ZVI 2020, Beilage zu Heft 7, S. 5

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2020 AufsätzeProf. Dr. Martin Ahrens, Göttingen / Dr. Thorsten Graeber, Potsdam / Prof. Dr. Hugo Grote, Köln / Prof. Dr. Hans-Ulrich Heyer, Oldenburg / Prof. Dr. Wolfhard Kohte, Halle / Prof. Dr. Gerhard Pape, Göttingen / Irmtraut Pape, Göttingen / Ulrich Schmerbach, Göttingen

Aufruf zum Regierungsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vom 1. Juli 2020

Mit Datum vom 1. Juli 2020 liegt der Regierungsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vor. Mit diesem sollen die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) (ABl. L 172 vom 26. 6. 2019, S. 18; „Restrukturierungsrichtlinie“) umgesetzt werden.
Wir begrüßen uneingeschränkt, dass ein dreijähriges Restschuldbefreiungsverfahren für alle natürlichen Personen eingeführt werden soll. Bei dieser Verkürzung der Verfahrensdauer handelt es sich um eine rechtspolitische Aufgabe, die allgemein, nicht nur in den gegenwärtigen Corona-Zeiten von hoher sozialpolitischer Bedeutung ist. Wir begrüßen ebenso die geplante schnelle Umsetzung zum 1. Oktober 2020.
Gegen die mit dem Regierungsentwurf vorgesehenen Gesetzesänderungen bestehen aber teils erhebliche Bedenken. Die vorgeschlagenen Regelungen betreffen zum Teil grundlegende Prinzipien des geltenden Entschuldungsrechts, deren Änderungsbedarf sich weder aus dem Richtlinienumsetzungsauftrag, noch aus einem rechtspolitischen Bedürfnis ableiten lassen.
– Die Richtlinie sieht vor, dass insolvente Unternehmerinnen und Unternehmer Zugang zu mindestens einem Verfahren haben müssen, das ihnen eine volle Entschuldung nach spätestens drei Jahren ermöglicht. Die Richtlinie empfiehlt, die Bestimmungen auch auf Verbraucher anzuwenden.
Der Regierungsentwurf will die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens für Verbraucher bis zum 30. Juni 2025 befristen und eine Entfristung von einer Evaluation zum 30. Juni 2024 abhängig machen. Darin kommt ein vollkommen unangebrachtes Misstrauen gegenüber den Verbraucherrinnen und Verbrauchern zum Ausdruck. Es wird zudem eine soziale Differenzierung mit einer Tendenz zur Diskriminierung geschaffen. Und es ist auch durch nichts zu rechtfertigen, dass nach Auslaufen der allgemeinen Verkürzung auf drei Jahre Schuldner, die eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt haben, weiterhin nach drei Jahren von ihren geschäftlichen und privaten Schulden befreit werden sollen, während Verbraucher im Regelfall die Befreiung von ihren privaten Schulden erst nach sechs Jahren bekommen.
– Die Regelungen zu den Entschuldungsfristen, insbesondere zu den Übergangs- und Staffelungsfristen, werden durch die vorgeschlagenen Neuregelungen letztlich auch derart kompliziert und unverständlich, dass sie nicht nur für Gläubiger kaum noch nachvollziehbar sind, sondern dass sie auch für die gerichtlichen Hinweispflichten und die Beratungspraxis der Schuldnerberaterinnen und Schuldnerberater nicht mehr handhabbar sind. Die Regelungssystematik schwächt damit das Vertrauen in das Entschuldungsrecht insgesamt.
– Der Regierungsentwurf sieht vor, dass der Schuldner nunmehr während der Treuhandphase „keine unangemessenen Verbindlichkeiten“ begründen darf. Dieser Versagungsgrund der unangemessenen Verbindlichkeiten weist schon im geltenden Recht keine hinreichende und handhabbare Kontur auf. Die Probleme werden jetzt zusätzlich in die Treuhandphase transferiert.
– Nicht nachvollziehbar ist, warum das Gericht die Restschuldbefreiung von Amts wegen versagen soll, wenn ihm Verstöße gegen diese Obliegenheit bekannt werden. Dadurch wird ein Paradigmenwechsel im Entschuldungsrecht vollzogen, der nicht der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie geschuldet ist. In der Vergangenheit ist immer wieder aus gewichtigen Gründen eine Versagung der Restschuldbefreiung von Amts wegen abgelehnt worden.
Das Entschuldungsrecht wird sonst in Richtung eines Sanktions- und Bewährungsrechts entwickelt, anstatt die Eigenverantwortung der Schuldner zu fördern. Seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung besteht ein bewährtes und austariertes System zur Erlangung der Restschuldbefreiung und zur Verhinderung von Drehtüreffekten und leichtfertig wiederholten Inanspruchnahmen des Entschuldungsverfahrens. Die Wirkung ZVI 2020, Beilage zu Heft 7, S. 6der Restschuldbefreiung ist auf die zu Beginn des Verfahrens bestehenden Verbindlichkeiten beschränkt und erfasst neue, während des Verfahrens begründete Verbindlichkeiten nicht. Es liegt in der eigenen Verantwortung der Schuldnerinnen und Schuldner, neue Schulden möglichst zu vermeiden, weil sie nach einem durchlaufenden Verfahren einer Sperrfrist von zehn Jahren unterliegen, in der sie keine neue Entschuldung für neue Verbindlichkeiten bekommen können. Dafür, dieses System zu ändern, besteht kein Anlass und es kommt darüber hinaus auch den Neugläubigern wirtschaftlich nicht zugute, denn die Versagung der Restschuldbefreiung bewirkt nur, dass die Einzelvollstreckungen wieder möglich sind und damit der Gläubigerwettlauf wieder eröffnet ist, dann allerdings zusätzlich zu den Altgläubigern auch noch mit den Neugläubigern. Die Chancen der Neugläubiger, eine Befriedigung zu erlangen, werden sich dadurch verschlechtern.
