ZVI 2021, 369

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2021 EditorialPraxedis Möhring

Wenn die freigegebene selbstständige Tätigkeit erfolglos ist…

Der Bundesgerichtshof hat für das bis zum 30. 6. 2014 geltende Recht entschieden, dass der Antrag auf Restschuldbefreiung in entsprechender Anwendung von § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig ist, wenn der Verwalter in dem zunächst eröffneten Verfahren die selbstständige Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO freigegeben hat, der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch über das Vermögen aus dieser Tätigkeit beantragt hat und über den Restschuldbefreiungsantrag im ersten Verfahren noch nicht entschieden ist (BGH, Beschl. v. 18. 12. 2014 – IX ZB 22/13, ZVI 2015, 172, Rz. 6). Nunmehr musste der Senat erneut über den nämlichen Sachverhalt urteilen, allerdings nunmehr unter Anwendung des vom 1. 7. 2014 bis zum 30. 9. 2020 geltenden Rechts. Der Schuldner hatte bei laufendem Erstverfahren nach Freigabe seiner selbstständigen Tätigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen aus der freigegebenen Tätigkeit beantragt und erneut einen Antrag auf Erteilung von Restschuldbefreiung gestellt. Er argumentierte, die genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs treffe auf ihn nicht zu, weil § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. 7. 2013 (BGBl I, 2379) aufgehoben worden sei.
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung auch für Insolvenzverfahren, deren Eröffnung nach dem 1. 7. 2014 beantragt worden ist, fest, wenn über den im Erstverfahren gestellten Antrag des Schuldners auf Erteilung der Restschuldbefreiung noch nicht entschieden ist (BGH, Beschl. v. 22. 7. 2021 – IX ZB 7/20, ZVI 2021, 388 (in diesem Heft) = ZRI 2021, 798, Rz. 15, 18). Zur Begründung wird ausgeführt: Die Unzulässigkeit ergebe sich nunmehr in Analogie zu § 287a Abs. 2 Nr. 1 Fall 1 InsO (BGH ZVI 2021, 388 = ZRI 2021, 798, Rz. 18). Der Senat nimmt eine planwidrige Regelungslücke an. Zwar habe der Gesetzgeber mit § 287a InsO ein geschlossenes System an Zulässigkeitsvoraussetzungen schaffen wollen; diesem Ziel werde die Regelung aber nicht vollends gerecht. Ungeregelt sei der Fall, dass der Schuldner einen Restschuldbefreiungsantrag in einem Zweitinsolvenzverfahren nach Freigabe seiner selbstständigen Tätigkeit stelle, obwohl die Entscheidung über den Restschuldbefreiungsantrag des Ausgangsverfahrens noch ausstehe. Diese Konstellation sei im gesamten Gesetzgebungsverfahren nicht angesprochen worden. Der Beschluss des Senats vom 18. 12. 2014 (ZVI 2015, 172) sei erst nach dessen Abschluss ergangen. Der Anwendungsbereich des § 287a Abs. 1 Nr. 1 InsO beschränke sich auf Fallgestaltungen, in denen zum Zeitpunkt der Eingangsentscheidung im Zweitverfahren die im Ausgangsverfahren beantragte Restschuldbefreiung bereits erteilt oder versagt worden sei. Es bestehe jedoch ein Bedürfnis, auch die Fälle zu regeln, in denen die Eingangsentscheidung des Zweitverfahrens vor der Entscheidung über den Restschuldbefreiungsantrag des Ausgangsverfahrens zu treffen sei. Denn das Insolvenzgericht könne eine gem. § 287a Abs. 1 InsO getroffene Eingangsentscheidung über die Zulässigkeit des Restschuldbefreiungsantrags nicht nachträglich in Frage stellen; auch andere Möglichkeiten, wie