ZVI 2018, 385

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2018 EditorialDaniel Blankenburg

A brave new world?

Sowohl Aldous Huxley als auch George Orwell zeichnen in ihren Romanen „Brave New World“ und „1984“ ein düsteres Bild von der Zukunft. Die nahe Zukunft wird wohl nicht so aussehen, wie in diesen beiden Romanen beschrieben. Jedoch zeichnet sich immer mehr ab, wie die Zukunft in justiziellen Bereichen aussehen könnte. Prognosen der Zukunft sind grundsätzlich schwer zu treffen, jedoch soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, einen Blick auf die zukünftige Abwicklung der Insolvenzverfahren zu werfen.
Der erste Meilenstein, der eigentlich am 1. 1. 2018 erreicht werden sollte, war die Einführung des besonderen Anwaltspostfachs (BeA). Bekanntlich legte dieses einen Stotterstart hin und fiel dann zum Jahreswechsel komplett aus. Erst seit dem 3. 9. 2018 ist eine Kommunikation über diesen Informationskanal möglich. Zwar war im Insolvenzbereich die Kommunikation bereits über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) seit Jahren möglich, indes wurde dieser Weg primär für die Übermittlung von Daten, z. B. der Insolvenztabelle, genutzt. Die Insolvenzverwalter haben zumeist auch weiterhin die Berichte und Gutachten in Papierform zur Akte gereicht. Mit dem BeA könnte nun ein Mentalitätswandel eintreten, da nunmehr zu erwarten ist, dass neben den Insolvenzverwaltern auch andere Rechtsanwälte Anträge im Verfahren elektronisch einreichen werden. Gem. Art. 26 Abs. 7 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten tritt zum 1. 1. 2022 dann § 130d ZPO in Kraft, wonach Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts verpflichtet sind, elektronische Dokumente einzureichen. Da sowohl die Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als auch Versagungsanträge zumeist über Rechtsanwälte, Krankenkassen, die Finanzämter oder die örtlichen Sparkassen eingehen, wird dann eine Vielzahl von Unterlagen nur noch elektronisch eingehen.
Diese Entwicklung geht auch an den Gerichten nicht spurlos vorbei. Gem. § 298a Abs. 1 ZPO werden die Prozessakten ab dem 1. 1. 2026 elektronisch geführt. Bis dahin muss die Justiz die Papierakte abgeschafft und durch eine elektronische Akte ersetzt haben. Dies ist für die Justizverwaltung eine herausfordernde Aufgabe, insbesondere da die öffentliche Verwaltung mit ihren Besoldungsstrukturen für Programmierer meist nicht die erste Wahl ist. Erschwert wird die Entwicklung dadurch, dass die Justizverwaltung Länderaufgabe ist, so dass in Deutschland keine einheitliche Lösung entwickelt wird. Gibt es bei den Insolvenzgerichten als Fachanwendungen mit EUREKA Winsolvenz und ForumStar bisher zwei wesentliche Programmplattformen, werden nunmehr drei verschiedene Aktensysteme entwickelt (e²A, eIP und VIS-Justiz). Ob das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Systemen bei Verweisungen und Rechtsmitteln funktionieren wird, lässt sich noch nicht ohne Weiteres vorhersagen. Kommen dann durch Vorlageverfahren (z. B. im Bereich der geplanten Restrukturierungsrichtlinie) oder Konzerninsolvenz auch Übermittlungen ins Ausland in Betracht, werden sich die Kompatibilitätsprobleme noch verstärken.
Die Digitalisierung wird in Zukunft aber auch noch weitere Bereiche des Insolvenzverfahrens erfassen. So ist im Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode vereinbart, dass die Digitalisierung des Insolvenzverfahrens konsequent vorangetrieben werden soll (S. 132). Erste Überlegungen dazu gibt es seitens des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschland (VID), der ein Eckpunktepapier zum „Insolvenzverfahren 4.0“ aufgestellt hat. Nach diesem ZVI 2018, 386Eckpunktepapier ist beabsichtigt, dass die Forderungsanmeldungen zukünftig bei Insolvenzverwaltern