ZVI 2021, 209

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2021 EditorialMartin Ahrens

Insolvenzplan und Restschuldbefreiung

Durch einige aktuelle Entscheidungen ist das Verhältnis von Insolvenzplan und Restschuldbefreiung in jüngerer Zeit verstärkt in den Blickpunkt geraten. Am Ausgangspunkt steht die Entscheidung des AG Hamburg vom 24. 5. 2017 (ZVI 2017, 304). In diesem Beschluss hat das Insolvenzgericht für eine Befreiung des Schuldners von seinen restlichen Verbindlichkeiten durch einen Insolvenzplan nach § 227 Abs. 1 InsO zusätzlich einen eigenen Insolvenz- und Restschuldbefreiungsantrag des Schuldners verlangt. Diese vom Gericht aufgestellte, dem Gesetz so nicht zu entnehmende Anforderung ist deutlich, teils auch scharf kritisiert worden (Jaeger/Münch, InsO, 2019, § 227 Rz. 11; Madaus, NZI 2017, 697; Grote, ZInsO 2017, 1380; Foerste, ZInsO 2017, 2424; Wegener, ZVI 2018, 43; Wehner, jurisPR-InsR 23/2017 Anm. 6). Die auf die sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss ergangene landgerichtliche Entscheidung hat dann schnell für Ruhe gesorgt. Sie hat klar ausgesprochen, dass ein Restschuldbefreiungsantrag keine Zulässigkeitsvoraussetzung eines Insolvenzplans ist (LG Hamburg ZVI 2018, 249; Harig, EWiR 2018, 313). Dies ist eindeutig.
Von dieser Zulässigkeitsfrage für den Insolvenzplan sind die Sachentscheidungsvoraussetzungen des Restschuldbefreiungsverfahrens zu unterscheiden. Bis zur Planbestätigung ist jedenfalls ein Nebeneinander von Insolvenzplan und Restschuldbefreiungsantrag zulässig (BGH ZVI 2016, 143). Zu bestimmen ist insbesondere, ob durch einen bestätigten Insolvenzplan das Rechtsschutzbedürfnis für einen Restschuldbefreiungsantrag entfällt. Die Antwort hängt davon ab, ob der Insolvenzplan mit seinen Wirkungen der erteilten Restschuldbefreiung gleichsteht. Bei einem lediglich verfahrensleitenden Insolvenzplan, der keine Entschuldungswirkung begründet, wird folgerichtig auch weiterhin das Rechtsschutzbedürfnis für den Restschuldbefreiungsantrag bejaht (Blankenburg, ZVI 2017, 89, 90; Madaus, NZI 2021, 284). Dies wird ebenfalls angenommen, wenn der Insolvenzplan eine Planquote vorsieht, aber eine Entschuldung nach § 227 Abs. 1 InsO ausschließt (Madaus, NZI 2021, 284), doch dürfte es sich hierbei um eine praktisch kaum bedeutsame Konstellation handeln.
Bei einem Entschuldungsinsolvenzplan soll demgegenüber das Rechtsschutzbedürfnis für den Restschuldbefreiungsantrag entfallen (Webel, in: Brünkmans/Thole, Handbuch Insolvenzplan, 2. Aufl., § 28 Rz. 63; Blankenburg, ZInsO 2015, 1293, 1302; Blankenburg, ZVI 2017, 89, 90). Ein Insolvenzplan ist indessen gerade nicht von vornherein spezieller und deswegen gegenüber der Restschuldbefreiung vorrangig. Vielmehr dürfte umgekehrt das Restschuldbefreiungsverfahren für die Ausgestaltung des Insolvenzplans prägend sein, weil das Schlechterstellungsverbot aus § 245 Abs. 1 Nr. 1, § 245a InsO auch durch die während des Restschuldbefreiungsverfahrens zu erzielenden Erträge bestimmt wird. Deswegen steht der gläubigerautonome Insolvenzplan nicht prinzipiell über der gesetzlichen Restschuldbefreiung. Vielmehr kommt es darauf an, ob die konkreten Planwirkungen Raum für eine gesetzliche Schuldbefreiung lassen. Zu berücksichtigen sind dafür die unterschiedlichen Gestaltungen und Wirkungen von Insolvenzplan und Restschuldbefreiung. (AG Göttingen ZVI 2021, 236 (in diesem Heft)).
Der Insolvenzplan begründet eine gläubigerautonome Entschuldung, die lediglich einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt, §§ 231, 250, 251 InsO. Teils gehen seine Wirkungen über eine Restschuldbefreiung hinaus, wenn die ZVI 2021, 210Entschuldung auch privilegierte Verbindlichkeiten erfassen soll (Ahrens, Aktuelles Privatinsolvenzrecht, 3. Aufl., Rz. 455; A. Schmidt, ZVI 2018, 41 f.). Teils bleiben seine Wirkungen hinter der Restschuldbefreiung zurück, etwa aufgrund der besonderen Verjährungsfrist für nicht angemeldete Forderungen aus § 259b InsO. Zudem erfolgt nur nach den §§ 286, 301 InsO eine gesetzlich begründete Restschuldbefreiung durch das Gericht mit den verfahrensrechtlichen Sicherungen aufgrund der Verfahrensdauer und Versagungsmöglichkeiten. Schließlich muss dem Schuldner die Chance auf eine Restschuldbefreiung auch für den Fall erhalten bleiben, dass der Insolvenzplan nachträglich scheitert. Insgesamt ist deswegen das Rechtsschutzbedürfnis für den Restschuldbefreiungsantrag trotz eines gerichtlich bestätigten Insolvenzplans zu bejahen (AG Göttingen ZVI 2021, 236; Riefling, VIA 2021, 39; a. A. Madaus, NZI 2021, 284). Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen können durch einen Insolvenzplan nicht die Wirkungen der gesetzlichen Restschuldbefreiung begründet werden (AG Göttingen ZVI 2021, 236; Brzoza, jurisPR-InsR 7/2021 Anm. 4; s. a. Westphal, in: Nerlich/Römermann, InsO, 42. EL, §§ 201, 202 Rz. 24; a. A. Hänel/Harig, ZVI 2015, 282, 284).
Da ein bestätigter Insolvenzplan das Rechtsschutzbedürfnis für den Restschuldbefreiungsantrag nicht entfallen lässt, sind die weiteren Wirkungen zu bestimmen. Folgerichtig tritt durch den Insolvenzplan keine Erledigung des Restschuldbefreiungsantrags ein, denn die jeweiligen Rechtsfolgen sind dafür zu unterschiedlich. Gegenüber einem bestätigten Insolvenzplan stehen den Gläubigern die Verfahrensrechte aus § 255 InsO zu. Daraus wird gefolgert, die Gläubiger könnten nicht mehr die Versagungsanträge nach den §§ 290, 296 – 297a InsO stellen (A. Schmidt, ZVI 2018, 41, 42; Blankenburg, ZVI 2017, 89, 90). Warum das Insolvenzgericht aber nicht vor der Planbestätigung die Gläubiger zu einem Versagungsantrag nach § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO anhören und ggf. ein Versagungsverfahren durchführen kann bzw. sogar muss, bleibt unbeantwortet. Aufgrund der Selbstständigkeit des Restschuldbefreiungsverfahrens ist dies möglich und nötig. Nach einer Planbestätigung kommt eine Versagung gem. § 296 InsO in Betracht.
Unter den Voraussetzungen von § 300 Abs. 2 Satz 1 InsO ist eine vorzeitige Restschuldbefreiung möglich. Genauer formuliert, kann die Wirkung des erfüllten Insolvenzplans aufgrund der befriedigten Insolvenzforderungen den Zugang zur Restschuldbefreiung eröffnen (AG Göttingen ZVI 2021, 236; a. A. Madaus, NZI 2021, 284). Dazu müssen der Insolvenzplan bestätigt, die Masseforderungen berichtigt und die Insolvenzforderungen mit der vorgesehenen Quote befriedigt sein. Nicht erforderlich ist also eine vollständige Berichtigung der Insolvenzforderungen. Es genügt eine Teilbefriedigung mit Erlass der restlichen Verbindlichkeiten. Diese Erlasswirkung entspricht sachlich der Erlasswirkung (vgl. MünchKomm-Breuer, InsO, 4. Aufl., 2020, § 227 Rz. 9) nach § 227 Abs. 1 InsO. Unter diesen gesetzlich bestimmten Voraussetzungen ist auf Antrag des Schuldners die Restschuldbefreiung vorzeitig zu erteilen.
Ist der Restschuldbefreiungsantrag vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 258 InsO entscheidungsreif, kann die sofortige Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren erteilt werden. Scheitert der Insolvenzplan, weil etwa der Schuldner die erforderlichen Leistungen nicht erbracht hat, ist das Verfahren ggf. regulär fortzusetzen und nach den allgemeinen Bestimmungen zu beenden. Nach Ablauf der Abtretungsfrist ist dann über die Erteilung der Restschuldbefreiung zu entscheiden.
Prof. Dr. Martin Ahrens, Universität Göttingen

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