ZVI 2022, 89

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2022 EditorialAndreas Schmidt

Alles beA, oder was?

Vom Umgang mit dem neuen § 130d ZPO beim Insolvenzgericht

Seit dem 1. Januar 2022 sind auch die Insolvenzgerichte mit der Frage konfrontiert, ob und inwieweit § 130d ZPO anwendbar ist. Dabei sind mehrere Fragen zu unterscheiden.

1. Rechtsanwälte, die den Schuldner oder einen Gläubiger im Insolvenzverfahren vertreten

Kein Zweifel kann daran bestehen, dass ein Rechtsanwalt, der den Schuldner oder aber einen Gläubiger im Insolvenzverfahren vertritt und beispielsweise einen Insolvenzantrag beim Insolvenzgericht stellt, diesen grundsätzlich per besonderem elektronischem Anwaltspostfach (beA) stellen muss. Andernfalls ist der Antrag unzulässig. Aber auch weitere im Verfahren von einem Rechtsanwalt gestellte Anträge sind grundsätzlich zwingend per beA zu stellen. Dies gilt beispielsweise für RSB-Versagungsanträge und für Anträge gem. § 89 Abs. 3 InsO. Hieraus dürfte sich die bisher vorhandenen Kommentarliteratur beziehen, die davon ausgeht, § 130d ZPO sei im Insolvenzverfahren über § 4 InsO anwendbar (etwa: HambKomm-Rüther, InsO, 9. Aufl., 2022, § 4 Rz. 58). Nur ausnahmsweise kann ein Antrag per normaler Post eingereicht werden, nämlich unter den Voraussetzungen des § 130 Satz 2 und 3 ZPO (dazu sogleich).

2. Behörden als Antragsteller

Die obigen Ausführungen gelten zunächst entsprechend für Behörden, mithin insbesondere für Finanzämter, die bekanntlich regelmäßig Gläubigeranträge (§ 14 InsO) stellen. Die – soweit ersichtlich erste – insolvenzgerichtliche Entscheidung, die zu dieser Thematik ergangen ist, ist in diesem Heft abgedruckt (AG Hamburg ZVI 2022, 106). Sie beschäftigt sich auch mit der Frage, ob eine Behörde wie das Finanzamt dann, wenn sie (noch) nicht über beA verfügt bzw. beA bei ihr (noch) nicht richtig funktioniert, eine Art „Dispens“ erhalten kann. Die Entscheidung verneint diese Möglichkeit im Grundsatz mit Recht, weil ein solcher Dispens im Gesetz nicht vorgesehen ist. Allerdings kann – wie bereits oben angedeutet – ausnahmsweise ein Antrag auch per normaler Post gestellt werden, wenn die Voraussetzungen der § 130d Satz 2 und 3 ZPO vorliegen, also vorübergehende technische Störungen vorliegen und dies von der antragstellenden Behörde glaubhaft gemacht wird. Hier ist die erwähnte Entscheidung sehr streng. Vor dem Hintergrund, dass offensichtlich viele Finanzämter mit beA „noch nicht so weit sind“, erscheint es nicht unvertretbar, es für eine Glaubhaftmachung ausreichen zu lassen, wenn das Finanzamt die „technische Störung“ auf geeignetem Wege dem Insolvenzgericht mitteilt. Darüber, welche Anforderungen an eine solche Glaubhaftmachung zu stellen sind, entscheidet – selbstverständlich – zunächst der zuständige Insolvenzrichter. Zu bedenken ist aber, dass die Zulässigkeit eines per normaler Post gestellten Insolvenzantrages in der Beschwerdeinstanz vollumfänglich überprüft wird, es also vorstellbar ist, dass das Landgericht eine insolvenzgerichtliche Entscheidung deshalb aufhebt, weil der Antrag – da nicht den Anforderungen des § 130d entsprechend – unzulässig ist. Bereits vor diesem Hintergrund ist dringend zu empfehlen, dass sich die Finanzverwaltung so schnell wie möglich technisch aufrüstet.
ZVI 2022, 90

