RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln
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1619-3741
Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz
ZVI
2024
EditorialHans-Ulrich Heyer
Evaluationsbericht: Chancen auf weitere Verbesserungen in der Verbraucherinsolvenz
Die Bundesregierung hat gemäß Art. 107a Abs. 2 EGInsO mit Datum vom 12. 7. 2024 den Evaluationsbericht zum Restschuldbefreiungsverkürzungsgesetz vorgelegt (BT-Drucks. 20/12250; der Evaluationsbericht ist am Ende dieses Heftes im Volltext abgedruckt (ZVI 2024, 400)). Zu den Kernaufträgen des Evaluierungsauftrags stellt der Bericht erwartungsgemäß fest, dass kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf in Bezug auf die dreijährige Entschuldungsfrist besteht, weil keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass sich die Verkürzung nachteilig auf das Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern ausgewirkt hat (s. dazu Henning, ZVI Editorial Heft 8, 2024). Es soll also bei der dreijährigen Entschuldungsfrist bleiben.
Und auch im Hinblick auf die Problematik der Speicherung von Insolvenzdaten durch Wirtschaftsauskunfteien sieht der Bericht keinen unmittelbaren Handlungsbedarf, weil die Frage durch das Urteil des EuGH vom 7. 12. 2023 (C-26/22 und C-64/22, ZVI 2024, 52 (m. Kurzanm. Heyer, S. 37)) weitgehend erledigt ist.
Der Bericht belässt es dankenswerterweise aber nicht bei diesen Fragen bewenden. Er weist auf weitergehende Anregungen für eine Fortentwicklung des Restschuldbefreiungs- und Privatinsolvenzrechts hin, die sich aus mehreren Stellungnahmen zu der Evaluierung ergeben haben. Damit ist die Tür für die Diskussion weiterer Reformvorschläge einen Spalt weit geöffnet. Ob die Rechtspolitik hindurchgehen wird und sich mit den Anregungen im Einzelnen auseinandersetzen wird, ist noch nicht sicher. Und ob eventuelle Änderungen in dieser Legislaturperiode noch beschlossen werden könnten, ist noch unsicherer. Die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl am 28. 9. 2025 ist aus gesetzgeberischer Sicht nicht mehr lang. Und Gesetzesvorlagen, die in der laufenden Legislatur nicht mehr verabschiedet werden, fallen der sachlichen Diskontinuität anheim, d. h. die Gesetzentwürfe und andere Vorlagen, die vom alten Bundestag noch nicht beschlossen wurden, werden vom neuen Bundestag nicht einfach weiter beraten, sondern sie müssen neu eingebracht und verhandelt werden. Daran ist auch im Insolvenzrecht schon so manches Vorhaben gescheitert.
Trotzdem sollte die Zeit genutzt werden, sich mit den Reformideen auseinanderzusetzen und die Politik davon zu überzeugen, dass das Verbraucherinsolvenzverfahren in einigen Punkten ein Update erfahren sollte. Wenn sich die verschiedenen Interessengruppen, Verbände und Vertreter der Beteiligten wenigstens auf einige Vorschläge einigen können, bestände vielleicht die Chance auf Verbesserungen. Ganz grundlegende Verfahrensänderungen und -umwälzungen dürften hingegen einen Diskussionsbedarf haben, für den die verbleibende Zeit knapp ist.
Der Evaluationsbericht benennt folgende Themenbereiche für eine mögliche Reform des Restschuldbefreiungs- und Privatinsolvenzrechts:
1) Ausweitung und Verbesserung des Beratungsangebots und die Einbeziehung von Freiberuflern, Solo- und Kleinselbstständigen;
2) Vereinfachung der Antragsformulare und verbesserte Verständlichkeit der Erläuterungstexte;
ZVI 2024, 366
3) Bindung des gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens an einen Antrag des Schuldners;
4) Beschränkung von Forderungsanmeldungen, -prüfungen und -feststellungen auf massehaltige Verbraucherinsolvenzverfahren;
5) Einführung einer dreimonatigen Ausschlussfrist für Forderungsanmeldungen in Verbraucherinsolvenzverfahren sowie einer Frist für Feststellungsklagen der Gläubiger;
6) Lösung der Verstrickung von massezugehörigen Forderungen aus einer vorausgegangenen Einzelzwangsvollstreckung;
7) Eingrenzung der von der Restschuldbefreiung nach § 302 InsO ausgenommenen Forderungen sowie Klarstellungen zum Anwendungsbereich dieser Vorschrift;
8) Statistische Erfassung erneuter Antragstellungen nach Ablauf der Sperrfrist, um Regelungsnotwendigkeiten zur Aufdeckung und Vermeidung strategisch wiederkehrender Anträge („Drehtür-Effekte“) zu prüfen;
9) Schließung von Regelungslücken im Bereich der Sperrfristen nach § 287a InsO;
10) Vereinheitlichung der Versagungsgründe zur Erteilung einer Restschuldbefreiung während des Insolvenzverfahrens und in der Wohlverhaltensphase;
11) Erstreckung der nach der EuGH-Rechtsprechung von den Auskunfteien anerkannten Rechtslage zu den insolvenzbezogenen Speicherfristen auf Informationen über außergerichtliche Einigungen und einvernehmliche Schuldbefreiungen sowie die Schaffung einer umfassenden gesetzlichen Regelung zur Speicherdauer und zum Löschungsanspruch im Lichte der EuGH-Rechtsprechung.
Hinzu kommt noch ein Beschluss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister (JuMiKo) vom 5./6. 6. 2024, der das Bundesministerium der Justiz etwas kryptisch zum Handeln im Bereich der Ausschlussgründe zur Restschuldbefreiung auffordert:
„Die Justizministerinnen und Justizminister stellen fest, dass nach geltendem Recht auch Insolvenzschuldnerinnen und -schuldner eine frühzeitige Restschuldbefreiung erlangen können, die sich erkanntermaßen unredlich verhalten haben. Sie halten es für erforderlich, in solchen Fällen den Schutz der Insolvenzgläubigerinnen und -gläubiger zu verbessern.
Sie bitten das Bundesministerium der Justiz, Regelungsvorschläge zu einem besseren Schutz der Insolvenzgläubigerinnen und -gläubiger zu erarbeiten, um unredlichen Vorgehensweisen von Insolvenzschuldnerinnen und -schuldnern im Zusammenhang mit beantragten Restschuldbefreiungen effektiver zu begegnen.“
Welche Fälle die JuMiKo damit konkret im Auge hat, wird sich im weiteren Verlauf noch herausstellen. Möglicherweise sind es Fälle der Rücknahme des Restschuldbefreiungsantrags im laufenden Verfahren, um in einem späteren Verfahren erneut Restschuldbefreiung auch für Neuverbindlichkeiten zu beantragen oder wiederholte Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren unter Gewährung von Verfahrenskostenstundung nachdem die Restschuldbefreiung im vorangegangenen Verfahren nach § 298 InsO versagt worden war.
Auf der „Dauerbaustelle Insolvenzordnung“ ist das Werkzeug deshalb noch nicht einzupacken.
(Hon.) Prof. Dr. Hans-Ulrich Heyer, RiAG a. D.