ZVI 2019, 441

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2019 EditorialMartin Ahrens

10 Jahre § 850i ZPO n. F.

Durch das Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes vom 7. 7. 2009 (BGBl I, 1707) ist zum 1. 7. 2010 die Regelung des § 850i ZPO grundlegend umgestaltet worden. Die novellierte Vorschrift enthält jetzt Bestimmungen über den Pfändungsschutz bei nicht wiederkehrend zahlbaren Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste sowie für sonstige Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind. Ein wesentliches Ziel der vor zehn Jahren verabschiedeten Novelle bestand darin, den Pfändungsschutz für den Erwerb von Selbstständigen an das Schutzniveau für das Arbeitseinkommen aus den §§ 850 ff. ZPO anzunähern. Besondere Bedeutung besitzt deswegen die Auffangregelung des § 850i Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO, die u. a. den Vollstreckungsschutz für die Einkünfte von Selbstständigen normiert (Ahrens, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 11. Aufl., § 850i Rz. 1).
Wie nicht anders zu erwarten, hat es anfangs noch etwas gedauert, bis die ersten Verfahren den BGH erreicht haben. Seit nunmehr rund fünf Jahren besitzen indessen die in steigender Frequenz ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen zu § 850i Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO eine herausragende vollstreckungsrechtliche Bedeutung. Vor allem die Rechtsprechung des IX. Zivilsenats, aber auch des VII. Zivilsenats, hat das grundlegende Verständnis der Norm geprägt. Gerade das Merkmal der sonstigen Einkünfte und damit der Pfändungsschutz für die Einkünfte von Selbstständigen ist dadurch in wesentlicher Hinsicht aus- und teilweise auch umgeformt worden.
Am Ausgangspunkt der dynamischen Rechtsprechungsentwicklung zum Verständnis der Norm steht die grundlegende Entscheidung des IX. Zivilsenats des BGH vom 26. 6. 2014. Darin lehnte der Senat eine Engführung des Tatbestands von § 850i Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO ab, durch die Einkünfte aus Vermögen, Kapitalerträgen und -tilgungsleistungen, Entgelte für Veräußerung privater Vermögensgegenstände, Entgelte für Überlassung einer Sache etc. von einem Pfändungsschutz ausgenommen wären. Nach diesem Beschluss können auf Antrag auch die genannten und damit sämtliche selbstständig erwirtschafteten Einkünfte in einer dem Arbeitseinkommen vergleichbaren Weise geschützt werden (BGH ZVI 2014, 416, Rz. 8 ff.).
In wichtigen Einzelheiten ist diese Kategorie der selbstständig erwirtschafteten Einkünfte, also des Erwerbseinkommens, zwischenzeitlich vom BGH ausgeformt worden. Im vollen Umfang pfändungsgeschützt sind dabei Einkünfte des Selbstständigen, aber auch sämtlicher anderer Personen, aus dem Einsatz der eigenen Arbeitskraft.
Sonstige selbst erwirtschaftete Einkünfte sollen nach der Judikatur des IX. Zivilsenats allerdings nur soweit geschützt werden können, um dem Schuldner ein unpfändbares Einkommen in Höhe der Grundfreibeträge nach § 850c Abs. 1, Abs. 2a ZPO zu sichern. Sofern der Schuldner aus anderen Quellen ein pfändungsfreies Einkommen in dieser Höhe besitzt, sollen die sonstigen selbst erwirtschafteten Einkünfte nicht für unpfändbar erklärt werden können (BGH ZVI 2016, 291, Rz. 14). Damit unterliegt die Gleichstellung der Einkünfte eines Selbstständigen mit dem Arbeitseinkommen einer zusätzlichen Grenze. Diese nicht aus dem Gesetzestext abzuleitende Zwischenkategorie hat der Senat in einer autonomen Würdigung der gesetzgeberischen Interessenbeurteilung entwickelt. ZVI 2019, 442Letztlich ist dieser eingeschränkte Pfändungsschutz der sonstigen selbst erwirtschafteten Einkünfte als Korrektur des weitgefassten Anwendungsbereichs von § 850i Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO zu verstehen.
Zu diesen sonstigen selbst erwirtschafteten Einkünften mit einem auf den Grundfreibetrag begrenzten Pfändungsschutz zählt der IX. Zivilsenat Einkünfte aus sogenannter kapitalistischer Tätigkeit, etwa aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung, aber auch Werklohnansprüche und Verkaufserlöse, solange die Einkünfte selbst erzielt, also eigenständig erwirtschaftet sind (BGH ZVI 2018, 482, Rz. 10). Dieser Pfändungsschutz umfasst auch Einkünfte aus Miete und Pacht (BGH ZVI 2014, 416, Rz. 8 f.; BGH ZVI 2018, 290, Rz. 7). Gleiches gilt für Ansprüche auf Erbbauzinsen aus ererbten Grundstücken (BGH ZVI 2018, 482, Rz. 12). Erst jüngst hat der Senat Kaufpreisraten aus veräußerten Geschäftsanteilen an einer GmbH ebenfalls als sonstige selbst erwirtschaftete Einkünfte behandelt (BGH v. 26. 9. 2019 – IX ZB 21/19, ZVI 2019, 475, Rz. 8, 10 (in diesem Heft); BGH v. 12. 9. 2019 – IX ZB 56/18, ZVI 2019, 483 (in diesem Heft)). Dabei hat sich der VII. Zivilsenat der Rechtsprechung des Insolvenzrechtssenats bereits frühzeitig angeschlossen und den Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte auf Einnahmen aus Untervermietung angewendet (BGH ZVI 2015, 388, Rz. 9). Soweit ersichtlich hat der Zwangsvollstreckungssenat noch nicht über die vom IX. Senat eingefügte Zwischenkategorie entschieden, doch ist zu erwarten, dass er sich dem anschließen wird.
Nicht pfändungsgeschützt sind zufällige bzw. vom Schuldner nicht gesteuerte Erwerbsvorgänge. Zu ihnen gehören etwa Pflichtteilsansprüche (BGH ZVI 2016, 291, Rz. 24). Auch bei einem Kautionsrückzahlungsanspruch handelt es sich nach Ansicht des BGH um keine vom Schuldner erwirtschaftete Leistung des Vermieters, sondern um die Rückgewähr einer zuvor erbrachten Mietsicherheit (BGH ZVI 2019, 199, Rz. 16 f.). Bezugspunkt des Pfändungsschutzes ist also nicht, ob der zu beurteilende Anspruch auf einem früheren erwerbswirtschaftlichen Vorgang beruht, sondern wie die konkrete Leistungsbeziehung zu beurteilen ist.
Mit diesen Entscheidungen sind die Strukturen von § 850i Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO in wesentlicher Hinsicht ausgeformt. Offen sind jetzt vor allem noch die weiteren Kriterien des Pfändungsschutzes. Insbesondere fehlen für die Praxis noch höchstrichterliche Leitlinien zur Bemessung der unpfändbaren Beträge bei Einmalzahlungen. Auch bleibt die Abwägung zwischen den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners und den Belangen der Gläubiger zu konturieren.
Prof. Dr. Martin Ahrens, Universität Göttingen

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