ZVI 2019, 45

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2019 EditorialHans-Ulrich Heyer

Schein-Datenschutz

Das Thema „Datenschutz im Insolvenzrecht“ wird uns auch im neuen Jahr weiter beschäftigen. Noch längst sind nicht alle Fragen geklärt. Wir stehen eher am Anfang der Diskussion.
Vor allem die Frage der Zulässigkeit der Nutzung von Daten aus dem Insolvenzportal durch Dritte hat uns schon oft beschäftigt. Die neue Datenschutz-Grundverordnung hat hier vieles auf eine neue Grundlage gestellt. Es geht darum, in welcher Weise und wie lange solche Daten von Dritten aus dem Insolvenzportal erhoben und zu eigenen Zwecken genutzt und verbreitet werden dürfen. Einerseits sind die Veröffentlichungen notwendig und verhältnismäßig, andererseits bereiten sie den betroffenen Schuldnern aber Probleme, wenn solche Daten außerhalb des Portals teilweise in einer anprangernden und eher voyeuristischen Darstellung auf „Schuldnerlandkarten“ auftauchen oder wenn sie weit über die Beendigung des Verfahrens und die Erteilung der Restschuldbefreiung hinaus genutzt werden.
Im neuen Jahr wird uns aber noch eine andere Frage beschäftigen, die das Insolvenzportal und dort speziell die Suchfunktionen betrifft.
Wie und in welcher Weise Daten in das Portal einzustellen und dort vorzuhalten sind, regelt die „Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet“, kurz „InsIntBekV“. Sie wendet sich an die Gerichte und den Betreiber des Portals. Letzteres ist die Justizverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen im Auftrag aller Bundesländer.
Jede Veröffentlichung von personenbezogenen Daten steht in einem Spannungsverhältnis zu dem Individualrechtsschutz der betroffenen Schuldner. Der Verordnungsgeber ist sich dieser Schwierigkeit bewusst gewesen. Schon in der Begründung zu der Verordnung weist er zutreffend darauf hin, dass die Verbreitung von Daten aus den Insolvenzbekanntmachungen nicht räumlich begrenzt werden kann und die Daten vielfältig ausgewertet werden können. Er hat versucht, dieses Spannungsverhältnis durch eine Begrenzung der Verfügbarkeit der Daten zu regeln, indem er bestimmte Löschungsfristen vorgeschrieben hat. Diese sind in § 3 InsIntBekV geregelt und sie verpflichten die Gerichte, die Veröffentlichungen nach bestimmten Fristen wieder aus dem Portal zu entfernen.
Weiter wird auch die Auffindbarkeit der Veröffentlichungen durch die Verordnung eingeschränkt. Auch das soll die völlig freie Datenverfügbarkeit zugunsten des Schuldnerschutzes begrenzen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 InsIntBekV sollen die Daten nur innerhalb der ersten zwei Wochen nach der Veröffentlichung frei sein. Das Portal sieht dafür die sog. „uneingeschränkte Suche“ vor. Danach, so die Verordnung, dürfen Veröffentlichungen nur dann noch abgerufen werden können, wenn die Abfrage den Sitz des Insolvenzgerichts und mindestens ein weiteres Suchkriterium wie den Familiennamen, die Firma, den Sitz oder Wohnsitz des Schuldners, das Aktenzeichen des Gerichts oder die Registernummer bei juristischen Personen enthält (sog. „Detail-Suche“).
Dieses Prinzip entlarvt sich bei näherem Zusehen aber als ein Schein-Datenschutz. Es würde nur funktionieren, wenn das Insolvenzportal die einzige Verbreitungsplattform für die Insolvenzdaten wäre. Ist sie aber nicht. Wie ZVI 2019, 46angesprochen, bedienen sich Dritte, seriöse Auskunfteien wie im kommerziellen Eigeninteresse handelnde Datenanbieter, dieser Portaldaten und verarbeiten diese ohne Bindung an die InsIntBekV bislang völlig rechtmäßig weiter. Über diese Auskunftssysteme oder sogar „Schuldner-Apps“ stehen die Daten damit unbeschränkt zur Verfügung. Nur wer als Gläubiger oder sonst Interessierter solche Möglichkeiten nicht nutzt, unterliegt noch den Suchbeschränkungen im Portal. Da es für viele Gläubiger, beispielsweise für private Gläubiger oder kleine Handwerksbetriebe oder öffentliche Verwaltungen, sehr mühselig ist, ständig und lückenlos die Insolvenzbekanntmachungen zu beobachten, treibt das System viele geradezu zwangsläufig in die Arme der Drittanbieter. Diese scannen flächendeckend die Bekanntmachungen mit einem Datencrawling, das das Insolvenzportal aufgrund des Datenverkehrs teilweise für andere blockiert und dieses zeitweise unerreichbar macht. Die Daten stehen dann weiterhin unbeschränkt zur Verfügung, weil die Drittanbieter nicht an die Suchbeschränkungen der InsIntBekV gebunden sind. Der beabsichtigte Datenschutz funktioniert deshalb nicht wirklich.
