ZVI 2023, 466

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2023 EditorialDaniel Blankenburg

Vollübertragung der Verbraucherinsolvenzverfahren auf den Rechtspfleger

Warum nicht? Wer A sagt, muss aber auch B sagen

Wieder einmal wird angeregt, dass die Zuständigkeit für Verbraucherinsolvenzverfahren vollständig auf den Rechtspfleger übertragen werden soll (Schreiben des BMJ vom 13. 6. 2023; ebenso Lissner, ZInsO 2023, 1610, 1612). Mit beachtlichen Argumenten hat sich Heyer dagegen ausgesprochen (ZVI 2023, 351 ff.; ebenso ausführlich dagegen die Stellungnahme des BAKinso ZVI 2023, 336 ff.). Er hat insoweit dargelegt, dass dagegen die bereits bekannten verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, es keine Effizienzverluste gibt und im Übrigen die Übertragung zu einem erheblichen Wegfall an Richterstellen führen würde, was wiederum die richterliche Kompetenz in Insolvenzverfahren schwächen würde.
Die Diskussion ist hinlänglich bekannt und wurde schon oft geführt (vgl. dazu Lissner, ZVI 2012, 93, 95; ders., ZInsO 2012, 1164 f.; ders., ZInsO 2012, 681 ff.; ders., ZInsO 2012, 2282, 2283 f.; ders., ZInsO 2014, 989, 992 f.; ders., ZInsO 2016, 377 ff. m. w. N.; Wimmer, ZVI 2012, 160, 166 f.). Soweit verfassungsrechtliche Bedenken erhoben werden, sind diese allerdings schwach ausgeprägt. Natürlich stellt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens einen wesentlichen Einschnitt in die Rechte des Schuldners dar. Allerdings erfolgt dieser Einschnitt in Verbraucherinsolvenzverfahren in nahezu allen Fällen aufgrund eines eigenen Antrags des Schuldners, also mit seiner Zustimmung. Die Prüfungskompetenz in materieller Hinsicht liegt bei dem beteiligten Richter bei nahezu null. Er prüft lediglich, ob die formellen Voraussetzungen für den Antrag gegeben sind. Dies kann sicherlich auch ohne verfassungsrechtliche Bedenken von der Rechtspflegerschaft übernommen werden. Auch das Argument des Effizienzverlustes lässt sich nur schwerlich widerlegen. Natürlich stellt es einen Effizienzverlust dar, wenn zunächst der Richter den Antrag und dann der Rechtspfleger diesen nochmals liest. Da es sich um ein standardisiertes Verfahren handelt, geht es allerdings nur um wenige Minuten pro Verfahren, so dass im Ergebnis der Effizienzverlust eigentlich nur ein vorgeschobenes Argument ist.
Das entscheidende Argument gegen die Vollübertragung ist daher die Schwächung der Richterschaft (so Heyer, ZVI 2023, 351, 354 f.; Schmidt, ZVI 2023, 310, 311). Aber auch dieses Argument verliert an Bedeutung, wenn der Vorschlag zu einer Vollübertragung konsequent zu Ende gedacht wird. Dies würde nämlich bedeuten, dass im Gegenzug die Regelinsolvenzverfahren vollständig auf den Richter zu übertragen sind.
Unzweifelhaft bedarf es aus verfassungsrechtlichen Gründen bei streitigen Anträgen auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens einer Beteiligung eines Richters am Eröffnungsverfahren. Insoweit wird bisher auch nicht ernsthaft gefordert, diese Zuständigkeit ebenfalls zu übertragen. Die Folge ist, dass sich die Richterschaft in Regelinsolvenzverfahren intensiv mit dem Antrag beschäftigt. Eröffnungsverfahren bei streitigen Anträgen oder bei bedeutenden Insolvenzen können erhebliche Zeit in Anspruch nehmen und erfordern eine intensive Betreuung durch den Insolvenzrichter. Kommt es zur Eröffnung des Verfahrens, tritt bei den Regelinsolvenzverfahren genau der Effizienzverlust ein, der bei den Verbraucherinsolvenzverfahren überbetont wird. Der Rechtspfleger muss sich ggf. in ein hochkomplexes Verfahren einarbeiten, das bereits zur Eröffnung mehrere Bände aufweisen kann. Zudem muss der Rechtspfleger die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters im Rahmen der Vergütungsfestsetzung beurteilen, ohne genau zu wissen, was in diesem Verfahrensabschnitt passiert ist. Es ist also erforderlich, dass