ZVI 2018, 461

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2018 EditorialKlaus Hofmeister

Es ist angerichtet – eine bayerische Rezeptur

Delegation der Finanzierung der Insolvenzberatung vom Freistaat Bayern auf die Kommunen

Trotz der guten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen hat die Überschuldung von natürlichen Personen gemäß dem kürzlich veröffentlichten SchuldnerAtlas 2018 der Creditreform zum fünften Mal in Folge erneut zugenommen. Bundesweit gelten demnach 6,9 Mio. Menschen über 18 Jahre als überschuldet; dies entspricht einer Überschuldungsquote von 10,04 % der Erwachsenen. Im Vergleich der Bundesländer weist Bayern mit 800.000 Überschuldungsfällen und einer Quote von 7,43 % vor Baden-Württemberg noch immer die günstigste Situation auf. Allerdings hat die Überschuldungsproblematik gerade auch in Bayern in den letzten Jahren stark zugenommen. Im Langzeitvergleich von 2004 bis 2018 hat der Freistaat nach Nordrhein-Westfalen (plus 185.000 Fälle) und Baden-Württemberg (plus 115.000 Fälle) mit einer Zunahme von 88.000 Personen den drittgrößten Anstieg in diesem Bereich zu verzeichnen. Niedrige Arbeitslosenquoten wie etwa in Bayern gehen infolge der Entwicklungen im Niedriglohnsektor nicht mehr automatisch einher mit geringeren Überschuldungsfällen. Die Creditreform verweist hierzu auf die Daten des Statistischen Bundesamtes, die eine Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse auf nunmehr 7,72 Mio. Beschäftigte verzeichnen. Weiterhin wird auf eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung Bezug genommen, wonach etwa 12 % der Erwerbsbevölkerung (rd. 4 Mio. Beschäftigte) dauerhaft in prekären Umständen leben (Creditreform, SchuldnerAtlas Deutschland – Überschuldung von Verbrauchern, November 2018).
Vor diesem Hintergrund ist es grundsätzlich erfreulich, dass Mitte des Jahres der Bayerische Landtag entschieden hat, die Kräfte für die Beratung und Unterstützung von überschuldeten Menschen ab 2019 in kommunaler Hand zu bündeln. Ziel ist es, Schuldner- und Insolvenzberatung zusammenzuführen. Weiterhin sollen die Träger von Beratungsstellen Fördergelder künftig nur noch mit einer Instanz abrechnen müssen. Nach derzeitiger Rechtslage sind für die Schuldnerberatung und deren Finanzierung entsprechend der einschlägigen Vorschriften im SGB II und SGB XII die kreisfreien Städte und Kommunen im eigenen Wirkungskreis zuständig. Die Zuständigkeit für die Sicherstellung und Finanzierung der Beratung im Bereich der Verbraucherinsolvenzen nach der InsO liegt bei den Bundesländern. Beide Bereiche sind jedoch wegen der Sachnähe in der Praxis kaum abgrenzbar.
Der diesbezügliche gesetzgeberische bayerische Tatendrang hat indes einen langjährigen Vorlauf. Bereits mit Beschluss vom 9. 11. 2011 hat der Bayerische Landtag die Staatsregierung beauftragt, zu prüfen, ob und ggf. wie eine Zusammenführung der Finanzierung von Schuldner- und Insolvenzberatung aus einer Hand bewerkstelligt werden kann (LT-Drucks. 16/10234). Nach umfänglichen Recherchen stellte das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (StMAS) in seinem abschließenden Bericht vom 30. 1. 2015 als Ergebnis fest, dass eine Zusammenführung von Schuldner- und Insolvenzberatung bei den kreisfreien Städten und Landkreisen bei Erstattung der diesbezüglichen Aufwendungen grundsätzlich sinnvoll und rechtlich möglich wäre. Gemäß dem Bericht soll in diesem Fall die Übertragung der Aufgaben der Insolvenzberatung und deren Förderung im Wege der Delegation in den übertragenen Wirkungskreis der Kommunen erfolgen. In seiner Prüfungsmitteilung zur Rechnungsprüfung 2013 hatte im Übrigen auch der Oberste Bayerische Rechnungshof mitgeteilt, dass es sich bei „der Insolvenzberatung und der in den kommunalen Verantwortungsbereich fallenden Schuldnerberatung (…) um zusammen-ZVI 2018, 462hängende, fachlich kaum abgrenzbare Aufgabenbereiche“ handle. Daher sei die Delegation der Förderung der Insolvenzberatung auf die Kommunen „sachdienlich und erstrebenswert“. Vor diesem Hintergrund erging der Auftrag an das bayerische Sozialministerium, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu erarbeiten. Dieser soll auch den bedarfs- und flächendeckenden Ausbau der Insolvenzberatung in Bayern sowie die Einführung verbindlicher Qualitätsstandards beinhalten. Derzeit gibt es nach einschlägigen Erhebungen in 18 von 96 Landkreisen und kreisfreien Städten Bayern noch keine Insolvenzberatungsstelle.
