ZVI 2018, 341

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2018 EditorialAndreas Schmidt

Anmerkungen zur Praxis des schriftlichen Verfahrens, § 5 Abs. 2 InsO

I. Schriftliches Verfahren und Zustimmungsfiktion

Auch die Abschaffung der Rangklassen der Gläubiger durch die InsO hat die Gläubigerbeteiligung gerade bei kleineren Insolvenzverfahren und zumeist geringen Quotenaussichten nicht beleben können. Mangels Gläubigerpräsenz ist häufige Folge die Beschlussunfähigkeit der Versammlung, sodass dem Insolvenzverwalter erforderliche Zustimmungen versagt bleiben. Eingefügt worden ist daher durch das InsOÄndG 2007 mit § 160 Abs. 1 Satz 3 die Kompetenz des Insolvenzverwalters zur Vornahme bedeutsamer Rechtshandlungen, wenn kein Gläubigerausschuss bestellt ist und die einberufene Gläubigerversammlung beschlussunfähig ist. Beschlussunfähigkeit liegt vor, wenn trotz ordnungsgemäßer Einladung mit Hinweis auf die Folgen der Kompetenzverlagerung auf den Insolvenzverwalter keine Beschlussfassung (§ 76 Abs. 2) möglich ist, weil kein stimmberechtigter Gläubiger (§ 77 Abs. 1) erscheint. Die ergänzende Neuregelung des § 160 Abs. 1 Satz 3 InsO durch das InsOÄndG 2007 beendete die unklare Rechtslage und den Meinungsstreit, wie in solchen Fällen zu verfahren sei zugunsten der Auffassung, die im Nichterscheinen der Gläubiger eine Zustimmung zum Handeln des Verwalters sieht. Die eingeführte gesetzliche Fiktion einer erteilten Zustimmung beschleunigt die Verfahrensabwicklung, ermöglicht die zügige Wahrnehmung von Sanierungschancen, vermeidet Kompetenzstreitigkeiten und ermöglicht dem Insolvenzverwalter bedeutsame Verwertungsmaßnahmen auch ohne die haftungsgeneigte Berufung auf die Zulässigkeit im Außenverhältnis. Der Insolvenzverwalter muss sich später, insb. bei einer Entscheidung mit prognostischen Unsicherheitsmomenten, nicht entgegenhalten lassen, er habe im Innenverhältnis zu den Gläubigern trotz verwehrter weil unterbliebener Zustimmung agiert. Trotz der Zustimmungsfiktion bleibt es aber selbstverständlich dabei, dass er nach pflichtgemäßem Ermessen bestmöglich zu entscheiden bzw. zu verwerten hat und sich bei Pflichtverletzungen gem. § 60 haftbar macht (zum Ganzen HambKomm-Decker, InsO, 6. Aufl., 2017, § 160 Rz. 3).
Die Einladung zur Gläubigerversammlung soll einen Hinweis auf die Fiktion enthalten. Nach einer Auffassung soll sich die fingierte Zustimmung nur auf bestimmte, in der Ladung bereits konkret dargestellte Anträge beziehen können (so Braun/Esser, InsO, 7. Aufl., 2017, § 160 Rz. 6). Dies widerspräche zum einen den Zielvorgaben der Verfahrensbeschleunigung, wenn sich im Zeitraum zwischen Ladung und Versammlung der entscheidungsrelevante Sachverhalt ändert. Zum anderen entstünde möglicherweise Streit über die hinreichende inhaltliche Konkretheit des Antragssachverhalts und damit verbliebe Kompetenzunklarheit. Wesentlich ist, dass die Tagesordnung die Beschlussgegenstände zumindest schlagwortartig bezeichnet, damit Beschlüsse wirksam sind (BGH ZIP 2008, 1030, dazu EWiR 2008, 373 (Blank); BGH ZVI 2011, 324; HambKomm-Decker, a. a. O., § 160 Rz. 3).
Im schriftlichen Verfahren nach § 5 Abs. 2 InsO soll nach einer Auffassung die Zustimmung über die Fiktion nicht erreicht werden können (FK-Wimmer, InsO, 9. Aufl., 2018, § 160 Rz. 6), da in diesen Verfahren auf eine Beschlussfassung der Gläubiger verzichtet werde. Eine schriftliche Beschlussfassung, gleichsam im Umlaufverfahren, sei nur in den gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen (§ 242 InsO) zulässig. Ergebe sich in einem schriftlich ange-ZVI 2018, 342ordneten Verfahren die Notwendigkeit der Genehmigung einer bedeutsamen Rechtshandlung, müsse das Insolvenzgericht nach § 5 Abs. 2 Satz 3 InsO das schriftliche Verfahren aufheben. Diese Auffassung ist m. E. zu überdenken. In der Praxis, u. a. auch beim Insolvenzgericht Hamburg, ist zu beobachten, dass auch im Rahmen eines schriftlichen Verfahrens den Gläubigern die „Tagesordnung“ zugestellt wird, verbunden mit dem Hinweis auf die Zustimmungsfiktion, falls kein Widerspruch eingehe. Eine ordnungsgemäße Information über die Frist und die Möglichkeit zum Widerspruch findet also auch im schriftlichen Verfahren statt, so dass m. E. einer (analogen) Anwendung des § 160 Abs. 1 Satz 3 InsO nichts im Wege steht. Liegt hingegen ein Widerspruch eines Gläubigers vor, so entspricht es jedenfalls Hamburger Praxis, sodann das schriftliche Verfahren aufzuheben. Dies ist auch geboten, weil eine Abstimmung, ggf. mit einer vorhergehenden Entscheidung über die Festsetzung der Stimmrechte, im Rahmen eines schriftlichen Verfahrens nicht durchgeführt werden kann.

