RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln
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1619-3741
Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz
ZVI
2025
EditorialAndreas Rein
Wenn ein Gericht (Weihnachts-)Wünsche erfüllt: Das BSG und die Aufrechnung nach erteilter Restschuldbefreiung
In dem Editorial des Septemberhefts 2021 (ZVI 2021, 325) hat sich der Verfasser von der damals noch neuen Bundesregierung anlässlich der Wahl des Bundestags unter anderem gewünscht, dass die Privilegierung der Sozialleistungsträger durch deren Aufrechnungs-/Verrechnungsmöglichkeit im (Privat-)Insolvenzverfahren abgeschafft werde. Da ihm klar war, dass dieser umfassende Wunsch wohl eher unerfüllbar sein würde, hat er – sozusagen als „Mindestwunsch“ – das Anliegen formuliert, wenigstens eine gesetzliche Regelung zum Verbot der Aufrechnung nach erteilter Restschuldbefreiung zu treffen. Und es handelte sich dabei nicht allein um einen Wunsch des Verfassers, wie zumindest zwei Stellungnahmen von Verbänden zur Evaluation des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens zeigen. So hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung in ihrer Stellungnahme vom 10. 5. 2024 ausdrücklich (S. 3) auf die Problematik der Aufrechnung bzw. Verrechnung eines Sozialleistungsträgers mit einer nach § 302 InsO von der Restschuldbefreiung erfassten Gegenforderung hingewiesen (abrufbar unter https://www.bag-sb.de/die-bag-sb/positionen). Auch der Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands hat diese Thematik in seiner Stellungnahme vom 10. 5. 2024 aufgegriffen und die Tendenz der sozialgerichtlichen Rechtsprechung, die Aushöhlung der Restschuldbefreiung durch die Sozialkassen zu bestätigen, beklagt (https://www.vid.de/stellungnahmen/evaluation-des-gesetzes-zur-weiteren-verkuerzung-des-restschuldbefreiungsverfahrens/).
Die Ampel ist zerbrochen und wird keinerlei Wünsche des Verfassers mehr erfüllen. Wie er am 3. Dezember 2024 aber erfreut feststellen konnte, muss er den zweiten Teil seines Wunsches nun bei der Nachfolgeregierung nicht mehr adressieren: Das Bundessozialgericht hat ihn – sozusagen als vorgezogenen Weihnachtswunsch – bereits erfüllt. Das BSG hat nämlich mit Urteil vom 3. 12. 2024 (B 2 U 11/22 R, Terminbericht 42/24 vom 3. 12. 2024) entschieden, dass der beklagte Unfallversicherungsträger nach Erteilung der Restschuldbefreiung keine Aufrechnungsbefugnis mehr besitze. Die Begründung für diese Position ist klassisch: Es fehle die erforderliche Aufrechnungslage. Denn die Beitragsforderung der Unfallversicherung sei mit Erteilung der Restschuldbefreiung zu einer unvollkommenen, rechtlich nicht durchsetzbaren Forderung geworden (§ 301 Abs. 1 InsO). Damit findet sich das BSG im Einklang mit der wohl herrschenden Meinung im insolvenzrechtlichen Schrifttum (vgl. dazu m. w. N. Rein, in: Henning/Lackmann/Rein, Handkommentar-Privatinsolvenz, 2. Aufl., 2022, § 51 SGB I Rz. 39). Dabei scheint das BSG die Erteilung der Restschuldbefreiung als unbedingte Grenze der Aufrechnungsmöglichkeit anzusehen: Denn es soll sich laut dem Terminbericht nichts dadurch ändern, dass das bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende Recht eines Insolvenzgläubigers zur Aufrechnung durch das Insolvenzverfahren grundsätzlich unberührt bleibe (§ 94 InsO). „Denn jedenfalls mit der Erteilung der Restschuldbefreiung endet die Aufrechnungslage.“ (so Terminbericht, a. a. O.). Zumindest in diesem Punkt deutet sich eine Diskrepanz zur Rechtsprechung des BGH an, da dieser dann eine Aufrechnung auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung für zulässig erachtet, wenn die Aufrechnungs-ZVI 2025, 2befugnis bereits bei Insolvenzantragstellung bestand (Urt. v. 19. 5. 2011 − IX ZR 222/08, NZI 2011, 538, dort für den Erlass einer Forderung durch einen Insolvenzplan). Dies stützt der BGH eben auf § 94 InsO: Soweit ein Insolvenzgläubiger bereits zur Zeit der Verfahrenseröffnung kraft Gesetzes zur Aufrechnung berechtigt war, soll dieses Recht durch die Verfahrenseröffnung nicht berührt werden. Letztlich müssen aber die Urteilsgründe vorliegen, um diese Fragestellung genauer zu beurteilen. Die Beratungspraxis muss dieser mögliche Streitpunkt auch nicht weiter interessieren: Das BSG hat als letzte Instanz im Bereich der Auf-/Verrechnung durch Sozialleistungsträger endgültig entschieden und die Erteilung der Restschuldbefreiung als Grenzpunkt für deren Zulässigkeit markiert. Wie einfach es doch manchmal ist, Wünsche zu erfüllen!
Prof. Dr. Andreas Rein, Ludwigshafen am Rhein