Der entsprechende Gesetzentwurf der Staatsregierung vom 10. 4. 2018 (LT-Drucks. 17/21571) wurde vom Bayerischen Landtag am 10. 7. 2018 einstimmig verabschiedet (LT-Drucks. 17/23272). Verankert ist die gesetzliche Neuregelung im Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) vom 31. 7. 2018 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 15/2018, S. 670 f.). Diese Verortung mag zunächst verwundern, ist jedoch schlicht dem Umstand geschuldet, dass in Bayern 2006 das AGInsO in das AGSG integriert wurde.
Die neuen Regelungen umfassen gerade mal drei Artikel und beinhalten nichts Revolutionäres, bringen aber dennoch bei den Trägern der Beratungsstellen wie auch den mit der neuen Aufgabe befassten kommunalen Gebietskörperschaften viel Verunsicherung mit sich. Die neu gefassten Art. 112 und Art. 114 AGSG befassen sich mit den Voraussetzungen, die Beratungsstellen erfüllen müssen, um als geeignete Stellen anerkannt zu werden sowie mit dem Anerkennungsverfahren. Hier gibt es im Vergleich zu den bisher gültigen Normierungen (die sich in gleicher oder ähnlicher Form in vielen AGInsO anderer Bundesländer finden) wenig Neues zu verzeichnen. Hervorzuheben ist die künftige Verpflichtung der geeigneten Stellen zur Beteiligung an der Überschuldungsstatistik des Statistischen Bundesamtes nach dem Überschuldungsstatistikgesetz. Dies macht Sinn, da sich bisher (oft aus EDV-technischen Gründen) nur wenige bayerische Beratungsstellen freiwillig daran beteiligt haben und somit fundierte landesspezifische Auswertungen zu dieser Thematik nur sehr bedingt möglich waren. Erhalten bleibt die Zuständigkeit der jeweiligen Bezirksregierungen als Anerkennungsbehörde. Der Gesetzgeber begründet den Verbleib dieser Aufgabe beim Staat damit, dass auch Kommunen als geeignete Stellen anerkannt werden können. Eventuelle Interessenskollisionen sollen hier erst gar nicht entstehen.
Kernstück der Reform ist Art. 113 AGSG mit dem Titel „Durchführung der Insolvenzordnung“. Abs. 1 beinhaltet, dass für die Sicherstellung der Insolvenzberatung in Bayern künftig die kreisfreien Gemeinden und Landkreise im übertragenen Wirkungskreis zuständig sind. Um die Sicherstellung zu gewährleisten, können sie eigene oder beauftragte geeignete Stellen vorhalten. Dies stellt letztlich den zentralen Punkt der Delegation der Insolvenzberatung auf die Kommunen dar. Die Fachaufsicht über das kommunale Handeln obliegt den jeweiligen Bezirksregierungen.
Art. 113 Abs. 2 bis 4 beschreiben die Aufgaben der geeigneten Stellen bei der Beratung, Unterstützung und Vertretung von Schuldnern im Verbraucherinsolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren. Die Inhalte entsprechen weitgehend den bisherigen Regelungen und sind insofern bekannt und unspektakulär. Art. 113 Abs. 4 Satz 2 befasst sich mit der gerichtlichen Vertretung. Demnach soll die geeignete Stelle „den Schuldner im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften bis zur Entscheidung über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor dem Insolvenzgericht beraten und vertreten“. Diese Reduktion der Vertretung lediglich bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag bleibt hinter der mit der InsO-Reform 2014 eingeführten Vertretungsbefugnis im gesamten Verfahren vor dem Insolvenzgericht zurück. Hintergrund sind Befürchtungen einzelner Wohlfahrtsverbände, dass gerade kleinere Beratungsstellen mit einem weitergehenden Vertretungsmandat überfordert sind. Der Verfasser hält diese Verengung für problematisch. Dies hat wohl auch der Gesetzgeber selbst erkannt und in der Begründung zu Art. 113 Abs. 4 ergänzend ausgeführt: „… Sofern der individuelle Bedarf beim Schuldner besteht und dieser einer entsprechenden Vereinbarung zustimmt, kann im Einzelfall eine weitere gerichtliche Vertretung durch die Insolvenzberatungsstelle erfolgen…“.
Art. 113 Abs. 5 sieht vor, dass die Staatsregierung ermächtigt ist, durch Rechtsverordnung den für die Sicherstellung der Insolvenzberatung erforderlichen Personalbedarf und die einzuhaltenden Qualitätsmaßstäbe festzulegen. Diese Ausführungsbestimmungen lagen bei Redaktionsschluss und somit auch einige Wochen vor Inkrafttreten des Gesetzes allerdings noch nicht vor. Dies ist umso bedauerlicher, da die Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern (LAG Ö/F) bereits 2015 Qualitätsstandards zur Schuldner- und Insolvenzberatung verabschiedet und dem zuständigen Ministerium offeriert hat (www.lagoefw.de/Publikationen). In Bezug auf den Personalbedarf ist davon auszugehen, dass die Staatsregierung für eine bedarfsdeckende Versorgung von einem Schlüssel von 1 Beratungsfachkraft/Vollzeit pro 130.000 Einwohner ausgeht. Dieser Schlüssel ist Grundlage der Modellberechnung, die dem Gesetzentwurf im Vorblatt vorangestellt wurde. Für ganz Bayern mit rd. 13 Mio. Ein-ZVI 2018, 463wohnern werden nach dieser Berechnung 98,8 Vollzeitstellen für Beratung zzgl. 12 Stellen für flankierende Verwaltung als notwendig erachtet. Nach einer Übergangsfrist von 2 bis 3 Jahren soll jede Beratungsstelle mindestens mit insgesamt 2 Vollzeitstellen für die kommunal finanzierte Schuldner- und die landesfinanzierte Insolvenzberatung ausgestattet sein. Kleinere Landkreise und kreisfreie Städte sollen zur Erreichung dieser Mindestgröße regionale und trägerübergreifende Verbünde bilden können. Hierzu müssen die jeweiligen Akteure vor Ort entsprechende Vereinbarungen treffen. Wie dies funktionieren kann, wird die Praxis erst noch zeigen.
Die Kosten, die durch die Delegation bei den Kommunen entstehen, werden von der Staatsregierung nach Abzug vermuteter und ohne näheren Beleg in den Raum gestellter Synergieeffekte i. H. v. 1 Mio. € landesweit auf rund 8 Mio. € veranschlagt. In der Gesetzesbegründung wird konstatiert, dass „nach Art. 83 Abs. 3, 6 Bayerische Verfassung der Freistaat Bayern die Kosten der Insolvenzberatung den Kommunen zu erstatten hat, da hierdurch den kreisfreien Gemeinden und Landkreisen erstmalig diese Aufgabe übertragen wird (Konnexitätsprinzip)“.