etwa einen Versagungsantrag, sehe das Gesetz nicht mehr vor. Diese Problematik habe der Gesetzgeber, nach dessen Vorstellung die Zulässigkeit des erneuten Restschuldbefreiungsantrages auch von dem Ergebnis des Ausgangsverfahrens abhängen solle, nicht bedacht (BGH ZVI 2021, 388 = ZRI 2021, 798, Rz. 25). Es bestehe auch die für eine Analogie erforderliche Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Es sei daher anzunehmen, dass der Gesetzgeber für die vorliegende Fallkonstellation die Unzulässigkeit des Restschuldbefreiungsantrags im Zweitverfahren vorge-ZVI 2021, 370sehen hätte. Denn der Gesetzgeber habe verhindern wollen, dass ein Schuldner die Restschuldbefreiung zur wiederholten Verminderung seiner Schuldenlast einsetze, und deswegen eine zehnjährige Sperrfrist nach erteilter Restschuldbefreiung angeordnet. Dieser Gesetzeszweck greife nicht nur nach einer im Erstverfahren erteilten Restschuldbefreiung, sondern auch dann, wenn über den Restschuldbefreiungsantrag des Erstverfahrens noch nicht entschieden sei. Der von § 287a Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 InsO verfolgte Zweck, dem Schuldner nur alle zehn Jahre die Möglichkeit der Restschuldbefreiung zu eröffnen, rechtfertigt die Annahme, dass der Gesetzgeber einen Zweitantrag auf Restschuldbefreiung nach Freigabe der selbstständigen Tätigkeit als unzulässig angesehen hätte, wenn bei Antragstellung über den Erstantrag des Ausgangsverfahrens noch nicht entschieden sei (BGH ZVI 2021, 388 = ZRI 2021, 798, Rz. 26 ff.). Zusätzlich verweist der Senat zur Begründung auf die Systematik der §§ 287 ff. InsO, welche parallel geführten Restschuldbefreiungsverfahren weiterhin entgegenstehe (BGH ZVI 2021, 388 = ZRI 2021, 798, Rz. 29; vgl. schon BGH ZVI 2015, 172, Rz. 13).
Mithin ist auch für das vom 1. 7. 2014 bis zum 30. 9. 2020 geltende Recht entschieden, dass der Schuldner in einem Zweitverfahren keine Restschuldbefreiung erlangen kann, wenn über seinen Antrag im Erstverfahren noch nicht entschieden ist. Dies dürfte auch für das ab 1. 10. 2020 geltende Recht gelten, weil sich die Regelungen insoweit nicht geändert haben. Allerdings wird wegen der Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf drei Jahre das Erstverfahren oft abgeschlossen sein, bevor der Schuldner im Hinblick auf seine freigegebene Tätigkeit erneut einen Restschuldbefreiungsantrag stellt. So war es auch im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall: Zwischen Insolvenzeröffnung und erneutem Antrag auf Restschuldbefreiung lagen über vier Jahre. Dann aber finden § 287a Abs. 2 InsO und die dort geregelten Sperrfristen unmittelbar Anwendung. Dem Schuldner verbleibt mithin nur die Möglichkeit, seinen Antrag auf Restschuldbefreiung (im Erstverfahren) zurückzunehmen und nach Abschluss des Insolvenzverfahrens einen erneuten Antrag auf Insolvenzeröffnung und auf Restschuldbefreiung zu stellen. Seinen Antrag auf Restschuldbefreiung kann er zumindest so lange zurücknehmen, wie kein zulässiger Versagungsantrag gestellt worden ist (BGH, Beschl. v. 22. 9. 2016 – IX ZB 50/15, ZVI 2017, 41; BGH, Beschl. v. 14. 6. 2018 – IX ZB 43/17, ZVI 2018, 380; vgl. auch BGH, Beschl. v. 15. 7. 2021 – IX ZB 33/20, ZVI 2021, 392 (in diesem Heft)).
Richterin am BGH Praxedis Möhring, Karlsruhe

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