ZVI 2019, 249

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2019 EditorialAndreas Schmidt

Drei Null Zwei

Eine Checkliste für den Umgang mit sog. „Attributsforderungen“ bei der Anmeldung

§ 302 InsO ist ohne Frage eine wichtige Norm. Sie regelt, welche Forderungen nicht an der Restschuldbefreiung teilnehmen. Sie wurde durch das „Gesetz zur Verkürzung der Restschuldbefreiung und zur Stärkung der Gläubigerrechte“, das zum 1. 7. 2014 in Kraft getreten ist, erweitert, und zwar um Forderungen und um Forderungen aus dem Steuerschuldverhältnis bei rechtskräftiger Verurteilung des Schuldners wegen einer Steuerstraftat. In der Praxis spielen diese beiden Forderungsarten nach wie vor nur eine untergeordnete Rolle. Das Hauptaugenmerk gilt nach wie vor den deliktischen Forderungen, also denen aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. Glaubt man den Berichten der Insolvenzverwalter- und der Rechtspflegerschaft, so dürften Forderungen gem. § 302 InsO in etwa jedem dritten bis vierten Privatinsolvenzverfahren eine Rolle spielen.
Die praktische Relevanz ist also enorm. Umso verwunderlicher ist es, dass häufig Fehler im Zusammenhang mit der Handhabung der Norm auftreten. Die nachfolgende Checkliste soll dabei helfen, derartige Fehler künftig zu vermeiden.
Fehlerquelle 1: In welchen Verfahren können überhaupt Forderungen gem. § 302 InsO angemeldet werden?
Die Frage erscheint zunächst banal. § 302 InsO regelt, welche Forderungen von der Restschuldbefreiung ausgenommen werden, wie bereits erwähnt. Das bedeutet: Nur dann, wenn der Schuldner Restschuldbefreiung erlangen kann, kommt eine entsprechenden Forderungsanmeldung in Betracht. Im Normalfall bedeutet dies, dass das Insolvenzverfahren auf einen eigenen Insolvenzantrag des Schuldners hin eröffnet worden ist, und dass der Schuldner einen zulässigen (§ 287a Abs. 2 InsO; dazu noch unten) Restschuldbefreiungsantrag gestellt hat.
Echte Stockfehler treten nur ganz selten auf. Es kommt aber tatsächlich hin und wieder vor, dass in Verfahren über das Vermögen etwa einer GmbH, einer UG oder eines e. V. auf § 302 InsO gestützte Forderungsanmeldungen beim Insolvenzverwalter eingehen. Selbstverständlich ist der Insolvenzverwalter gehalten, dem anmeldenden Gläubiger mitzuteilen, dass eine derartige Forderungsanmeldung nur statthaft ist, wenn es sich um ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person handelt. Fast immer wird es sich dabei um ein offensichtliches Versehen des anmeldenden Gläubigers handeln, welches u. U. darauf zurückzuführen ist, dass dieser Gläubiger regelmäßig gem. § 302 InsO anzumelden pflegt, wie dies bei vielen Trägern der Sozialversicherung, aber auch bei einigen – mittlerweile gerichtsbekannten – privaten Unternehmen Usus geworden ist. Verwunderlich wird es dann, wenn der Insolvenzverwalter die Forderung als deliktisch einordnet und seine Tabelle mit einer entsprechenden Kennzeichnung an das Insolvenzgericht weiterleitet. Dies darf eigentlich bei einem professionellen aufgestellten Insolvenzverwalterbüro nicht vorkommen.
Aber das ist erst der Anfang. Wie ist es, wenn es sich um eine Privatinsolvenz handelt, die ausschließlich auf einen Gläubigerantrag hin eröffnet worden ist? Auch dann ist eine Anmeldung gem. § 302 InsO grundsätzlich nicht statthaft, und es ist die Aufgabe des Insolvenzverwalters, eine derartige Forderungsanmeldung hinsichtlich des angemeldeten Attributes zurückzuweisen. Dies passiert vergleichsweise oft nicht; stattdessen wird die Tabelle auch hier mit einer Kennzeichnung gem. § 302 InsO weitergeleitet. Der Eindruck, der beim Insolvenzgericht entsteht, ist auch hier negativ, da ein solcher Fehler sicherlich eine zumindest unsorgfältige Sachbearbeitung indiziert. Gleichwohl gilt es, gerade in dieser Konstellation besonders aufzupassen. Ausnahmsweise kommt nämlich doch eine Forderungsanmeldung gem. § 302 InsO in Betracht: Das Verfahren wird ausschließlich auf einen Gläubigerantrag hin eröffnet. Einen Restschuldbefreiungsantrag kann der Schuldner grundsätzlich nur stellen, wenn er auch einen eigenen Insolvenzantrag gestellt hat. Dies ist aber nach Eröffnung nicht mehr möglich. Allerdings erkennt ZVI 2019, 250die Rechtsprechung dann die Möglichkeit eines isolierten Restschuldbefreiungsantrags an, wenn der Schuldner vom Insolvenzgericht nicht ordnungsgemäß über die Möglichkeit eines eigenen Insolvenzantrages und eines Restschuldbefreiungsantrages belehrt worden ist, § 20 Abs. 2 InsO (dazu LG Frankenthal, ZVI 2019, 261 (in diesem Heft); eingehend HambKomm-Herchen, InsO, 7. Aufl., 2019, § 20 Rz. 14 ff.). Praxistipp: Auch in dieser (Ausnahme-)Konstellation sollte der Insolvenzverwalter eine auf § 302 InsO gestützte Forderungsanmeldung hinsichtlich des Attributes zunächst zurückweisen. Sollte tatsächlich ein isolierter Restschuldbefreiungsantrag zulässig sein, so wird das Insolvenzgericht die Gläubiger, die Forderungen angemeldet haben, davon in Kenntnis setzen und diesen Gelegenheit geben, das Attribut ggf. nachzumelden; dies ist zulässig (BGH ZVI 2008, 116; AG Hamburg ZVI 2005, 41; zum Ganzen HambKomm-Preß/Henningsmeier, InsO, 7. Aufl., 2019, § 178 Rz. 20).
