BGH, Urteil vom 18. Januar 2018 - IX ZR 31/15

19.02.2018

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

18. Januar 2018

KluckowJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2; InsO § 133 Abs. 1 Satz 2


Zum notwendigen Inhalt der Berufungsbegründung, wenn das Erstgericht die Voraussetzungen einer Vorsatzanfechtung mit der Begründung verneint hat, der Anfechtungsgegner habe weder von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners noch von einer Benachteiligung der Gläubiger gewusst.


BGH, Urteil vom 18. Januar 2018 - IX ZR 31/15 - OLG Hamburg, LG Hamburg


Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2018 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann, die Richter Prof. Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 15. Januar 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Der Kläger ist Verwalter in dem auf einen Antrag vom 6. Juli 2009 am 12. August 2009 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der D.

GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Die Beklagte belieferte die Schuldnerin seit dem Jahr 2006 unter anderem mit Papier. Schon bald nach Beginn der Geschäftsbeziehung kam die Schuldnerin ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nach. Wegen eines Teils der im November 2006 bestehenden Rückstände von über 60.000 € schloss die Beklagte mit der Schuldnerin eine Moratoriumsvereinbarung. Die Zahlungstermine für die vereinbarten Raten hielt die Schuldnerin überwiegend nicht ein. Im April 2008 erwirkte die Beklagte wegen erneuter Rückstände einen Vollstreckungsbescheid. Die Beklagte gestattete der Schuldnerin auf deren Bitte Ratenzahlungen auf den titulierten Betrag. Im September 2008 erklärte die Schuldnerin wegen der aktuellen Rückstände von rund 17.000 € ein notarielles Schuldanerkenntnis. Auch hinsichtlich dieses Betrags wurden auf Wunsch der Schuldnerin Ratenzahlungen vereinbart.

[2] Der Kläger hat 27 Zahlungen der Schuldnerin an die Beklagte im Zeitraum zwischen dem 17. Januar 2008 und dem 19. April 2009 im Gesamtbetrag von 86.866,69 € angefochten. Das Landgericht hat die auf Rückzahlung dieses Betrags nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers verworfen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe:

[3] Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

[4] I. Das Berufungsgericht hat gemeint, die Berufung des Klägers sei unzulässig. Sie sei bezüglich der auf § 133 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtung der ersten 25 Zahlungen nicht in der gesetzlichen Form begründet worden. Das Landgericht habe die Klage insoweit mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte habe weder gewusst, dass die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin drohte, noch dass die Handlungen der Schuldnerin die Gläubiger benachteiligten. Die Abweisung der Klage sei damit auf zwei selbständig tragende Gründe gestützt. Das Landgericht habe beide Voraussetzungen der gesetzlichen Vermutung nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO für eine Kenntnis der Beklagten von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin verneint. Der Kläger habe die zweite Begründung mit seiner Berufung nicht angegriffen. Der Angriff gegen die erste Begründung bringe auch nicht den zweiten Abweisungsgrund zu Fall. Auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass ein Gläubiger, der die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kenne, auch wisse, dass Leistungen aus dem Vermögen des Schuldners andere Gläubiger benachteiligten, und dass mit weiteren Gläubigern mit ungedeckten Forderungen insbesondere bei einem gewerblich tätigen Schuldner gerechnet werden müsse, könne sich der Kläger nicht berufen. Diese Rechtsprechung betreffe den Nachweis der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO und könne erst dann herangezogen werden, wenn das Vorliegen dieser Voraussetzungen behauptet werde. Dies sei hier hinsichtlich der zweiten Voraussetzung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht der Fall, weil der Kläger die verneinenden Ausführungen des Landgerichts in diesem Punkt mit seiner Berufung nicht angegriffen habe.

[5] Bezüglich der beiden innerhalb der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag erbrachten und nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO angefochtenen Zahlungen der Schuldnerin im Betrag von 30,53 € und 24,58 € sei die Berufung zwar hinreichend begründet. Die Berufungssumme von 600 € nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sei jedoch nicht erreicht.

[6] II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Berufung des Klägers ist zulässig.

[7] 1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Berufungsbegründung nur dann geeignet, das gesamte klageabweisende Urteil in Frage zu stellen, wenn sie jede dieser Erwägungen konkret angreift. Anderenfalls ist das Rechtsmittel unzulässig. Der Grund hierfür liegt darin, dass in derartigen Fällen jede der gleichwertigen Begründungen des Erstgerichts seine Entscheidung trägt. Selbst wenn die gegen einen Grund vorgebrachten Angriffe durchgreifen, ändert sich nichts daran, dass die Klage aus dem anderen Grund weiterhin abweisungsreif ist (BGH, Beschluss vom 25. November 1999 - III ZB 50/99, BGHZ 143, 169, 171; Urteil vom 13. November 2001 - VI ZR 414/00, NJW 2002, 682, 683; Beschluss vom 23. Oktober 2012 - XI ZB 25/11, NJW 2013, 174 Rn. 11; vom 30. Januar 2013

- III ZB 49/12, NJW-RR 2013, 509 Rn. 8; vom 27. Januar 2015 - VI ZB 40/14, NJW-RR 2015, 511 Rn. 8; vom 10. Februar 2015 - VI ZB 26/14, NJW-RR 2015, 756 Rn. 8; vgl. auch Musielak/Voit/Ball, ZPO, 14. Aufl., § 520 Rn. 31 und 38; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 22. Aufl., § 520 Rn. 44; Zöller/Heßler, ZPO, 32. Aufl., § 520 Rn. 37a). Ausnahmsweise kann aber der Angriff gegen einen selbständigen Abweisungsgrund genügen, wenn dieser aus Rechtsgründen auch den anderen Abweisungsgrund zu Fall bringt (BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - V ZB 154/06, NJW 2007, 1534 Rn. 12; Urteil vom 17. November 2010 - VIII ZR 277/09, BGHZ 187, 311 Rn. 35; Stein/Jonas/Althammer, aaO; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 4. Aufl., § 520 Rn. 92).

