzverwalter zu Händen des Insolvenzgerichts zuzustellen sind. Dies gilt sowohl für die Zustellung von Klageschriften als auch für andere Schriftstücke, die im Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Die Zustellung an das Insolvenzgericht hat den Vorteil, dass sichergestellt ist, dass der Insolvenzverwalter das Schriftstück erhält und dass der Zustellungsvorgang dokumentiert wird. Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit weiterhelfen. Falls Sie noch Fragen haben oder etwas genauer wissen möchten, zögern Sie nicht, mich zu fragen.“
Läuft noch nicht ganz rund, aber schon einmal ein Anfang. Vielleicht auch nicht so schlecht, gemessen daran, dass ChatGPT eine Entwicklung aus den USA ist und somit nicht originär für die deutsche Sprache und die inhaltliche Verarbeitung deutschen Rechts entwickelt wurde. Wohlklingende juristische Formulierungen (ohne Rücksicht auf den Inhalt) funktionieren auf jeden Fall schon. Zur Ehrenrettung von ChatGPT muss aber auch gesagt werden, dass die Qualität bei rechtlichen Fragen auf einer allgemeineren Ebene deutlich besser ausfällt. Die Frage nach der Nutzungspflicht des beA für Insolvenzverwalter ist da im Moment vielleicht noch ein etwas zu spezielles Problem für eine automatisierte Lösung.

IV. Einführung von KI?

Das OLG Stuttgart hat im Oktober 2022 ein KI-System als Assistenz zur Bearbeitung der Dieselverfahren eingeführt (www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/einsatz-kuenstlicher-intelligenz-zur-bewaeltigung-der-diesel-verfahren). Dabei werden aus der Menge der Verfahren mittels KI-basierter Analyse der Schriftsätze solche herausgefiltert, die gemeinsame Merkmale aufweisen und daher für die zeitgleiche Bearbeitung geeignet sind.
Perspektivisch sollte darüber nachgedacht werden, inwiefern auch Insolvenzverfahren für die assistenzbasierte KI-Nutzung geeignet sind. Das kann und darf natürlich nicht dazu führen, dass dem Richter oder Rechtspfleger die konkrete Entscheidung im jeweiligen Einzelfall aus der Hand genommen wird. KI würde aber zum Beispiel bei Einbeziehung der Einkommensverhältnisse des Schuldners in den Algorithmus einen standardisierten und damit auch ressourcenschonenden Umgang mit der Aktenbearbeitung ermöglichen.
KI kann auch für Schuldner einen vereinfachten Zugang zur Beantwortung von Fragen darstellen, wenn es eine Art amtlichen Inso-Chatbot geben würde. FAQ auf Internetseiten von Gerichten, gerichtsspezifische Informationsblätter und die amtlichen Hinweise zum Antragsvordruck für Verbraucherinsolvenzverfahren sind mitunter so formuliert, dass sie für den juristisch nicht bewanderten Schuldner nicht immer nachvollziehbar sind. Über KI wäre das möglicherweise adressatengerecht darstellbar.
Falls Sie noch Fragen haben oder etwas genauer wissen möchten, zögern Sie nicht, mich zu fragen.
Assessor Thomas Reck, Bremen

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