3. Besonderes Problem: Insolvenzverwalter

Besonders schwierig ist die Frage zu beantworten ob und inwieweit § 130d ZPO auf den Insolvenzverwalter, der zugleich Rechtsanwalt ist, anwendbar ist. Hier haben sich offensichtlich innerhalb der letzten knapp drei Monate bei den Insolvenzgerichten unterschiedliche Usancen herauskristallisiert. Klar ist, dass der anwaltliche Insolvenzverwalter beA nutzen darf. Die entscheidende Frage ist, ob er es auch muss:
Grundtenor bei vielen Insolvenzgerichten: So wenig beA wie möglich! So können und sollen bei einigen Insolvenzgerichten einfache Sachstands- und Jahresberichte sowie einfache Schreiben, Anträge und Stellungnahmen per beA eingereicht werden, Gutachten, Berichte gem. § 156 InsO, Schlussunterlagen mit Schlussverzeichnis und Kontoauszügen sowie Tabellen dagegen nicht (Büttner, ZInsO 2022, 277). Andere Insolvenzgerichte gehen davon aus, lediglich Anmeldeunterlagen, die zur Niederlegung eingereicht werden, Kontoauszüge und Belege, die zur Überprüfung im Original einzureichen sind, und Tabellenblätter von § 130d ZPO auszunehmen.
Was für ein Durcheinander! Richtigerweise unterliegt der Insolvenzverwalter, der zugleich Rechtsanwalt ist, dann, wenn er für das Insolvenzgericht tätig wird, sei es als (vorläufiger) Insolvenzverwalter, als (vorläufiger) Sachwalter, als Treuhänder gem. § 292 InsO oder als sog. isolierter Sachverständiger generell nicht der Regelung des § 130d ZPO (im Ergebnis genauso Schwartz/Meyer, ZInsO 2021, 2475). Dies folgt aus der sog. „Bereichslehre“, wonach es sich beim Insolvenzverwalter um einen eigenständigen Beruf i. S. d. Art. 12 GG handelt (so BVerfG ZVI 2004, 470; MünchKomm-Graeber, InsO, 4. Aufl., § 56 Rz. 137; Ganter, NZI 2018, 137; umfassend zur Thematik HambKomm-Frind, InsO, 9. Aufl., 2022, Rz. 17 ff.). Hieraus wird m. E. zutreffend der Schluss gezogen, § 130d ZPO sei nicht anwendbar (Schwartz/Meyer, ZInsO 2021, 2475; a. A. aber Büttner, ZInsO 2022, 277; Beth, ZInsO 2021, 2652).
Zwischenfazit: Solange es keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Anwendbarkeit des § 130d ZPO auf den anwaltlichen Insolvenzverwalter gibt, müssen Insolvenzverwalter dies mit „ihren“ Insolvenzgerichten abstimmen. Wünschenswert wäre es, wenn wenigstens jedes Insolvenzgericht diesbezüglich zu einer einheitlichen Handhabung gelangen würde. Eine höchstrichterliche Klärung ist wünschenswert, kann aber nur erreicht werden, wenn der Insolvenzverwalter beim Insolvenzgericht einen „echten“ Antrag stellt; dies kann beispielsweise ein Antrag gem. § 89 Abs. 3 InsO oder gem. § 36 Abs. 4 InsO sein. Auch möglich erscheint es, dass eine Überprüfung dann stattfinden könnte, wenn der Treuhänder (§ 292 InsO) einen RSB-Versagungsantrag gem. § 298 InsO per einfacher Post stellt. Gegen den insolvenzgerichtlichen Beschluss, durch den dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt wird, könnte der Schuldner dann Beschwerde zum LG und u. U. Rechtsbeschwerde zum BGH einlegen. Dann müsste Farbe bekannt und die Frage beantwortet werden, ob der Antrag zulässig oder aber wegen § 130d ZPO unzulässig ist.
Dr. Andreas Schmidt, Hamburg

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