Und jetzt kommt noch eine europarechtliche Komponente hinzu. Es ist nämlich fraglich, ob das System der durchgängigen Detail-Suche den europäischen Vorgaben entspricht. Nach Art. 27 Abs. 1 und 3 EuInsVO kann der Zugang zu den sog. Pflichtinformationen ausschließlich für natürliche Personen beschränkt werden, die keine selbstständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben. Nur für solche Personen wäre eine Beschränkung in Form der derzeitigen Detail-Suche zulässig. Das wären im Wesentlichen die Verbraucher. Für Veröffentlichungen betreffend Unternehmen wäre die Detail-Suche insgesamt unzulässig. Die diesbezüglichen Veröffentlichungen müssten während des gesamten laufenden Verfahrens uneingeschränkt auffindbar bleiben. Es wird deshalb derzeit geprüft, ob die Detail-Suchfunktionen insoweit aufgehoben werden müssen.
Vor dem Hintergrund der oben geschilderten Situation könnte überlegt werden, ob dies nicht zum Anlass genommen werden sollte, die Detail-Suchfunktion insgesamt, also auch für Verbraucher, aufzuheben. Das sieht auf den ersten Blick zwar wie eine Einschränkung des Datenschutzes zulasten der Verbraucher aus, ist es aber nicht. Wie geschildert stehen den meisten Gläubigern die veröffentlichten Daten ohnehin umfassend zur Verfügung. Und in der Sache gibt es auch kaum einen durchgreifenden Grund, Veröffentlichungen während eines laufenden eröffneten Insolvenzverfahrens nicht einschränkungsfrei zur Verfügung zu stellen. Warum soll ein Gläubiger, der die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zugangsfrei über die uneingeschränkte Suche im Insolvenzportal gefunden hat, für die weitere Verfolgung des Verfahrens und etwa die Frage, wann denn der Schlusstermin bestimmt worden ist, nur Informationen über eine beschränkte Suche bekommen? All das scheint übertrieben und mag in der Zeit der ursprünglichen Inkraftsetzung der InsIntBekV sinnvoll erschienen sein. Die technischen Voraussetzungen haben sich aber geändert. Das hat der Verordnungsgeber schon vor einiger Zeit erkannt, als er z. B. die ursprüngliche Regelung in der InsIntBekV, dass die Trefferergebnisse im Portal nicht kopiert werden dürften (Kopierschutz), abgeschafft hat. Es wäre an der Zeit, auch die Suchfunktionen insgesamt an der Realität zu orientieren.
Wichtig wäre es, sich den tatsächlichen Problemen im Spannungsfeld zwischen Insolvenzbekanntmachungen und Datenschutz zuzuwenden. Das ist die eingangs erwähnte Frage der Zulässigkeit der völlig uneingeschränkten Datennutzung durch Dritte in teilweise unangemessenen Darstellungsformen und vor allem über die Löschungsfristen der InsIntBekV hinaus. Wie hatte der Verordnungsgeber die wahren Probleme schon bei Inkraftsetzung der InsIntBekV im Jahr 2002 beschrieben? Vor allem nach einer Erteilung der Restschuldbefreiung wird das Ziel, den Betroffenen einen wirtschaftlichen Neustart zu ermöglichen, behindert, wenn aufgrund der fortdauernd verfügbaren Informationen auf eine Insolvenz hingewiesen wird, die bereits überwunden ist. Ein wirtschaftlicher Neuanfang wird durch eine fortdauernde Publizität der Veröffentlichungen aus dem Insolvenzverfahren gestört (BR-Drucks. 1082/01, S. 7 f.). Stimmt.
Dieses Problem sollten wir ernsthaft angehen. Damit wäre für den Datenschutz mehr gewonnen als mit der Aufrechterhaltung der Detail-Suche im Insolvenzportal.
Prof. Dr. Hans-Ulrich Heyer, stellv. DirAG Oldenburg (Oldb.)

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