Sofern der neue Bayerische Landtag bei den kommenden Haushaltsberatungen für den Doppelhaushalt 2019/2020 weiterhin einen Kostenersatz von 8 Mio. € pro Jahr veranschlagt, bedeutet dies fast eine Verdoppelung der Landesmittel für die Insolvenzberatung. Diese betragen bisher rund 4,2 Mio. € brutto. Auch wenn aus fachlicher Sicht diese Entwicklung zu begrüßen ist, so muss festgehalten werden, dass der sich aus der Gesetzesänderung ergebende Sicherstellungsauftrag der Kommunen bereits zum 1. 1. 2019 in Kraft tritt, über die Kostenerstattung der Höhe nach aber erst zu einem späteren Zeitpunkt im Landtag entschieden wird – vermutlich im Frühjahr 2019. Erst dann wird auch definitiv klar sein, wie viel Geld zur Umsetzung des Sicherstellungsauftrages in den jeweiligen Kommunen bereitsteht. Auf dieser Grundlage können verbindliche Gespräche mit den Trägern der Beratungsstellen geführt werden. In Zwischenzeit herrscht erst einmal Unklarheit für die Träger und deren Beschäftigte sowie auch die Ratsuchenden.
Offen ist auch, in welcher Form die Finanzierung „beauftragter“ Stellen in den Gebietskörperschaften erfolgt. In den Vorberatungen zum Gesetzentwurf ging man von institutioneller Förderung aus, um den Trägern der geeigneten Stellen mehr Planungssicherheit zu geben. Allerdings scheint es durchaus auch denkbar, dass einzelne Kommunen über ein Fallpauschalensystem nachdenken. Eine landesweite Vorgabe des Staates hierzu existiert nicht. Gut denkbar, dass sich eine heterogene Finanzierungspraxis entwickelt. Dem Ziel einer flächendeckenden und bedarfsgerechten Versorgung an Insolvenzberatung kommt dies nicht gerade entgegen.
Bisher erfolgt die Förderung der Beratungsstellen in Form von Fallpauschalen auf Basis der bayerischen Insolvenzberatungsförderrichtlinie mit gestaffelten Pauschalen (bis 5 Gläubiger 338 €; 6 bis 15 Gläubiger 507 €; über 15 Gläubiger 675 €). Zuwendungsempfänger sind gem. der Richtlinie ausschließlich gemeinnnützige Träger, die einem Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege angeschlossen sind sowie Landkreise, Städte und Gemeinden. Eine vergleichbare Regelung existiert künftig nicht mehr. Zwar hat der Gesetzgeber in der Begründung darauf hingewiesen: „Auch nach der Delegation soll die Insolvenzberatung wie bisher schon in erster Linie durch wohlfahrtsverbandliche oder kommunale Stellen und Träger sichergestellt werden.“ Es wäre wünschenswert gewesen, wenn sich der Gesetzgeber in der Neufassung der einschlägigen Vorschriften im AGSG oder in der Rechtsverordnung hierzu eindeutig positioniert hätte. So bleibt offen, ob bei der Auswahl der nach Art. 113 Abs. 1 AGSG beauftragten Stellen einfach auf die bestehenden Träger und deren Angebot zurückgegriffen werden kann. Wenn nicht, wird dies die jahrelang gewachsene Beratungsstellenstruktur in Bayern durcheinanderwirbeln. Die beabsichtigte Verbesserung des Beratungsangebotes könnte dabei zumindest temporär gefährdet sein.
Für Vertreter der kommunalen Ebene stellt sich die Frage, wie sie die Kostenentwicklung für die sog. Revisionsverhandlungen in den nächsten Jahren feststellen lassen. Hierzu müssen die Aufwendungen für die Insolvenzberatung von den Kosten für die soziale Schuldnerberatung abgegrenzt werden. Paradoxerweise führt also die Zusammenführung im Rahmen der Delegation aus Kostenerstattungsgründen gerade dazu, dass der Aufwand der jeweiligen Fallkategorien (Inso-Beratung oder soziale SchuldnerberatungSGB II/XII) differenziert erfasst werden muss. Der damit verbundene bürokratische Aufwand ist aktuell noch nicht abgrenzbar, sollte jedoch auf ein Minimum begrenzt werden. Alles andere wäre absurd.
Die bayerische Rezeptur der Delegation der Insolvenzberatung auf die Kommunen kann bei näherer Betrachtung durchaus für Verstimmungen sorgen. Wie sie den Akteuren bekommt, ist noch ungewiss.
Dipl. Sozpäd. Klaus Hofmeister, Sozialreferat der Stadt München

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