Fehlerquelle 2: Wann ist bei einer auf § 302 InsO gestützten Forderungsanmeldung Tatsachenvortrag erforderlich, wann reicht die Einreichung eines Titels?
Die Antwort auf die gestellte Frage ist einfach: Es ist immer Tatsachenvortrag erforderlich (§ 174 Abs. 2 InsO), ausnahmslos (so auch zutreffend Schinkel, ZVI 2019, 251, in diesem Heft). Das bedeutet, dass der anmeldende Gläubiger den Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in seiner Anmeldung so beschreiben muss, dass der aus ihm hergeleitete Anspruch in tatsächlicher Hinsicht zweifelsfrei bestimmt werden und der Schuldner erkennen kann, welches Verhalten ihm vorgeworfen wird (BGH ZVI 2014, 105). Dabei ist es erforderlich, jedes Tatbestandsmerkmal der unerlaubten Handlung mit Tatsachen zu unterlegen. Etwas einfacher ausgedrückt: Es ist schlüssiger Tatsachenvortrag erforderlich. Kommt der anmeldende Gläubiger dem auch nach einem entsprechenden Hinweis des Insolvenzverwalters nicht nach, so ist die Anmeldung hinsichtlich des Attributes zurückzuweisen. – Das Vorliegen eines Titels spielt für die Forderungsanmeldung keine Rolle, sondern ist nur im Rahmen eines etwaigen Feststellungsrechtsstreits zwischen Gläubiger und Schuldner relevant, § 184 InsO. Konkret geht es dabei um die Frage, welche Anforderungen ein Titel erfüllen muss, um die Feststellungslast für den Schuldner zu begründen, § 184 Abs. 2 InsO (vgl. dazu eingehend HambKomm-Herchen, a. a. O., § 184 Rz. 11 ff.).
Fehlerquelle 3: Wie ist mit auf § 302 InsO gestützten Forderungsanmeldungen in einem Zweitinsolvenzverfahren umzugehen?
Hier lautet die Antwort: Es kommt darauf an. Zu unterscheiden sind mehrere Szenarien.
Im ersten Szenario ist dem Schuldner im Rahmen seines ersten Insolvenzverfahrens die Restschuldbefreiung erteilt oder versagt worden. Im Rahmen eines eröffneten zweiten Insolvenzverfahrens kommt es für die Statthaftigkeit einer auf § 302 InsO gestützten Forderungsanmeldung nun darauf an, ob der Schuldner einen zulässigen Restschuldbefreiungsantrag gestellt hat. Dies wiederum regelt § 287a Abs. 2 InsO, und zwar – nach sicherlich herrschender und auch richtiger, aber nicht ganz unbestrittener Meinung – abschließend. Regelmäßig wird das Insolvenzgericht den Schuldner im Rahmen seines zweiten Insolvenzantrages entsprechend hingewiesen haben; der Insolvenzverwalter kann und sollte sich daran orientieren.
Im zweiten Szenario handelt es sich beim dem zweiten Insolvenzverfahren um ein Insolvenzverfahren über die im Rahmen des ersten Insolvenzverfahrens gem. § 35 Abs. 2 InsO freigegebene selbstständige Tätigkeit des Schuldners. In einem derartigen Insolvenzverfahren, bei dem es sich um ein Verfahren über ein Sondervermögen (und nicht um ein solches über das Vermögen einer natürlichen Person) handelt, kommt die Erteilung der Restschuldbefreiung generell nicht Betracht. Dementsprechend sind auf § 302 InsO gestützte Forderungsanmeldungen ausnahmslos vom Insolvenzverwalter hinsichtlich des Attributes zurückzuweisen.
Das dritte Szenario schließlich betrifft den in jüngster Zeit zunehmend auftretenden Fall, dass die Forderungsanmeldung im zweiten Insolvenzverfahren unterlegt wird mit dem Tabellenauszug aus dem ersten Insolvenzverfahren; aus diesem Tabellenauszug geht hervor, dass die Forderung gem. § 302 InsO festgestellt worden ist. Auch hier gilt: Bei der (zweiten) Forderungsanmeldung ist zunächst (erneut) Tatsachenvortrag erforderlich (so auch Schinkel, in: A. Schmidt, Privatinsolvenzrecht, 2018, § 302 Rz. 48). Unter welchen Voraussetzungen dann der Schuldner im Rahmen eines Feststellungsrechtsstreits gem. § 184 Abs. 2 InsO die (Rechtskraft-)Wirkung der ersten Feststellung zur Tabelle beseitigen kann, ist – soweit ersichtlich – noch nicht abschließend entschieden. M. E. muss es dem Schuldner möglich sein, die Wirkung der ersten Feststellung zur Tabelle im Zweitverfahren zu beseitigen. Andernfalls könnte der Schuldner sich überhaupt nicht von einer einmal entsprechend festgestellten Forderung befreien; die Zehn-Jahres-Sperre des § 287a Abs. 2 Nr. 1 InsO würde so unterlaufen werden. Ob und unter welchen Voraussetzungen aber die Beseitigung der ersten Feststellung zur Tabelle möglich ist, ist soweit ersichtlich noch nicht entschieden. Hier gilt es, die weitere Entwicklung der Rechtsprechung im Auge zu behalten.
Dr. Andreas Schmidt, Hamburg

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell