ZVI 2024, 1

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher-, Privat- und Nachlassinsolvenz ZVI 2024 EditorialAndreas Rein

Erforderlichkeit der Neuregelung eines Rechts auf Schuldnerberatung

Am 11. September 2023 hat das EU-Parlament die EU-Verbraucherkreditrichtlinie verabschiedet. In deren Art. 36 ist Folgendes bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Verbrauchern, die Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer finanziellen Verpflichtungen haben oder haben könnten, unabhängige Schuldnerberatungsdienste, für die nur begrenzte Entgelte zu entrichten sind, zur Verfügung gestellt werden.“
Man könnte versucht sein, das deutsche System der Schuldnerberatungsstellen als ausreichend anzusehen, um die Vorgaben des Art. 36 der Richtlinie zu erfüllen. Allerdings würde dies bedeuten, dass man die offensichtlichen Mängel des deutschen Systems nicht beheben würde. Diese Mängel sind die folgenden:
  • Die Wartezeiten sind für die Betroffenen kaum zumutbar. Zwar gab das Statistische Bundesamt die im Jahr 2016 bestehende durchschnittliche Wartezeit auf einen ersten Beratungstermin mit 10 Wochen an (Destatis, Pressemitteilung Nr. 201/17 v. 14. 7. 2017). Hierbei wird allerdings häufig ein Erstberatungstermin zur Existenzsicherung oder eine offene Sprechstunde gemeint sein. Geht es um die langfristige Beratung von Schuldnern, werden – meist hinter vorgehaltener Hand – Wartezeiten von 6 bis 9 Monaten oder sogar längere Wartezeiten genannt (s. dazu auch Hihn, Lange Wartezeiten in der Schuldnerberatung – eine Zumutung für Ratsuchende und Beratungskräfte, abrufbar unter: https://infodienst-schuldnerberatung.de/beratung/lange-wartezeiten-in-der-schuldnerberatung-eine-zumutung-fuer-ratsuchende-und-beratungskraefte/).
  • Der Zugang zur Schuldnerberatung ist nicht für alle Personengruppen gewährleistet. Dies bestätigte eine (erneute) Umfrage der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände zwischen Februar und August 2020 zu den Zugängen in der Schuldnerberatung. Bei ausgewerteten 404 Fragebögen ergab sich eine Rücklaufquote von 40 %. Zur Frage, welche Personengruppen von der Beratung ausgeschlossen werden, zeigte sich folgendes Bild: Bei 132 Beratungsstellen (dies stellten ca. 35 % der Rückläufe dar) werden Personenkreise ausgeschlossen. So wurden etwa in 57 Beratungsstellen (= 43,18 %) Rentner von der Beratung ausgeschlossen, in 68 Beratungsstellen (= 51,52 %) Erwerbstätige und in 45 Beratungsstellen (= 34,09 %) Alg I-Bezieher.
  • Bisher ist die Schuldnerberatung in §§ 16a, 17 SGB II und § 11 Abs. 4, §§ 75 ff. SGB XII geregelt, sie liegt also in kommunaler Verantwortung. Für die Insolvenzberatung – die nach Ansicht der Literatur und der Praxis fachlich nicht sinnvoll von der Schuldnerberatung zu trennen ist (Rein/Herzog, ZVI 2014, 81, 92) – wird hingegen eine Zuständigkeit der Länder angenommen, was in vielen Bundesländern auch zu einer Trennung bei der Finanzierung geführt hat. Dies hat zu einer sehr unterschiedlichen Finanzierungsstruktur in Ländern und Kommunen geführt.
ZVI 2024, 2
All dies widerspricht den Ausführungen zu Erwägungsgrund 81 der EU-Verbraucherkreditrichtlinie, der an zwei Stellen ausführt, dass die Schuldnerberatungsdienste leicht zugänglich sind. Aus Sicht des Verfassers ist es daher unbedingt erforderlich, dass der bisherige Flickenteppich aufgegeben wird und eine Neuregelung des Rechts auf Schuldnerberatung erfolgt.
Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände hat bereits im Jahre 2018 in einem Positionspapier einen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung postuliert. Diesen will sie in einem neu zu schaffenden § 68a SGB XII verankern. So sinnvoll auch der Verfasser diese langjährige Forderung der AG SBV ansieht, so erwägenswert ist es angesichts der europäischen Entwicklungen aber vielleicht auch, einen gänzlich neuen Weg zu gehen. Denn die oben genannten Sonderregelungen zur Schuldnerberatung im SGB II und SGB XII müssen abgeschafft werden, damit ein allgemeiner und freier Zugang zu dieser Leistung ermöglicht wird. Konsequent wäre es dann aber, die Verankerung der Schuldnerberatung im Existenzsicherungsrecht aufzugeben und damit auch den neuen Vorschriftenkanon zum Recht auf Schuldnerberatung nicht in das SGB XII aufzunehmen. Dies würde dem Wortlaut des Art. 36 der Richtlinie gerecht, den Anspruch bei (drohenden) Schwierigkeiten bei der Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen zu gewähren, was ja einen jedenfalls auch gläubigerorientierten, auch aus der InsO bekannten Ansatz und eher keinen existenzsichernden Ansatz darstellt. Um hier dennoch einen Anknüpfungspunkt im Sozialgesetzbuch zu wählen, wäre es etwa möglich, einen neuen § 14a SGB I einzuführen, der bei Schwierigkeiten eines Verbrauchers bei der Erfüllung seiner finanziellen Verpflichtungen ein Recht auf Schuldnerberatung gewährt. Allerdings stellt hier der verwendete Begriff des „Verbrauchers“ insoweit ein Problem dar, als er im Sozialrecht nicht gebräuchlich ist und damit der dortigen Systematik widerspricht. Vielmehr ist der Begriff in § 13 BGB legaldefiniert, ein zivilprozessualer Verbraucherbegriff findet sich in § 29c Abs. 2 ZPO. Auch die bereits erwähnten Schwierigkeiten bei der Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen lassen eher an einen anderen Regelungskanon als denjenigen des Sozialgesetzbuchs denken: So führt Erwägungsgrund 81 der Richtlinie aus, dass finanzielle Schwierigkeiten auch den Verzug mit der Rückzahlung von Schulden um mehr als 90 Tage umfassen sollen, ein ebenfalls zivilrechtlicher Zusammenhang. Es spricht daher einiges dafür, dass ein eigenes Gesetz geschaffen wird, in dem die Voraussetzungen eines Rechts auf Schuldnerberatung, der Gegenstand der Beratung, die Gewährung durch Schuldnerberatungsstellen und die Kostenübernahme geregelt werden.
Gleich, wo ein solches Recht auf Schuldnerberatung geregelt wird, eines sollte aus Sicht des Verfassers unbedingt erfüllt sein: Es muss eine Kostenfreiheit gewährleistet sein, auch wenn die Richtlinie hier „begrenzte Entgelte“ ermöglicht. Aus Sicht des Verfassers sind Kostenbeiträge des Beratenen nicht vereinbar mit zentralen Prinzipien der sozialen Schuldnerberatung (s. Rein/Herzog, ZVI 2014, 81, 90), gerade auch um eine nachhaltige Beratung zu gewährleisten. Letztlich kann nur bei Kostenfreiheit eine klare Grenze zur gewerblichen Schuldnerberatung gezogen werden. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung hat daher auch unmittelbar nach Verabschiedung der Verbraucherkreditrichtlinie in Art. 36 eine Voraussetzung für eine kostenfreie Schuldnerberatung gesehen (BAG, Pressemitteilung v. 12. 9. 2023, abrufbar unter www.BAG-SB.de).
Welchen Weg der deutsche Gesetzgeber auch immer wählt: Es ist höchste Zeit, dass ein allgemeines, für alle gleiches und kostenfreies Recht auf Schuldnerberatung gesetzlich verankert wird.
Prof. Dr. Andreas Rein, Ludwigshafen am Rhein

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell