ZVI 2021, 169

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2021 EditorialKai Henning

Und wie geht es weiter in der Verbraucherinsolvenz?

Nach einem kurzen postlegislativen Erschöpfungszustand Anfang des Jahres sammeln sich die „Verbraucherinsolvenzler“ gerade und schauen gespannt auf die aktuellen Zahlen der Verfahrenseröffnungen. Kommt nach der endlich beschlossenen Verkürzung der Laufzeit jetzt die große Antragswelle? Das Statistische Bundesamt widerspricht mit Pressemitteilung Nr. 190 vom 15. April 2021 und dem Rückgang der Verbraucherinsolvenzanträge um 9,2 % im Monatsvergleich Januar 2021 zu 2020. Insolvenzverwalter und Gerichte melden ebenfalls keinen sprunghaften Anstieg im Bereich der Verfahren der natürlichen Personen, aber zum Teil doch einen deutlichen Anstieg. Also eher keine Welle. Die eröffneten Regelinsolvenzen sind im Februar 2021 aber deutlich um 30 % und im März nochmals um 37 % gegenüber dem jeweiligen Vormonat angestiegen. Im März 2021 lagen die Zahlen somit erstmals seit einem Jahr mit + 18 % über den Zahlen des Vorjahresmonats. Der Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands begründet diesen Anstieg in seiner Presserklärung vom 15. 4. 2021 mit dem Nachholbedarf der ehemaligen und aktuell selbstständigen natürlichen Personen. Also eine zeitlich verzögerte Welle? Ich weiß es nicht. Die Ungewissheit, mit welchen Antragszahlen über einen längeren Zeitraum zu rechnen ist, bringt auch Insolvenzverwalter bei ihrer Personalplanung nachvollziehbar ins Schwitzen. Die Antragszahlen werden aber ansteigen, da sind sich alle Betrachterinnen einig, schon weil die Überschuldung der Bevölkerung nicht ab- sondern eher zunimmt. Ob in Wellen oder als steter Anstieg, das muss abgewartet werden.
Und im rechtlichen Bereich? Die jetzt erfolgten, oft „minimalinvasiv“ genannten Gesetzesänderungen lassen viel Raum für kommende Neuerungen, vielleicht sogar für eine Generalüberholung der Verbraucherinsolvenz. Jede Interessengruppe wird hierzu die aus ihrer Sicht besonders wichtigen Punkte vortragen. Hier nur zwei Beispiele: Bundesfinanzhof und Bundesgerichtshof zementieren mit ihrer Rechtsprechung zur Haftung des Schuldners für Masseverbindlichkeiten und zur nicht von der Restschuldbefreiung erfassten Steuerforderungen samt Zinsen und Kosten den Ausschluss eines immer größeren Betroffenenkreises von der Restschuldbefreiung. Wir brauchen daher klare Regelungen gegen die Haftung des Schuldners für Masseverbindlichkeiten. Wir brauchen ebenso dringend neue Regelungen zur Restschuldbefreiung von vorsatzdeliktischen Forderungen, um auch diesem Schuldnerkreis einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen. Lösungen könnten bspw. in einer bei diesen Forderungen zu erfüllenden zusätzlichen Quote oder in einer verlängerten Laufzeit bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung diesen Gläubigern gegenüber liegen. Quote oder längere Laufzeit könnten individuell vom Gericht festgelegt werden, um dem jeweiligen Forderungsgrund und dem besonderen Gläubigerinteresse gerecht zu werden.
Ein weiterer Punkt ist die Abschaffung der bislang obligatorischen außergerichtlichen Verhandlungen nach § 305 Abs. 1 InsO, die nur Verbraucherschuldner, nicht aber aktuell oder ehemalige Selbstständige zu ZVI 2021, 170führen haben. Die Ressourcenverschwendung durch diese Pflichtübung ist unsäglich. Sie wird vom Bundesgesetzgeber bislang zähneknirschend hingenommen, da ihre Abschaffung angeblich von den Bundesländern zur Kürzung der finanziellen Unterstützung der Schuldnerberatungsstellen nach dem Motto „keine Verhandlungen – keine Arbeit“ genutzt werden würde. Eine konzertierte Bund-Länder-Aktion sollte hier das Verbraucherinsolvenzverfahren vereinfachen und gleichzeitig die Finanzierung der Schuldnerberatungsstellen auf solide und dauerhafte Füße stellen. Das stände Bund und Ländern gerade in Corona-Zeiten gut zu Gesicht.
Ansonsten? Nach dem Spiel ist bekanntlich vor dem Spiel. Mit dem Gerichtsvollzieherschutzgesetz liegt bereits der nächste Regierungsentwurf vor, der Stand Ende April 2021 schon den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags erreicht hat. Die vorgesehenen Änderungen des § 811 ZPO und des § 36 InsO sollten vor einer Verabschiedung noch einmal diskutiert werden. Auch das Inkrafttreten der schon verabschiedeten Pfändungsschutzkonto-Änderungen am 1. 12. 2021 wird unsere volle Konzentration verlangen.
Wir stehen also fast schon wieder mitten drin. Bevor Sie aber endgültig einsteigen, lehnen Sie sich noch einmal zurück und würdigen Sie, was für ein historischer Schritt die Verkürzung der Laufzeit auf drei Jahre war und ist. Und dann legen Sie wieder richtig los!
Rechtsanwalt Kai Henning, Dortmund

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