[8] 2. Nach diesen Maßstäben genügt die Berufungsbegründung des Klägers den gesetzlichen Anforderungen.

[9] a) Das Landgericht hat, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, die Abweisung der Klage auf zwei gleichwertige, die Entscheidung jeweils selbständig tragende Erwägungen gestützt. Es hat zum einen ausgeführt, die Beklagte habe keinen Anlass gehabt, von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin auszugehen. Zum anderen hat es gemeint, es sei ebenfalls nicht erkennbar, dass die Handlungen der Schuldnerin andere Gläubiger benachteiligten und die Beklagte davon wusste. Damit hat das Landgericht beide tatbestandlichen Voraussetzungen, bei deren - kumulativem - Vorliegen die nach § 133 Abs. 1 InsO (hier anwendbar in der bis zum 5. April 2017 geltenden Fassung) erforderliche Kenntnis des Anfechtungsgegners von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO gesetzlich vermutet wird, verneint.

[10] b) Zutreffend stellt das Berufungsgericht fest, dass der Kläger den zweiten, die Kenntnis der Beklagten von einer Benachteiligung anderer Gläubiger betreffenden Abweisungsgrund in der Begründung seiner Berufung nicht angegriffen hat. Die Berufungsbegründung setzt sich eingehend mit dem ersten, die Kenntnis der Beklagten von drohender Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin betreffenden Abweisungsgrund des Landgerichts auseinander. Zu der zweiten Voraussetzung der Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO verhält sie sich jedoch nicht.

[11] c) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war ein gesonderter, auf die zweite Voraussetzung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO bezogener Berufungsangriff aber hier nicht erforderlich. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dieser Norm war der Angriff des Klägers gegen die Verneinung der ersten Voraussetzung geeignet, auch die Beurteilung des Landgerichts zum zweiten Tatbestandsmerkmal zu Fall zu bringen.

[12] aa) Nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wird die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners vermutet, wenn er wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Dabei indiziert die Kenntnis von drohender oder bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit regelmäßig die Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung. Weiß der Anfechtungsgegner nämlich von der drohenden oder bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, muss er grundsätzlich auch davon ausgehen, dass Zahlungen an ihn selbst andere Gläubiger benachteiligen, wenn der Schuldner unternehmerisch tätig und deshalb damit zu rechnen war, dass auch andere Gläubiger existieren. Dann weiß der Anfechtungsgegner regelmäßig auch, dass Leistungen aus dem Vermögen des Schuldners an ihn die Befriedigungsmöglichkeiten anderer Gläubiger vereiteln oder zumindest erschweren oder verzögern (BGH, Urteil vom 29. September 2011 - IX ZR 202/10, WM 2012, 85 Rn. 15; vom 25. April 2013 - IX ZR 235/12, WM 2013, 1044 Rn. 28; vom 7. Mai 2015 - IX ZR 95/14, WM 2015, 1202 Rn. 17; vom 17. Dezember 2015 - IX ZR 61/14, WM 2016, 172 Rn. 23; vom 12. Mai 2016

- IX ZR 65/14, WM 2016, 1182 Rn. 22; vom 4. Mai 2017 - IX ZR 285/16, WM 2017, 1221 Rn. 8).

[13] bb) Im Streitfall war die Schuldnerin unternehmerisch tätig. Wusste die Beklagte von zumindest drohender Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin, indiziert dies deshalb auch ihre Kenntnis davon, dass die an sie gerichteten Zahlungen der Schuldnerin andere Gläubiger benachteiligten. Der Angriff des Klägers gegen die Beurteilung des Landgerichts, die Beklagte habe eine drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht gekannt, wirkt sich damit - falls er Erfolg hat - auch auf die Frage aus, ob die Beklagte von der Gläubigerbenachteiligung wusste. Er ist deshalb geeignet, auch den zweiten Abweisungsgrund des Landgerichts zu Fall zu bringen.

[14] cc) Die Auffassung des Berufungsgerichts, die in Bezug genommene Rechtsprechung zu § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO erlange hier keine Bedeutung, weil der Kläger die Ausführungen des Landgerichts zur fehlenden Kenntnis der Beklagten von einer Gläubigerbenachteiligung nicht angegriffen habe und er damit eine solche Kenntnis nicht behaupte, ist nicht richtig. Der Kläger hat in erster Instanz das Vorliegen beider tatbestandlicher Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO behauptet. In der Berufungsbegründung hat er auf sein gesamtes erstinstanzliches Vorbringen Bezug genommen. Der Umstand, dass er die Verneinung der zweiten Vermutungsvoraussetzung durch das Landgericht mit der Berufung nicht ausdrücklich angegriffen hat, kann nicht als Aufgabe des darauf bezogenen Vortrags verstanden werden.

[15] 3. Da die Berufung des Klägers hinsichtlich der ersten 25 Zahlungen der Schuldnerin im Gesamtbetrag von 86.811,58 € zulässig ist, entfällt die Grundlage für die Beurteilung des Berufungsgerichts, mit der Anfechtung der beiden letzten Zahlungen im Gesamtbetrag von 55,11 € werde die Berufungssumme des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht erreicht.

[16] III. Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das die Begründetheit der Berufung zu prüfen haben wird (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Kayser Lohmann Pape

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