II. Schriftliches Verfahren und Vergütung

Das schriftliche Verfahren erfreut sich bei vielen Insolvenzgerichten hoher Beliebtheit. Die Praxis verfährt dabei meistens so, dass der Sachverständige bzw. vorläufige Insolvenzverwalter in seinem Gutachten eine Einschätzung abgibt: „Das Verfahren eignet sich für das schriftliche Verfahren, § 5 Abs. 2 InsO.“ Lautet die Einschätzung hingegen, dass keine Eignung vorliege, so soll es Gerichte geben, die dann bei dem Insolvenzverwalterbüro nachfassen und darum bitten, diese Einschätzung noch einmal zu überdenken. So kommt es, dass sogar mittlere Verfahren nicht selten im schriftlichen Verfahren abgewickelt werden. Viele Insolvenzverwalter beklagen, dass sie kaum noch bei Gericht sind und viele Rechtspfleger überhaupt nicht kennen. Schon dies erscheint bedenklich, weil eine sinnvolle Rechtsaufsicht so erschwert wird.
Diese Praxis ist aber auch aus rechtlichen Gründen zu kritisieren. Die Frage, ob ein Insolvenzverfahren für das schriftliche Verfahren geeignet ist, steht weder im Belieben des Insolvenzverwalters noch des Insolvenzgerichts. Die Kommentarliteratur geht ganz überwiegend davon aus, dass überschaubare Vermögensverhältnisse i. S. d. § 5 Abs. 2 InsO nur dann vorliegen, wenn keine erörterungsbedürftigen Forderungen gem. § 302 InsO und keine komplexen Anfechtungstatbestände bestehen. Eine geringe Höhe der Verbindlichkeiten i. S. d. § 5 Abs. 2 InsO liegt nur dann vor, wenn diese 25.000 € nicht übersteigen (etwa: HambKomm-Rüther, InsO, 6. Aufl., 2017, § 5 Rz. 34).
Besonders relevant in diesem Kontext ist zudem § 3 Abs. 2 Buchst. e InsVV. Danach ist ein Abschlag auf die Vergütung vorzunehmen, wenn die Vermögensverhältnisse überschaubar sind – die dortige Formulierung deckt sich mit dem Wortlaut des § 5 Abs. 2 InsO. Das AG Hamburg hat in den Leitsätzen seines Beschlusses vom 17. 5. 2018 ausgeführt (ZVI 2018, 260): „Die Durchführung des schriftlichen Verfahrens (§ 5 Abs. 2 InsO) kommt in einem Regelinsolvenzverfahren nur in Betracht, wenn die Vermögensverhältnisse überschaubar sind. Dies bedeutet regelmäßig, dass die Höhe der Verbindlichkeiten unter 25.000  liegt, weniger als 20 Gläubiger vorhanden sind, und dass keine komplexeren Insolvenzanfechtungs- bzw. Haftungsansprüche gegen Geschäftsführer, Gesellschafter oder Berater in Rede stehen. Der Sachverständige, der im Rahmen seines Eröffnungsgutachtens die Durchführung des schriftlichen Verfahrens anregt, ist gehalten, bei der Frage nach der Verfahrenskostendeckung nicht 100 % der Regelvergütung als Insolvenzverwalter anzusetzen, sondern lediglich 60 %, da regelmäßig von einem Abschlag gem. § 3 Abs. 2 Buchst. e InsVV i. H. v. 40 % auszugehen ist (Anschluss an BGH ZVI 2017, 396).“
Dies hat am Standort Hamburg – erstaunlicherweise – dazu geführt, dass seitens der Verwalterschaft in Regelinsolvenzverfahren nicht mehr regelhaft, sondern nur noch höchst selten die Durchführung des schriftlichen Verfahrens angeregt wird. Gut so!
Dr. Andreas Schmidt

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