ZVI 2022, 413

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2022 EditorialFrank Lackmann

Rasante Gesetzgebung in Krisenzeiten

Zwei große, seit Jahrzehnten nicht dagewesene Krisen, ein Gesetzgeber, der im Minutentakt neue Hilfspakete und damit verbundene Gesetze schnürt. Selbstverständlich, dass hierbei handwerkliche Fehler passieren? Erst die Corona-Krise, dann der dramatische Angriffskrieg auf ein Land mitten in Europa. Nein, der Gesetzgeber ist neben allen menschlichen Schicksalen und Katastrophen wahrlich nicht zu beneiden. Man muss ihm zugutehalten, dass die Hilfspakete in Windeseile geschnürt wurden und den Menschen spürbare Entlastung gebracht haben. Nicht jedes Hilfspaket mag gerecht erscheinen, aber tatsächlich ist viel Positives passiert.
Nun stellt sich für Praktikerinnen und Praktiker in der Schuldnerberatung, wie auch bei Insolvenzverwalterinnen/Insolvenzverwaltern und Gerichten aber die Frage: Wie konnte es passieren, dass teilweise gleiche handwerkliche Fehler in aufeinanderfolgenden Gesetzen geschehen?
Aber der Reihe nach:
Eines der ersten Hilfspakete waren die Soforthilfen für durch die Coronapandemie arg gebeutelten Kleinselbstständigen und Unternehmen. Die Hilfen wurden schnell gestrickt und schnell gezahlt. Dann aber traten die ersten Probleme auf. Wie steht es eigentlich um die Pfändbarkeit dieser Soforthilfen? Der Gesetzgeber hat sich diese Frage offensichtlich nicht gestellt oder er hat das Problem in der Eile vergessen. Sicherlich hat der Gesetzgeber nicht gewünscht, dass die Hilfen pfändbar sind und damit das Unternehmen oder die selbstständige Tätigkeit wiederum in Gefahr ist. Das kann dann noch als Flüchtigkeitsfehler durchgehen und zum Glück haben die Gerichte hier vergleichsweise schnell eine Klärung der Frage herbeigeführt. Zu nennen seien die beiden Entscheidungen des BFH (Beschl. v. 9. 7. 2020 – VII S 23/20 (AdV), ZVI 2020, 431) und des BGH (Beschl. v. 10. 3. 2021 – VII ZB 24/20, ZVI 2021, 197) zur Frage der Pfändbarkeit der Corona-Soforthilfen für angeschlagene Unternehmen und selbstständig tätige Personen. Gerade noch mal Glück gehabt!
Es folgten Arbeitgeberprämie, Kinderbonus etc. Auch hier hat der Gesetzgeber eine gesetzliche Regelung zur Pfändbarkeit dieser Leistungen vermissen lassen. Auch hier musste die Rechtsprechung ran. War die Frage des Kinderbonus noch recht leicht zu bewerkstelligen, indem insbesondere viele Schuldnerberatungsstellen unter Verweis darauf, dass es sich hierbei wohl um unpfändbares Kindergeld handelt, den Kinderbonus über die P-Konto-Bescheinigung freigestellt haben (siehe auch Saager, ZVI 2020, 288, 289, 290; Reck, ZVI 2020, 243, 245), sah die Angelegenheit bei der steuer- und sozialversicherungsfreien Corona-Arbeitgeber-Prämie schon anders aus. Es gab „herzlose Entscheidungen“ (wie z. B. die des LG Dresden v. 9. 2. 2021 – 5 T 11/21, ZVI 2021, 127 (m. Anm. Grote), aber auch viele positive Entscheidungen, die richtigerweise von einer Unpfändbarkeit der Arbeitgeberprämie ausgingen (z. B. AG Cottbus v. 23. 3. 2021 – 63 IN 127/18; LAG Hannover v. 25. 11. 2021 – 6 Sa 216/21 und schlussendlich dann BAG v. 25. 8. 2022 – 8 AZR 14/22).
ZVI 2022, 414
Für Pflegekräfte war und ist ein sog. Pflegebonus vorgesehen, wobei dieser unverständlicherweise nur denjenigen Pflegekräften gezahlt werden soll, die in einem Krankenhaus mit einer bestimmten Anzahl an beatmeten Corona-Intensivpatienten auf den Stationen arbeiten, gezahlt werden soll (vgl. https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/bonus-fuer-die-pflege-2021574). Interessanterweise hat der Gesetzgeber hier daran gedacht, die Unpfändbarkeit im Gesetz zu regeln, § 150a Abs. 8 Satz 4 SGB XI.
Stellt sich sodann die Frage, wie es dem Gesetzgeber durchgehen konnte, die Frage der Pfändbarkeit bzgl. der Energiepreispausche (EPP), die im September 2022 über den Arbeitgeber ausgezahlt wurde, zu regeln. Die Folge war und ist ein Chaos bei allen Beteiligten (Arbeitgeber, Schuldnerberatungsstellen, Anwaltschaft, Insolvenzverwalter, Gerichte). Unterschiedliche Meinungen (siehe Kampf, ZVI 2022, 415 und Reck, ZVI 2022, 418 (beide in diesem Heft)) und Entscheidungen (wie aktuell das AG Norderstedt v. 15. 9. 2022 – 66 IN 90/19, ZVI 2022, 444 = ZRI 2022, 872, das von einer Pfändbarkeit der EPP ausgeht) sind die Folge. Man mag hier sicherlich zu unterschiedlicher Auffassung kommen, ich halte es hier mit Hofmeister (ZVI 2022, 365, 366), der zutreffend von einer Unpfändbarkeit ausgeht. Der Gesetzgeber äußert sich nicht, was unverständlich ist. Will der Staat durch ein gesetzgeberisches Versäumnis am Ende tatsächlich mit Millionen Euro, die dazu gedacht sind, die gestiegenen Energiekosten abzumildern, Gläubigerforderungen bedienen? Das kann nicht sein. Insoweit bleibt zu hoffen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung hier schnell zu einem eindeutigen Ergebnis kommt.
Schließen wir mit etwas Positivem ab: Der Gesetzgeber hat den wichtigen § 811 ZPO rundum erneuert und ins 21. Jahrhundert gehievt. Die Regelung darf auch durchaus als gelungen gewertet werden. Insbesondere in Bezug auf § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. c ZPO ist die Ausweitung des Regelungsgehaltes auf psychische Erkrankungen zu begrüßen. Der BGH hat schnell reagiert und hält einen PKW des Schuldners für unpfändbar, der aufgrund einer psychischen Erkrankung benötigt wird (BGH v. 10. 8. 2022 – VII ZB 5/22, ZVI 2022, 434 (in diesem Heft)). Gut so!
Bleibt die Hoffnung, dass der Gesetzgeber die Gerichte und beratenden Schuldnerberatungsstellen und Anwaltschaft sowie die Verwalterschaft bei zukünftigen Hilfspaketen ebenfalls entlastet und einfach nur vier Wörter ins Gesetz übernimmt: Diese Leistung ist unpfändbar.
Rechtsanwalt Frank Lackmann, Bremerhaven

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