nur noch elektronisch eingereicht werden sollen. Durch die elektronische Kontaktaufnahme soll es dann ermöglicht werden, Zustellungen, die gem. § 8 Abs. 3 InsO auf den Insolvenzverwalter übertragen sind, in elektronischer Form vorzunehmen. Zudem soll es ermöglicht werden, die Insolvenzgläubiger auf elektronischem Wege über den Verfahrensstand zu informieren. In einer zweiten Stufe soll dann eine bundeseinheitliche Informationsplattform geschaffen werden, auf die dann Insolvenzverwalter und Gerichte zugreifen können. Als Endstufe ist vorgesehen, auch die Gläubigerversammlung, insbesondere Erörterungs- und Abstimmungstermine, in elektronischer Weise durchzuführen.
Grundsätzlich ist es begrüßenswert, wenn versucht wird, die Flut an Papier, insbesondere bei den Forderungsanmeldungen einzudämmen. Wie schnell eine entsprechende Anpassung erfolgen wird, kann derzeit kaum seriös vorhergesagt werden. Viele Probleme müssen vorher in technischer Hinsicht und insbesondere in rechtlicher Hinsicht überwunden werden. So erscheint es beispielsweise nicht geklärt, wie in Papierform bestehende Titel in die digitale Welt überführt werden. Ein rechtssicheres Scannen der Dokumente, das entsprechend gem. § 298a Abs. 2 ZPO zu einer rechtsersetzenden digitalen Kopie führt, ist Privatpersonen nicht möglich. Besonders bedenklich erscheinen zudem die Überlegungen, dass die Justiz, insbesondere zur Tabellenführung, auf die bei Dritten vorgehaltenen Daten zugreift. Rechtlich wird es nicht haltbar sein, dass Titel aufgrund von Daten erstellt werden, über die die Justiz nicht die Hoheit hat. Zur Umsetzung eines befriedigenden zweiten Schrittes bedarf es daher noch einer umfassenden Diskussion.
Neben dem sich bereits konkretisierenden elektronischen Rechtsverkehr und dem sich in der Anfangsdiskussion befindlichen Insolvenzverfahren 4.0 ist bisher noch nicht absehbar, wie der Rechtsbereich durch die sich immer weiter fortentwickelnde künstliche Intelligenz (KI) beeinflusst werden wird. Wer sich allerdings bisher tief in das Anfechtungsrecht oder die Systematik der Vorwirkungsrechtsprechung eingearbeitet hat, wird kaum glauben, dass in absehbarer Zeit eine KI in der Lage sein wird, die Tiefen dieser Bereiche nachzuvollziehen.
Sicher ist jedoch vorherzusagen, dass entgegen den ursprünglichen Erwartungen die Umstellung auf eine digitale Arbeitsweise kurz- und mittelfristig nicht zu Einsparungen führen, sondern im Gegenteil enorme Kosten verursachen wird. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass Einsparungen beim Personal kaum möglich sind, da neue Aufgaben hinzutreten. Hinzu kommen noch die Anschaffungs- und Wartungskosten für die EDV.
Bei aller Euphorie, die derzeit bei der Digitalisierung besteht, dürfen aber auch nicht die Gefahren aus den Augen verloren gehen oder kleingeredet werden. Neben der rechtlichen Datensicherheit – nunmehr angeschoben durch die DSGVO – bedarf es auch einer technischen Datensicherheit. Wie die Sicherheitslücken beim BeA gezeigt haben, werden die Angriffe auf die Infrastruktur im justiziellen Bereich eine andere Qualität aufweisen. Es müssen daher besondere Vorkehrungen vor Datenverlusten und -manipulationen getroffen werden. Es hilft dem Insolvenzgerichten oder Verwaltern nicht, dass sie technisch noch so hoch gerüstet sind, wenn die Daten verloren gehen und dann ein Arbeiten nicht mehr möglich ist. Sollte es zu massiven Serverausfällen kommen, wird in Zukunft kein Arbeiten mehr möglich sein, da auf die Akten nicht mehr zugegriffen werden kann. Müssen dann die Sicherungsmaßnahmen mit Stift und Papier angeordnet werden, wird womöglich doch wehmütig auf die Zeit vor der elektronischen Akte zurückgeschaut.
Dr. Daniel Blankenburg, Richter am AG Hannover

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