ZVI 2022, 449

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2022 EditorialAndreas Schmidt

Raider heißt jetzt Twix… und das COVInsAG nunmehr SanInsKG

Ein Zwischenruf zu aktuellen gesetzgeberischen Aktivitäten und zur Insolvenzanfechtung von im Aussetzungszeitraum des COVInsAG vorgenommenen Rechtshandlungen im Rahmen von Privatinsolvenzen

Bemerkenswert: Durch das am 9. 11. 2022 in Kraft getretene SanInsKG hat der Gesetzgeber das COVInsAG umbenannt – es heißt jetzt SanInsKG. Das erinnert den einen oder anderen sicherlich an eine beliebte Fernsehwerbung, die sich irgendwie eingebrannt hat: Raider heißt jetzt Twix.
Über die Umbenennung hinaus, hat der Gesetzgeber den für die Überschuldung in § 19 Abs. 2 InsO geregelten Zeitraum von zwölf Monaten (der ja erst durch das SanInsFoG mit Wirkung zum 1. 1. 2021 eingeführt worden ist) nunmehr auf vier Monate verkürzt. Dies bedeutet, dass es für eine die Überschuldung ausschließende positive Fortbestehensprognose i. S. d. § 19 Abs. 2 InsO ausreicht, wenn das Unternehmen in den nächsten vier Monaten in der Lage ist, seinen Zahlungspflichten nachzukommen. Diese Änderung gilt für sämtliche Unternehmen, bei denen die Überschuldung Insolvenzgrund ist, unabhängig davon, aus welchem Grund sie in die Krise geraten sind. Sie gilt – zunächst – befristet bis zum 31. 12. 2023. Man darf gespannt sein, ob der Gesetzgeber sich dann zu einer Verlängerung bzw. zu einer Entfristung entschließt. Für die Privatinsolvenz sind diese Neuerungen indes nicht unmittelbar relevant.
Für den Kontext der Privatinsolvenz ist – unabhängig von der erfolgten Umbenennung – der unverändert gebliebene § 2 Abs. 2 SanInsKG wichtig, zu dem bislang keine veröffentlichte Rechtsprechung vorliegt. Die Norm lautet:
„§ 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 SanInsKG gilt auch für Unternehmen, die keiner Antragspflicht unterliegen (…)“
Die Regelung bezweckt mithin, auch die Unternehmen, die keiner Antragspflicht unterliegen, von den in § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 SanInsKG gewährten Anfechtungsprivilegien profitieren zu lassen. Der Gesetzgeber stellt in der Gesetzesbegründung völlig zutreffend klar, dass die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform treffen können (BT-Drucks. 19/18110, S. 24 v. 24. 3. 2020).
Mit der Regelung des § 2 Abs. 2 SanInsKG wird der Anwendungsbereich der an die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 1 SanInsKG anknüpfenden Regelungen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 SanInsKG auch und gerade auf natürliche Personen erweitert. In Betracht kommen u. a. Einzelhandelskaufleute (BT-Drucks. 19/18110, S. 24 v. 24. 3. 2020). Entsprechend der Zielsetzung, alle von der COVID-19-Pandemie betroffenen Unternehmen zu erfassen, sollte die Vorschrift weit ausgelegt werden und über die in der Gesetzesbegründung genannten Beispiele hinaus auf alle Schuldner Anwendung finden, soweit sie eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit i. S. d. § 304 InsO ausüben. Insbesondere unterfallen auch Freiberufler dem Anwendungsbereich (Kamin, ZVI 2021, 333).
ZVI 2022, 450
Fraglich ist, ob – gegen den Wortlaut des § 2 Abs. 2 SanInsKG, der für eine voraussetzungslose Einschränkung zu sprechen scheint, – für eine Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters im Rahmen einer Privatinsolvenz weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis Nr. 5 SanInsKG knüpft primär an die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht in § 1 Abs. 1 SanInsKG an, die gerade nicht einschränkungslos zur Anwendung kommt. Einigkeit besteht insoweit, als die Privilegierungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 5 SanInsKG jedenfalls auch bei nichtantragspflichtigen Unternehmen in zeitlicher Hinsicht auf den von § 1 SanInsKG vorgegebenen Aussetzungszeitraum beschränkt sind, mithin ausschließlich im Zeitraum vom 1. 3. 2020 bis 30. 4. 2021 in Betracht kommen (Thole, ZIP 2020, 650, 658; A. Schmidt, ZVI 2020, 157, 159).
Naheliegend ist, dass die Einschränkungen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 SanInsKG nur dann in Betracht kommen, wenn der Schuldner zumindest pandemiebedingt in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten war. Andernfalls würden Schuldner, die dem § 2 Abs. 2 SanInsKG unterfallen, ohne erkennbaren sachlichen Anlass stärker privilegiert werden als antragspflichtige Schuldner, für die § 2 Abs. 1 SanInsKG unmittelbar gilt. Diese gesetzgeberische Schwachstelle in § 2 Abs. 2 SanInsKG dürfte auf den Zeitdruck des Gesetzgebers bei der Schaffung des COVInsAG zurückzuführen sein. Um eine solche ungerechtfertigte Besserstellung zu vermeiden, ist zu erwägen, auch bei Privatinsolvenzschuldnern an die Vermutungs- und Beweislastregelungen des § 1 Abs. 1 SanInsKG anzuknüpfen (Bork, ZRI 2021, 1033; Kamin, ZVI 2021, 333: teleologische Reduktion; a. A. Hölzle/Schulenberg, ZIP 2020, 633; Thole ZIP 2020, 650, wonach die Norm so zu lesen sein soll, dass es für die Anwendung dieser Vorschriften nicht darauf ankommt, dass eine – nicht bestehende – Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist).
Sicherlich ist die vom Gesetzgeber bezweckte präventive Wirkung der Vorschrift zu begrüßen. Der weite Schutzumfang des § 2 Abs. 2 SanInsKG eröffnet jedoch möglicherweise wirtschaftlich gesunden Unternehmen die Möglichkeit, die Privilegien des § 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 SanInsKG über die „Hintertür“ zu missbrauchen. Das in der Regierungsbegründung anklingende und nicht näher definierte Erfordernis „ernsthafter wirtschaftlicher Schwierigkeiten“ (BT-Drucks. 19/18110, S. 24 v. 24. 3. 2020) erscheint nicht geeignet, weil es zu unbestimmt ist und deshalb zu Rechtsunsicherheit führt.
Fazit: Für den Insolvenzverwalter, der im Rahmen einer Privatinsolvenz beabsichtigt, eine im Aussetzungszeitraum des § 1 SanInsKG (1. 3. 2020 bis 30. 4. 2021) vorgenommene Rechtshandlung anzufechten, sollte sich auf den Standpunkt stellen, dass eine Anfechtung dann nicht gem. § 2 Abs. 2 SanInsKG ausgeschlossen ist, wenn eine hypothetisch unterstellte Antragspflicht des Schuldners nicht ausgeschlossen gewesen wäre. Dies ist mit Blick auf § 1 Abs. 1 Satz 3 SanInsKG namentlich dann nicht der Fall wenn der Schuldner bereits am 31. 12. 2019 zahlungsunfähig war (vgl. OLG Düsseldorf ZVI 2022, 475, in diesem Heft). Folgt das Zivilgericht dieser Rechtsauffassung, so kann in einem solchen Fall der Insolvenzverwalter ohne jegliche Einschränkungen anfechten.
Dr. Andreas Schmidt, Hamburg

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