Zudem ist die partielle Einführung eines amtswegigen Versagungsverfahrens ein Bruch mit den bewährten Grundsätzen des geltenden Entschuldungsrechts, für den ebenfalls keine Veranlassung besteht. Mit dem Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren sind die wirtschaftlichen Belange der Gläubiger betroffen. Es ist systemkonsequent, ihnen die Entscheidung darüber zu überantworten, ob der Schuldner bei Verstößen gegen Obliegenheiten eine Restschuldbefreiung bekommen soll oder nicht. Dabei sollte es bleiben. Zudem wird das gesamte System des Entschuldungsverfahrens gerade auch für die Gläubiger unverständlich, wenn es ein Mischsystem von Versagungsantragsrecht und amtswegiger Versagung wird. Die Gläubigerrechte werden dadurch letztlich geschwächt und nicht gestärkt.
– Als neue Obliegenheit in der Treuhandphase soll der Schuldner nunmehr verpflichtet werden, auch Vermögen, das er als Gewinn in einer Lotterie, Ausspielung oder in einem anderen Spiel mit Gewinnmöglichkeit erwirbt, herauszugeben. Die Frage, ob solche Fälle eine Relevanz haben und ob entsprechende Regelungen notwendig sind, ist bereits vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung diskutiert und seinerzeit zu Recht verneint worden. Es sind seitdem auch keine Fälle bekannt geworden, in denen dies eine Rolle gespielt hat. Die Entwurfsbegründung bleibt jegliche Darstellung der praktischen Relevanz für die Neuregelung schuldig. Zudem könnten bereits in Bagatellfällen, wie einem nicht angegebenen Lotteriegewinn auf einem Straßenfest, ein Versagungsgrund bestehen.
– Der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz für die Reform des Restschuldbefreiungsverfahrens vom 13. Februar 2020 sah noch eine Verkürzung der Speicherfrist der Restschuldbefreiung als Negativmerkmal in Wirtschaftsauskunfteien vor. Hierdurch sollte der wirtschaftliche Neuanfang für Verbraucher und Unternehmer erleichtert werden. Es ist unverständlich, weshalb das im seinerzeitigen Entwurf ausdrücklich als Erschwernis für den wirtschaftlichen Neustart von Schuldnerinnen und Schuldnern beschriebene Problem nunmehr wieder aus den Regelungen verschwunden ist und die längst fällige Entscheidung in das Evaluationsverfahren verlagert werden soll.
– Eine Verlängerung der Entschuldungsfrist im Wiederholungsfall auf eine elfjährige Verfahrenssperre und fünfjährige Verfahrensdauer ist weder angezeigt noch sinnvoll. Es gibt keine ökonomisch validen Informationen darüber, dass die Ursache einer erneuten Insolvenz leichtfertiges oder unverantwortliches Handeln darstellt. Deswegen ist eine verlängerte Verfahrensdauer unangemessen und eine zehnjährige Verfahrenssperre ausreichend. Eine Wartefrist von sechszehn Jahren bis zu einer zweiten Entschuldung widerspricht massiv dem Interesse der öffentlichen Hand, überschuldete Personen möglichst schnell in den regulären Arbeits- und Gewerbemarkt zurückzuführen.
Wir fordern die Rechtspolitiker auf, diese gravierenden Bedenken gegen den Entwurf zu berücksichtigen und im parlamentarischen Verfahren entsprechende Änderungen vorzunehmen.
7. 7. 2020
Weitere Unterzeichner: Prof. Dr. Hans Haarmeyer, Bonn; Prof. Dr. Andreas Rein, Ludwigshafen; Guido Stephan, Reinheim; Jochen Waltenberger, Kaiserslautern; Prof. Dr. Markus Gehrlein, Karlsruhe; Dr. Daniel Blankenburg, Hannover; Kai Henning, Dortmund; Dr. Peter Laroche, Köln; Hildegard Allemand, Köln; Prof. Dr. Stephan Madaus, Halle; Prof. Dr. Nicole Reill-Ruppe, Erfurt; Dirk Teller, Syke; Alexander Geyer, Aurich; Christine Mansius, Alfeld; Christoph Zerhusen, Düsseldorf; Alexander Elbers, Dortmund; Dr. Marc Hirschmann, Aurich; Praxedis Möhring, Karlsruhe; Dr. Claudia R. Cymutta, Mannheim; Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Gottwald, Regensburg; Frank Lackmann, Bremen; Michael Dahl, Köln; Roman Schlag, Aachen; Marion Kemper, Bottrop; Ines Moers, Berlin, Erika Schilz, München; Klaus Hofmeister, München; Wolfgang Lippel, Nienburg; Matthias Butenob, Hamburg; Thomas Bode, Göttingen; Sebastian Harder, Köln; Réka Lödi, Rendsburg; Helmut Zipperer, Mannheim; Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung e. V. (BAG-SB), Berlin
Weitere Unterzeichner, die diesen Aufruf unterstützen möchten, sind herzlich eingeladen, sich bei den in der Kopfzeile aufgeführten Initiatoren zu melden.

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