ZVI 2016, 45

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH, Köln 1619-3741 Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht ZVI 2016 Editorial

Vorwirkung – Nachwirkung: Ein Plädoyer für eine Neuausrichtung

Durch die Einführung des § 287a Abs. 2 InsO hat der Gesetzgeber der „Sperrfrist“- bzw. Nachwirkungsrechtsprechung des BGH eine klare Absage erteilt. Der BGH hatte beispielsweise – all das ist hinlänglich bekannt – sowohl dem Schuldner, dem im ersten Verfahren die Restschuldbefreiung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO versagt worden war, als auch dem Schuldner, dessen erster Insolvenzantrag aufgrund eingetretener Rücknahmefiktion (§ 305 Abs. 3 Satz 2 InsO) als zurückgenommen galt, mit einer dreijährigen Sperrfrist sanktioniert. Dem ist der Gesetzgeber für den zuletzt genannten Fall, in dem es nicht um Unredlichkeit, sondern vielmehr um eine bloße Nachlässigkeit des Schuldners geht, mit recht deutlichen Worten nicht gefolgt. Der Katalog des § 287a Abs. 2 InsO ist vielmehr – so jedenfalls die mittlerweile ganz vorherrschende Meinung – abschließend.
Zugegeben, bei mancher Konstellation sträuben sich dem ein oder anderen gelegentlich die Haare. Soll ein Schuldner, dem die Restschuldbefreiung gerade eben erst gem. § 298 InsO (Nichtzahlung der Mindestvergütung des Treuhänders) versagt worden ist, gewissermaßen am nächsten Tag schon wieder einen neuen Insolvenzantrag nebst Restschuldbefreiungs- und Stundungsantrag stellen dürfen? Oder der Schuldner, der angesichts der drohenden Versagung der Restschuldbefreiung schnell noch seinen Restschuldbefreiungsantrag zurücknimmt, um sodann eine Woche später erneut Insolvenzantrag zu stellen, selbstverständlich auch hier flankiert von seinem (zweiten) Restschuldbefreiungsantrag und seinem (zweiten) Stundungsantrag? M. E. können diese Fälle mit Hilfe allgemeiner Rechtsinstitute gelöst werden, insbesondere dürfte in Konstellationen wie der zuletzt genannten, die evident rechtsmissbräuchlich erscheinen, eine Unzulässigkeit des Restschuldbefreiungsantrages (und damit auch des Stundungsantrages, § 4a Abs. 1 Satz 1 InsO) in Betracht kommen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass es der Rechtsprechung recht bald gelingen wird, wertungssicher entsprechende Fallgruppen herauszuarbeiten. Das Problem der Nachwirkung könnte so gelöst werden.
Wie sieht es mit der so genannten Vorwirkungsrechtsprechung aus? Damit ist die Rechtsprechung des BGH zur Stundung gemeint, die davon ausgeht, dass dem Schuldner dann, wenn ein Restschulbefreiungsversagungsgrund „zweifelsfrei“ vorliegt, keine Stundung zu bewilligen bzw. eine bewilligte Stundung aufzuheben sei, da dieser Schuldner sein Verfahrensziel, nämlich die Erteilung der Restschuldbefreiung, prognostisch nicht erreichen könne. Auch hier gibt es in der Praxis Konstellationen, die dem ein oder anderen überhaupt nicht passen.
Da ist der Schuldner, der hartnäckig gegen seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten (§ 97 InsO) verstößt und – wenn überhaupt – nur unter Zuhilfenahme von Zwangsmitteln die eine oder andere verfahrensrelevante Information herausrückt (zweifelsfrei § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Oder der Schuldner, der noch kurz vor Toresschluss sein restliches Vermögen auf den Kopf gehauen hat (zweifelsfrei § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Gewährt man diesen Schuldnern nun keine Stundung, so kommt dies häufig faktisch einer Versagung der Restschuldbefreiung von Amts wegen gleich. Denn dem mittellosen Schuldner bleibt dann mangels gedeckter Kosten des Verfahrens (§ 54 InsO) der Zugang zum Insolvenzverfahren und damit zur Erteilung der Restschuldbefreiung verwehrt. Erste Praxiserfahrungen (vgl. ZVI 2016, 46dazu AG Hamburg, Beschl. v. 18. 12. 2015 – 67g IN 357/14, ZVI 2016, 79 (in diesem Heft); vgl. aber auch AG Hannover, Beschl. v. 28. 9. 2015 – 909 IK 1072/15, ZVI 2016, 77 (ebenfalls in diesem Heft)) zeigen indes: Wendet man die besagte Vorwirkungsrechtsprechung nicht an und ermöglicht auch diesen Schuldnern durch die Bewilligung der Stundung der Verfahrenskosten den Zugang zum Insolvenzverfahren, so stellt gleichwohl kaum einmal ein Gläubiger einen Restschuldbefreiungsversagungsantrag, obwohl dies jedem Gläubiger nunmehr unmittelbar nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens möglich ist (§ 290 Abs. 2 InsO n. F.) und nicht mehr bis zum Schlusstermin abgewartet werden muss (§ 290 Abs. 2 InsO a. F.)
Diese ersten – sicherlich empirisch noch nicht belastbaren – Erfahrungen zeigen, dass vieles dafür spricht, dass die Prämisse des BGH, der Schuldner könne die Erteilung der Restschuldbefreiung prognostisch nicht erlangen, in dieser Allgemeinheit keineswegs zutrifft. Häufig wünschen die Gläubiger sogar die Restschuldbefreiung – so geschildert im Rahmen einer Diskussion beim letztjährigen Deutschen Privatinsolvenztag in Göttingen; dies nicht etwa von einem Schuldnerberater, sondern von keinem geringeren als Ulrich Jäger, seines Zeichens nicht nur geschätzter Mitherausgeber dieser Zeitschrift, sondern als Inkasso-Mann klar im Lager der Gläubiger anzusiedeln. M. E. spricht vieles dafür, auch die Vorwirkungsrechtsprechung zu überdenken. Der Gesetzgeber wollte keine Versagung der Restschuldbefreiung von Amts wegen. Die Vorwirkungsrechtsprechung aber wirkt sich für mittellose Schuldner eben genauso aus. Es ist ausschließlich Sache der Gläubiger, einen Restschuldbefreiungsversagungsantrag zu stellen oder es sein zu lassen. Dieses Ergebnis deckt sich zudem mit der Situation, wie wir sie bei der Anmeldung von ausgenommenen Forderungen (§ 302 InsO) kennen und für selbstverständlich halten: Es ist auch hier ausschließlich Sache des Gläubigers einer ausgenommenen Forderung, diese Forderung entweder als einfache Forderung anzumelden, die von der Restschuldbefreiung erfasst wird (§ 301 InsO), oder aber als Forderung gem. § 302 InsO.
Dr. Andreas Schmidt, Richter am AG, Hamburg

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