ZVI 2021, 1

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2021 EditorialThomas Reck

Macht Corona das Insolvenzverfahren digitaler?

Stellen Sie sich vor, es ist InsO und keiner kommt hin. Was eigentlich eher nach Kalauer klingt, hat zu Corona-Zeiten durchaus einen realen Hintergrund. Eine corona-orientierte Auslegung des § 5 Abs. 2 InsO ermöglicht Kontaktvermeidung durch das schriftliche Verfahren, selbst wenn die Voraussetzungen nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht immer vorliegen mögen (Schmidt, ZVI 2020, 157). Nachdem mittlerweile die ersten unter Corona-Bedingungen eröffneten Verfahren auf die Aufhebung zusteuern dürften, sollte das aber nicht dazu führen, dass die Vergütung nach dem zu § 5 Abs. 2 InsO inhaltlich identischen § 3 Abs. 2 Buchst. e InsVV gekürzt wird. Es wäre nicht fair, wenn eine solche den Umständen geschuldete Übereinkunft über die Verfahrensabwicklung nachträglich mittels Festsetzung eines Abschlages im wahrsten Sinne des Wortes einseitig entwertet würde.
Auch bei einer solchermaßen weitreichenden Betrachtung kann es unabhängig von der vorgenannten Vergütungsfrage Situationen geben, in denen ein schriftlicher Termin beim besten Willen nicht sachgerecht ist. Wer trägt dann die Kosten, wenn mangels eines adäquaten Sitzungssaals ein externer Raum angemietet werden muss? Fällt das finanziell in den Risikobereich der Justizverwaltung oder handelt es sich um Auslagen für die Bereitstellung von Räumen bei einem Geschäft außerhalb der Gerichtsstelle nach Nr. 9006 GKG-KV? Auf den ersten Anschein hört sich das eindeutig an. Unter Corona-Bedingungen muss jedoch die Frage gestattet sein, ob es zu Lasten der Masse gehen kann, wenn ein externer Saal nicht wegen einer vollkommen aus dem Rahmen des Üblichen fallenden Personenzahl angemietet werden muss, sondern wegen einer aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht möglichen Durchführung des Termins mit allen Teilnahmeberechtigten (§ 74 Abs. 1 InsO) in gerichtseigenen Räumlichkeiten. Bei Veranschlagung der Saalmiete in der Gerichtskostenrechnung dürfte der Insolvenzverwalter daher angesichts des für ihn ausschließlich maßgeblichen Gläubigerinteresses gehalten sein, Erinnerung einzulegen. Über § 66 Abs. 4 GKG kann diese Problem auch bis zum Oberlandesgericht gebracht werden. Nun mag sich der eine oder andere Leser fragen: Warum soll der Fiskus die Saalmiete zahlen? Das lässt sich aber genauso umdrehen: Warum sollen die Gläubiger über einen Quotenabschlag die Saalmiete zahlen, weil „wegen Corona“ kein gerichtseigener Saal benutzt werden konnte?
Während die Neuentdeckung des Online-Meetings dazu geführt hat, dass jetzt die Möglichkeit der virtuellen Gläubigerversammlung ausdrücklich in die InsO aufgenommen werden soll, schaut eine Gruppe nach wie vor in die Röhre. Obwohl es äußerst streitig ist, ob eine persönliche Beratung i. S. d. § 305 InsO über die Teilnahme von Schuldnerberater und Schuldner hinaus verlangt, dass sich beide gleichzeitig im selben realen und nicht nur virtuellen Raum befinden müssen, wurde insoweit eine Chance zur Klarstellung bisher nicht ergriffen. Vielleicht ändert sich etwas, nachdem diese Frage – genauer: darf das Insolvenzgericht die Umstände der Beratung prüfen? – inzwischen auch in Karlsruhe angekommen ist (BVerfG ZVI 2020, 424). Die Anforderung, dass die Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs „auf der Grundlage persönlicher Beratung und eingehender Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners“ zu erteilen ist, wurde zum 1. 7. 2014 eingeführt, um damit eine Massenbearbeitung ohne Berücksichtigung des Einzelfalls zu unterbinden. Dieses Anliegen ZVI 2021, 2hat nach wie vor seine Berechtigung. Gleichwohl sollte es damit in Einklang gebracht werden, dass sich die praktische Durchführung der persönlichen Beratung mangels eindeutiger Regelungen zur zulässigen Kommunikationsform bzw. wegen der Nachprüfung durch das Insolvenzgericht auch in nicht mit dem Anschein des Missbrauchs behafteten Fällen als problematisch erwiesen hat.
In dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall war die ordnungsmäßige Abwicklung in der angegriffenen Entscheidung wegen fehlender Ortsnähe zum Schuldner hinterfragt und die stattgefundene telefonische Durchführung als nicht ausreichend angesehen worden. Insofern muss die Frage gestellt werden, weshalb fehlende Ortsnähe für die Bestellung als Insolvenzverwalter kein Ausschlusskriterium ist (BGH NJW 2016, 2037), während ein Antrag auf Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens unter Umständen an der Befassung einer auswärtigen Stelle mit dem außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch scheitern kann. Provokant gesagt: Wenn der Insolvenzverwalter mit der finanzierenden Bank wegen der Verwertung der Immobilie des Schuldners skypen darf, der Schuldner aber nicht mit der Schuldenberatungsstelle wegen des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuchs, erscheint dies alles andere als konsequent.
Auch die Gläubigerversammlung soll nicht so digital werden, wie es auf den ersten Blick erscheint. Zwar lässt das SanInsFoG in § 4 Satz 2 InsO-RegE die nach § 128a Abs. 1 ZPO, § 4 InsO an sich schon jetzt mögliche Form der Durchführung per Videokonferenz ausdrücklich zu. In diesem Zusammenhang von einer „virtuellen Gläubigerversammlung“ zu sprechen, wirkt abseits aller damit verbundenen rechtlichen und technischen Fragen aber ein wenig zu euphorisch. Insbesondere wird die Grundtendenz fehlenden Teilnahmeinteresses auf Gläubigerseite damit nicht adressiert: wer kein Interesse hat, zu einer Gläubigerversammlung als Präsenztermin zu fahren, wird sich auch nicht unbedingt aus dem Büro dazuschalten wollen. Außerdem beschränkt sich § 4 Satz 2 InsO-RegE auf die Vorgabe von Hinweisen zur verbotenen Bild- und Tonaufzeichnung und dem gleichermaßen unzulässigen Mithören und Zuschauen durch Dritte. Das wirkt inhaltlich ungefähr so, als ob an jeder Ampel ein Schild „Weiterfahrt bei Rot verboten“ hängen würde. Abgesehen davon käme doch auch niemand auf die Idee, so etwas zu machen. Ob sich das jetzt auf das Mitschneiden der Sitzung oder das Überqueren der Straße bezieht, kann sich jeder selbst aussuchen.
Thomas Reck, Bremen

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