sich der Rechtspfleger komplett in ein Verfahren einarbeitet, mit dem sich ein Richter ggf. mehrere Monate intensiv beschäftigt hat. Ein größerer Effizienzverlust ist kaum denkbar. Gesteigert wird das Ganze noch, wenn, wie in großen Verfahren üblich, ein Insolvenzplan eingereicht wird. Da in diesen Fällen nur das Insolvenzplanverfahren auf den Richter übergeht, nicht jedoch das komplette eröffnete Verfahren (vgl. § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG), muss sich der Rechtspfleger in das Verfahren einarbeiten, obwohl es ggf. zeitnah durch einen Insolvenzplan beendet wird. Ist dies der Fall, muss er auch noch die Vergütung in einem Verfahren festsetzen, das eine erhebliche Komplexität hatte, an dem er aber faktisch nicht beteiligt war. Aus Vernunftserwägungen übernimmt häufig bereits jetzt der Richter die Vergütungsfestsetzung, ohne hierfür aber originär zuständig zu sein.
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Zudem ist zu berücksichtigen, dass es in Insolvenzverfahren zur Festsetzung der Vergütung im Millionenbereich kommen kann. Es mutet seltsam an, dass jeder Rechtsstreit über eine Zahlungsverpflichtung ggf. im Cent-Bereich (z. B. Nebenkostenabrechnungen im Mietrecht) von einem Richter bearbeitet werden muss, jedoch die Vergütungsfestsetzung in den Zuständigkeitsbereich der Rechtspfleger fällt. Die Festsetzung der Vergütung stellt für die betroffenen Gläubiger einen viel größeren Eingriff in ihre Rechte dar als die Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens.
Die Vollübertragung der Regelinsolvenzverfahren auf die Richter würde auch eine Lösung der Problematik der Pebbsy-Berechnung ermöglichen. Bislang sind sowohl Regel- als auch Verbraucherinsolvenzverfahren mit 74 Minuten bewertet. Allen, die im Insolvenzgericht tätig sind, ist bewusst, dass diese Zahlen keinerlei Bezug zur Realität haben. Die Bearbeitung von Verbraucherinsolvenzverfahren nimmt deutlich weniger Zeit in Anspruch. Zutreffend weist Heyer darauf hin, dass dadurch die deutlich aufwendigeren Regelinsolvenzverfahren quersubventioniert werden (ZVI 2023, 351, 355). Der Wegfall dieser Quersubventionierung ist die größte Gefahr der Vollübertragung der Verbraucherinsolvenzverfahren, da zu vermuten ist, dass in diesem Fall die Pebbsy-Bewertung für die Regelinsolvenzverfahren im richterlichen Bereich schlicht nicht angepasst werden würde. Werden aber im Gegenzug die Regelinsolvenzverfahren voll übertragen, bedarf es zwangsläufig einer Neubewertung für den richterlichen Bereich. Insoweit bestünde die Chance, auch eine an die Realität anknüpfende Berechnung zu erhalten.
Da es in vielen Gerichten nur wenige Regelinsolvenzverfahren gibt, sollte mit einer Vollübertragung der Regelinsolvenzverfahren auch eine Konzentration der Insolvenzgerichte einhergehen, soweit diese noch nicht erfolgt ist. Dann wäre es möglich, schlagkräftige Einheiten zu bilden (vehement dagegen Lissner, JurBüro 2022, 564 ff.). Politisch scheint eine solche Konzentration aber derzeit nicht durchsetzbar.
Die Vollübertragung der Verbraucherinsolvenzverfahren auf den Rechtspfleger scheint grundsätzlich ein geeigneter Baustein zu sein, um die Effizienz der Insolvenzgerichte zu steigern. Der Gesetzgeber darf aber dabei nicht stehenbleiben, sondern muss dann auch konsequent im Gegenzug die Übertragung bei den Regelinsolvenzverfahren streichen, so dass die Richter das Verfahren von Anfang bis Ende bearbeiten. Sollte hingegen nur der erste Schritt erfolgen, wird es zu den von Heyer beschriebenen desaströsen Folgen für das Insolvenzgericht kommen, die erhebliche Auswirkungen auf die eigentlich hohe Akzeptanz der Insolvenzgerichte haben würden.
Richter am AG Dr. Daniel Blankenburg, Hannover, derzeit abgeordnet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den IX. Zivilsenat des BGH

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